Immer wieder erschrecken Meldungen aus Deutschlands sogenannten Brennpunkten, wenn aus Perspektivlosigkeit Gewaltbereitschaft entsteht. Kamen zuletzt vermehrt französische Filme heraus, die sich mit der Bevölkerung am Rande der Gesellschaft beschäftigten, startete jetzt auch ein deutscher Streifen auf der großen Leinwand, der von vier Kindern im Problemviertel erzählt.
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih / Pascal Kerouche
Mit seinen Stand-up-Programmen wurde Felix Lobrecht einer der bekanntesten wie erfolgreichsten Comedians in Deutschland. Doch auch wenn er heute von seiner spaßigen Seite bekannt ist, hat er in seiner Kindheit im Problemviertel zwischen Sonne und Beton einiges durchgemacht. Lose aus den eigenen Erlebnissen inspiriert, schrieb Felix Lobrecht daraus die Geschichte von vier Jungen, die im Berlin-Neuköllner Ortsteil Gropiusstadt aufwachsen. Verlor der heutige Comedian im Alter von 5 Jahren seine Mutter nach einer Krebs-Erkrankung, musste er schon früh auf eigenen Beinen stehen, sich an das Leben im Brennpunkt Gropiusstadt gewöhnen – einer eigenen Welt zwischen Gewalt, Schmerz und echter Freundschaft.
Auch wenn der Stadtbezirk viel Leid bedeuten kann, ist der 2017 publizierte Roman von Felix Lobrecht doch voller Witz und dem „Sprech“ der Straße und so entwickelte sich „Sonne und Beton“ zu einem wahren Bestseller. Kaum verwunderlich, dass der Stoff früher oder später auch verfilmt werden würde, doch hat die Geschichte ihre Wirkung auch auf der großen Leinwand?
Darum geht es:
Der Klügere tritt nach – in Berlin-Gropiusstadt ist man entweder Gangster oder Opfer. Lukas, Julius und Gino schwänzen wieder einmal die Schule und wollen einfach Spaß haben, Kiffen und Mädchen aufreißen. Doch als sie zwischen zwei rivalisierende Dealer-Gruppen geraten, wird Lukas verprügelt. Schlimmer noch, sie fordern 500 Euro Schutzgeld von ihm. Wie soll Lukas das Geld nur auftreiben, kann er sich ja noch nicht einmal den Eintritt zum Schwimmbad leisten?
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih
Da hat Sanchez, ein neuer Klassenkamerad, die Idee: Die Schule hat neue Computer bekommen. Wenn man sie aus dem Lager schleppen und verkaufen würde, wären die Jungen alle Geldsorgen los. Also brechen sie in der Nacht in die Schule ein …
Die Rezension:
Regisseur David Wnendt ist es wieder einmal gelungen, eine wuchtige Geschichte auf die große Leinwand zu bringen, die einen getroffen aus dem Kinosaal gehen lässt. Nach dem aufwühlenden Neonazi-Drama „Kriegerin“ und der skandalösen Tragikomödie „Feuchtgebiete“, hat Wnendt gemeinsam mit Felix Lobrecht einen der authentischsten Filme über das Leben im Problemviertel kreiert. Dabei hält sich das Drehbuch sehr eng an Lobrechts Buch, kann die Romanvorlage stellenweise hinsichtlich der Intensität sogar übertrumpfen.
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih
Strich man einige Passagen des gut 200 Seiten langen Romans, die die Geschichte nicht weiter entwickelten, führte die Verfilmung stattdessen nur angedeutete Szenen weiter aus. Bekommt Lukas in der Buchvorlage nur mit, dass Gino häusliche Gewalt erleben muss, führt die filmische Adaption auch direkt in Ginos Elternhaus, wenn sein Alkoholiker-Vater dem Wahn verfällt und seine Frau verdrischt.
Nahm der Roman die subjektive Perspektive von Lukas ein, erzählt der Film aus der Perspektive aller Jungen. Deshalb und da auch bei Nebencharakteren mehr Hintergrund gezeigt wurde, ist das Gesamtbild vielfältiger. Gerade, da es kaum Schwarzweiß angelegte Figuren gibt, können hier nur wenige als rein gut oder schlecht eingeordnet werden. Es gibt keine Helden oder Schurken – alle leben in einem Sumpf aus Perspektivlosigkeit, mit dem aber verschieden umgegangen wird.
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih / Anne Wilk
Auch wenn offen gelassen wird, wie sehr autobiografische Erlebnisse mit Fiktion verschmelzen, ist immer spürbar, dass hier viele Menschen am Werk waren, die selbst im Plattenbau aufwuchsen. Daher ist herauszuheben, dass der Rapper Luvre47, der in Gropiusstadt aufwuchs, den großen Bruder von Protagonist Lukas verkörpert. Auch wenn er kein Schauspieler ist, den Vibe kann er transportieren. „Sonne und Beton“ bietet einen Einblick in eine weit entfernte und doch so nahe Welt, es ist die Repräsentation von Kindern aus dem Berliner Kiez.
Weder Abrechnung noch Glorifizirung – zwischen harter Milieustudie und unterhaltsamem Heist-Abenteuer glückte dem Drehbuch ein schwieriger erzählerischer Spagat, um sich nicht in einem einseitigen, oberflächlich flüchtigen Blick zu verlieren. Wenngleich auch im dramaturgischen Aufbau das Rad nicht neu erfunden wird und Handlungsstränge keine bemerkenswerten Haken schlagen, bietet „Sonne und Beton“ einen fast dokumentarischen Einblick in den Brennpunkt.
Bildnachweis: ©Constantin Film Verleih / Pascal Kerouche
Fazit:
„Sonne und Beton“ ist ein Porträt der Abgehängten, eine Geschichte von vier Jungen im Sumpf der Perspektivlosigkeit. Doch auch wenn Brennpunkte wie Berlin-Gropiusstadt deprimieren können, die Darstellung nichts beschönigt, ist die Bestseller-Verfilmung nicht nur niederschmetternd, es ist auch eine lebensfrohe Geschichte über Freundschaft, Zusammenhalt, Sonne und Beton.
7 von 10 Punkten
„Sonne und Beton“ ist seitdem 02. März 2023 in den Kinos.
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