Nach dem im Jahr 2018 erschienenen DDR-Thriller „Ballon“ kam dieses Jahr der nächste Film von Michael „Bully“ Herbig in die Kinos, der sich den sogenannten Relotius-Fall als Inspiration nahm. Wird es wieder ein Thriller oder kann man bei „Bully“ wieder lachen?
Bildnachweis: © 2022 Warner Bros GmbH
Claas-Hendrik Relotius war einer der angesehensten Journalisten des „Spiegel“-Magazins und seine außergewöhnlichen Artikel wurden mehrfach ausgezeichnet, doch dann wurde der geniale Journalist entlarvt und hinter der perfekten Fassade wurden Lügen über Lügen gefunden. Denn als er gemeinsam mit dem „Spiegel“-Journalisten Juan Moreno an einer Reportage arbeitete, entdeckte er Unstimmigkeiten und er fand heraus, dass sehr viele Texte des Journalisten frei erfunden waren, Geschehen beschrieben, die so nie stattgefunden haben.
Juan Moreno trug all dies zusammen und schrieb sein Buch „Tausend Zeilen Lügen“, welche er dann im Jahr 2019 veröffentliche. Und basierend auf diesem Buch hat nun der gefeierte Regisseur Michael „Bully“ Herbig seinen neuen Film gedreht, der den Titel „Tausend Zeilen“ trägt. Doch der Film erzählt eine fiktive Geschichte mit fiktiven Magazinen und Figuren, die aber auf der realen Geschichte basiert.
Anatagonist und Protagonist:
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So wird aus Claas-Hendrik Relotius Lars Bogenius, der von Jonas Nay verkörpert wird und der Name von Juan Moreno bleibt, den Elyas M'Barek spielt. In einer offiziellen Mitteilung des den Film produzierenden Filmstudios UFA Fiction sagte Regisseur Michael „Bully“ Herbig so zur Nähe der Buchvorlage: „Ähnlichkeiten mit unwahren Ereignissen könnten zufällig zutreffen. Die Fakten werden aber mit Sicherheit verdreht, damit’s am Ende stimmt!“
Darum geht es:
Als der freie Journalist Juan Romero Ungereimtheiten in einer Titelgeschichte des preisgekrönten Reporters Lars Bogenius findet, ist für ihn klar: Der Artikel darf nicht gedruckt werden. Doch als er seine Zweifel an Romeros reißerischen wie erfolgreichen Artikel äußert und seine Vorwürfe in der Chefetage des Nachrichtenmagazins „Chronik“ vorträgt, wird er ignoriert. Die Chefs der Zeitschrift sehen in ihrem jungen Shootingstar Bogenius vor allem den Aufwärtstrend des Printjournalismus.
Doch Juan Romero gibt nicht auf und versucht mit dem befreundeten Star-Fotografen Milo die Wahrheit aufzudecken. Sie gehen jeden der erfolgreichen wie preisgekrönten Artikel von Bogenius durch, überprüfen Quellen und finden heraus, dass hinter der Fassade des genialen investigativ Journalisten ein Lügner steckt. Doch bei dieser Recherche geht Romero an seine Grenzen und könnte dabei diejenigen verlieren, die ihm am meisten bedeuten ...
Die Rezension:
Das Juan Romero Vater von vier Kindern ist und zu Hauseseine Frau auf ihn wartet, ist für die letztlicheHandlung nicht von Relevanz. Der Film räumt der Familie aber so viel Raum ein, dass die Handlung recht überladen ist. Die eigentliche Thematik derHandlung wird zwar abgehandelt, kann aber in den 93 Minutender Lauflänge nicht vertieft werden. So wird das Lügenkonstrukt nur sehr oberflächlich errichtet und dann auch sehr schnell wieder niedergerissen.
Allgemein stellt sich die Frage, weshalb der Familien-Handlungsstrang überhaupt erzählt wird. Denn wenn die einzige Idee dahinter war, verdeutlichen zu wollen, was geschieht, wenn man nur noch Augen für die Arbeit hat und dabei die Familie vernachlässigt, hat der generische Ansatz vor allem Zeit gekostet. Denn all dies konnte der Film bereits innerhalb einer Szene mit dem Fotografen Milo treffend auf den Punkt bringen können. Leider bekommen die vier Kinderdarstellerinnen und Marie Burchard mit ihrem plakativ aufgeblasenen Handlungsstrang auch solch generische Dialoge, dass sie schauspielerisch nicht glänzen können.
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Auch die beiden Hauptfiguren – Romero und Bogenius – haben nur sehr oberflächlich angelegte Charakterzeichnungen, sodassder Film keine Fallhöhe aufbauen kann. Gerade bei Lars Bogeniuswäre ein Motiv für sein Handeln interessant gewesen, so lügt er, weiler eben lügt. So unterfordert Jonas Nay die Rolle eher, undman sieht ihm regelrecht an, dass er den schmierigen Journalisten noch deutlich vielschichtiger hätte spielen müssen, um etwas aus sich rausgehen zu können.
Ihm gegenüber ist Elyas M'Barek als Juan Romero, der nach „Der Fall Collini“ erneut an einer ernsteren Rolle scheitert. So hören sich dramatische Dialoge zwar dramatisch gesprochen an, doch die Stimmung der Szene kann er nicht transportieren. Wirklich lösen vom coolen Sunny Boy-Image konnte er sich nie und so funktionieren auch in „Tausend Zeilen“ seine coolen Momente am besten. Wenn er aber seine Familie anschreit, da er sich voll auf seine Arbeit konzentrieren will, sieht es regelrecht albern aus.
Albern ist auch der Versuch, dass sich die beiden Hauptdarsteller direkt ans Publikum wenden, direkt zur Kamera gewandt dem Publikum vom Handlungsstand erzählen. Ein Ansatz, der ein cleveres Stilmittel sein kann, doch dafür sind die Dialoge nie bissig und lässig genug, umcharmant eingeflochten werden zu können.
Hat sich das so zugetragen?
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Gerade mit „Ballon“ bewies „Bully“ Herbig, dass er durchaus auch ernste, dramatische Themen richtig gut umsetzten kann. Im 2018 erschienen Thriller konnte er vielschichtige Figuren aufbauen, eine dramatische Fallhöhe kreieren und nach knapp zwei Stunden einen Showdown für die große Leinwand inszenieren. Bei „Tausend Zeilen“ endet die Geschichte mit einem „erhobenen Zeigefinger“-Appell über guten Journalismus, nur um noch eine misslungene Szene hinzuzufügen, die den Familien-Handlungsstrang so kitschig wie eben möglich abschließt. Die beiden Handlungsstränge liefen über den gesamten Film parallel ab und wurden letztlich, wenn überhaupt, dann nur schlecht als recht zusammengeführt.
Sehr Schade, denn Michael „Bully“ Herbighat bereits bewiesen, dass er einer der vielseitigsten Regisseure hierzulande ist. Er schuf mit unter anderem „Der Schuhdes Manitu“ und „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“ Filme, die zu den besten Komödien zählen, die ich bisher sah. Mit „Ballon“ nahm er sich einem ernstenThema an und brachte einer der spektakulärsten Fluchten aus der DDR ineinem packenden Thriller auf die große Leinwand. Michael „Bully“ Herbigist eine Bereicherung im deutschen Film, undgerade deshalb ist es so schade, denn „Tausend Zeilen“ in jedem Bereich offenbart, dass hier viele sehr talentierte Filmschaffende arbeiteten, die es eigentlich so viel besser könnten ...
Fazit:
Letztlich ist „Tausend Zeilen“ weder ernster Thriller noch clever pointierte Komödie und es bleibt ein Film, der einen der größten Medienskandale kurzweilig und oberflächlich in einem Spielfilm abarbeitet.
4 von 10 Punkten
„Tausend Zeilen“ ist seit dem 29. September 2022 in den Kinos.
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