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Kritik zu „Milchzähne“: Eine dystopische Parabel

Stell dir vor, ein Kind sucht bei dir Unterschlupf, aber eigentlich darfst du keine Fremden bei dir aufnehmen. Würdest du dem Kind trotzdem helfen oder es wieder wegschicken? Um diese Frage geht es in Sophia Böschs Film „Milchzähne“.


Kritik zu „Milchzähne“: Eine dystopische Parabel
Bildnachweis: © farbfilm verleih

Helene Bukowskis 2019 erschienener Debütroman „Milchzähne“, der für renommierte Preise wie den Mara-Cassens-Preis und den Rauriser Literaturpreis nominiert und mittlerweile ins Englische und Französische übersetzt wurde, kommt auf die große Leinwand.  Die schwedisch-schweizerische Regisseurin Sophia Bösch, bekannt durch ihren preisgekrönte Kurzfilm „Rå“, hat nun aus Bukowskis Debütroman ihr Spielfilmdebüt inszeniert.


Darum geht es:


In einem abgeschotteten Dorf der Zukunft lebt die junge Skalde, die als Tochter der geächteten Edith aufgewachsen ist. Während ihre Mutter am Rand der Gesellschaft lebt, hat Skalde es geschafft, sich den Respekt der Dorfgemeinschaft zu erarbeiten. Doch als ein fremdes Kind im Wald auftaucht, stellt Skaldes Impuls, es aufzunehmen, die fragile Ordnung infrage. Zwischen Loyalität zur Gemeinschaft und dem Schutz des Kindes muss sie riskante Entscheidungen treffen.


Die Rezension:


Sophia Böschs Debütspielfilm „Milchzähne“ präsentiert eine Welt, die sowohl vertraut als auch fremd wirkt – eine abgeschottete Gemeinschaft in einer undefinierten Zukunft. Was wie ein simpler Young-Adult-Film beginnt, entfaltet sich schnell als ein dicht gewebtes Netz aus Parabel, Gesellschaftskritik und psychologischer Studie. Bösch inszeniert eine Atmosphäre, die gleichermaßen faszinierend wie beklemmend ist. Mit minimalen Mitteln wird eine Welt skizziert, die an klassische Märchen und moderne Dystopien erinnert, ohne ihre Geheimnisse vollständig preiszugeben. Weder der Ursprung dieser postapokalyptischen Gesellschaft noch die genauen Umstände ihrer Isolation werden vollständig erklärt. Diese Vagheit verleiht der Handlung eine zeitlose, universelle Dimension.


Kritik zu „Milchzähne“: Eine dystopische Parabel
Bildnachweis: © farbfilm verleih

Die zentrale Thematik des Films dreht sich um Inklusion und Exklusion, erzählt aus der Perspektive der jungen Skalde. Bösch nimmt hier geschickt die Dynamiken von Aberglauben, Gruppenzwang und den Grenzen von Toleranz aus der Romanvorlage ins Visier, lässt aber dafür die Klimakatastrophe heraus. Besonders ist, wie Bösch die patriarchalen Strukturen der Gemeinschaft subtil, aber eindringlich herausarbeitet. Das männlich dominierte Machtgefüge, das strenge Strafen für Abweichler verhängt, funktioniert als klarer Kommentar auf autoritäre Systeme und die Gefahren des Konformitätszwangs. Dabei gelingt es dem Film, eine bedrückende Spannung zu erzeugen, die vor allem durch die dichte Atmosphäre lebt.


Eine der größten Stärken der Inszenierung liegt in seiner Bildsprache. Anstelle der oft gesehenen postapokalyptischen Wüstenlandschaften setzt Bösch auf einen üppigen, fast unangetastet wirkenden europäischen Wald. Die Natur wird von Kamerafrau Aleksandra Medianikova zu einem eigenständigen Charakter erhoben. Natur-Panoramen und detailverliebte Nahaufnahmen schaffen eine greifbare Atmosphäre, die gleichzeitig faszinierend und bedrohlich wirkt. Unterstützt wird dies durch ein exzellentes Sounddesign, das selbst die kleinsten Geräusche der Natur – vom Knarren eines Astes über das Rascheln von Blättern – verstärkt und den Zuschauenden förmlich in die Szenerie hineinzieht.


Kritik zu „Milchzähne“: Eine dystopische Parabel
Bildnachweis: © farbfilm verleih

Die Figuren sind in „Milchzähne“ relativ reduziert gezeichnet, was auch eine gewisse Unnahbarkeit erzeugt. Skalde ist keine klassische Heldin, die klaren moralischen Prinzipien folgt; sie ist vielmehr eine zerrissene, von inneren und äußeren Konflikten geprägte Persönlichkeit, die zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Erwartungen der Gemeinschaft schwankt. Jedoch ist sie auch schwer fassbar und die Beziehung zu ihrer Mutter Edith wird nur angedeutet. Mathilde Bundschuh gelingt es, Skalde so empathisch zu spielen, dass man ihr gerne folgt, aber neben ihr bleiben die anderen Figuren recht blass. Die Chemie zwischen Skalde und der Figur des jungen Mädchens, das sie beschützen möchte, ist dabei der emotionale Anker des Films.


Fazit:


„Milchzähne“ ist ein fesselnder Dystopie-Film, der gesellschaftliche Spannungen und patriarchale Strukturen subtil entlarvt. Mit einer dichten Atmosphäre und beeindruckender Naturfotografie liefert Sophia Bösch eine spannende Parabel über Freiheit und Konformität.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 21. November 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Milchzähne“:

Genre: Drama, Science-Fiction

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 100 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Sophia Bösch

Drehbuch: Sophia Bösch, Roman Gielke

Besetzung: Mathilde Bundschuh, Susanne Wolff, Ulrich Matthes und viele mehr ...


Trailer zu „Milchzähne“:


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