„Indiana Jones“, „Jurassic Park“ oder „Zurück in die Zukunft“ – Steven Spielberg hat wie kaum ein anderer Filmemacher die Kinogeschichte geprägt. Über sechs Jahrzehnte hinweg brachte er einige der beliebtesten und innovativsten Filme aller Zeiten hervor. In seinem neuesten Werk „The Fabelmans“ reflektiert er nun seine eigene Geschichte, wie er sich für das Filmemachen begeisterte und die Magie der großen Leinwand entdeckte.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
Egal in welchem Genre er sich versuchte, Steven Spielberg hat zweifellos ein einzigartiges Händchen als filmischer Geschichtenerzähler. Schon früh in seiner Karriere machte er auf sich aufmerksam, als er mit dem Thriller „Duell“ und dem heute ikonischen „Der weiße Hai“ große Erfolge feierte. Schon in seinen Ursprüngen zeigte er sein inszenatorisches Talent, bald zeichnete sich in Spielbergs Werken ein ganz eigener Stil ab. Diente der Hai anschließend noch für viele weitere Tier-Horrorfilme als Monster, konnte doch keiner den weißen Hai so bedrohlich und gleichermaßen als Tier inszenieren. Der heute als Kultfilm gefeierte Streifen war auch der erste Film, der in den Sommermonaten mehr als 100 Millionen US-Dollar an den Kinokassen einspielte und damit das Genre des „Sommer-Blockbusters“ etablierte.
Aber auch wenn Spielberg mit „E.T. - Der Außerirdische“, „Indiana Jones“ und beispielsweise „Zurück in die Zukunft“ große Mainstream-Hits landete, ist er nicht nur ein Meister des Blockbuster-Kinos. Mit dem Holocaust-Drama „Schindlers Liste“, dem Südstaatendrama „Die Farbe Lila“ über die sozialen Schwierigkeiten afroamerikanischer Menschen in den Vereinigten Staaten oder „Der Soldat James Ryan“ gelangen ihm die größten Meisterwerke der Filmgeschichte. Gerade der letztgenannte Film gilt als einer der besten Kriegsfilme aller Zeiten und brachte Spielberg seinen zweiten Oscar für die beste Regie ein.
In seinen knapp vierzig Kinofilmen erzählte Steven Spielberg außergewöhnliche Geschichten, kreierte auf der großen Leinwand Momente für die Ewigkeit und hat im Filmgeschäft alles erreicht. Er hat es geschafft, eine Vielzahl von Genres zu meistern und sich immer wieder neu zu erfinden. Nun wendet er sich auf seine alten Tage seinen Wurzeln zu, erfüllt sich Herzensprojekte, auch wenn diese keine kommerziellen Erfolge versprechen. So drehte er vor nicht allzu langer Zeit eine Neuverfilmung des Musical-Klassikers „West Side Story“, eine persönliche Lieblingsgeschichte von Spielberg, die ihn als Kind faszinierte.
©The Walt Disney Company Germany GmbH
„Vor dieser Geschichte bin ich geflohen, seit ich 17 war“, sagte Spielberg bei der diesjährigen Golden Globe-Verleihung. Sein neuer Film ist zwar keine rein autobiografische Aufarbeitung, aber doch ist „The Fabelmans“ seine Geschichte. Ein Film über den Film, die Leidenschaft des Filmemachens und wie er sich einst für das Kino begeisterte. Es ist aber auch die Geschichte über ein Familiengeheimnis, das sein Leben prägte …
Darum geht es:
Als der kleine Sammy Fabelman mit seinen Eltern das erste Mal ins Kino geht, betritt der kleine Junge eine neue aufregende Welt. Auf der großen Leinwand kracht es mächtig, Autos und Menschen fliegen durch die Luft – Züge prallen aufeinander. Sammys erster Kinobesuch, Cecil B. DeMilles monumentalem Zirkusfilm „The Greatest Show on Earth“, hatte es in sich – die Bilder machten ihm Angst, faszninierten ihn aber gleichermaßen.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
Um verstehen zu können, was er auf der großen Leinwand sah, rekonstruierte der achtjährige Sammy mit Kinderspielzeug die spektakuläre Szene, die ihm nicht aus dem Kopf gehen will. Als ihm seine Mutter vorschlägt, die nachgestellte Szene mit der 8-mm-Kamera seines Vaters aufzunehmen, kann er sich die Szene immer und immer wieder ansehen, um herauszufinden, wie der Effekt zustande kam.
Aus dem Interesse entwickelt sich eine Leidenschaft für die bewegten Bilder, die seine kunstbegeisterte Mutter Mitzi sehr schätzt, während sein Vater, der als erfolgreicher Computeringenieur arbeitet, es als Hobby abtut. Doch auch als die Familie von New Jersey nach Arizona umzieht, bleibt die Faszination – er ist kaum noch von der Kamera zu trennen und dreht schließlich mit seinen Schwestern und der Pfadfindergruppe einen ersten Film.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
Doch während er immer aufwändigere Filmproduktionen inszeniert, bemerkt er auch, dass zwischen seinen Eltern immer mehr Probleme aufkeimen. Während die Familie Fabelmans auseinanderzubrechen droht, muss sich Sammy auf seine Filmfaszination besinnen, um seine Träume nicht zu verlieren …
Die Rezension:
Mitten hinein ins Leben der Fabelmans, in einen Schlüsselmoment, der bereits erahnen lässt, wohin die Geschichte einmal führen wird, setzt „The Fabelmans“ direkt vor dem Lichtspielhaus ein. Im Bild ist nur der Junge, der seine Reise ins Erwachsenenalter erst antritt. Aus dem Hintergrund sprechen seine Eltern. Der Vater erläutert enthusiastisch, wie eine Filmprojektion funktioniert und wie faszinierend es ist, eine Geschichte auf der großen Leinwand zum Leben zu erwecken. Die Mutter verspricht, dass er gleich Träume sehen wird, die er nie vergessen wird.
Bereits in dieser Eröffnungsszene werden die beiden Hauptthemen der Geschichte subtil eingeführt. Einerseits geht es um die faszinierende Welt des Films und der Magie, die er auf den Zuschauer ausübt. Andererseits wird das familiäre Drama angedeutet, das im Laufe des Films eine wichtige Rolle spielen wird. Die Eltern des Protagonisten sind in ihrer Art grundverschieden, Kunst und Wissenschaft sind in der Familie Fabelman ständige Konkurrenz. Erzählerisch sehr clever führt „The Fabelmans“ ohne expositorische Ausschweifungen in die Geschichte ein. Ohne viel Zeit damit zu verbringen, die Hintergründe und Motivationen der Figuren auszuführen, werden diese sehr subtil durch das Handeln und die Dialoge der Charaktere deutlich.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
Dabei gelang Steven Spielberg einmal mehr, dass alle filmischen Elemente gemeinsam ihre Wirkung erzielen. Die Bildsprache, die Dialoge, die Kameraführung und das Schauspiel sind so aufeinander abgestimmt, dass jeder Aspekt der Geschichte sehr eindringlich wird. Jede Dialogzeile ist perfekt formuliert, nie ist etwas beiläufig oder nicht wichtig. Jedes Wort, das ausgesprochen wird, trägt zur Entwicklung der Geschichte bei und ist dabei noch bemerkenswert maßgeschneidert auf den Charakter, der es ausspricht. Hinzu kommt, dass alle Charaktere der Geschichte wirklich ihren Raum erhalten, um sich zeigen zu können – ob im positiven oder im negativen.
Auch wenn es zwei übergeordnete Handlungsstränge gibt, nimmt sich der Film immer wieder die Zeit, um weitere Facetten herauszuheben. Da hat es regelrecht Episodenfilm-Charakter, da „The Fabelmans“ in seinen 151 Minuten immer wieder gewisse Nebenetappen genauer beleuchtet. Von einer Episode zur Mutter, über eine über die Schwestern, zu einem Ausschweifer zur High-School-Klasse zwischen Antisemitismus und der ersten Liebe, der ersten Freundin taucht die Handlung immer wieder in Details ab, die das Gesamtbild der Geschichte mit Leben füllen.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
So wie der Film viele Facetten des Lebens untersucht, so vielschichtig ist auch die Dramaturgie zwischen humorvollen und tragischen Etappen. Ist es spaßig, mitanzusehen, wie sich der jüdische Sammy in die ins Christentum vernarrte Monica Sherwood verliebt, so tragisch ist auch die auseinanderbrechenden Ehe der Eltern. Dem grandiosen Drehbuch gelingt es in vielerlei Hinsicht emotionale Fallhöhen zu kreieren, die einmal mehr aufzeigen, wie unterhaltsam gutes Storytelling sein kann.
Der Hauptprotagonist Sammy Fabelman durchlebt in „The Fabelmans“ eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, in der er sich von einem unsicheren Jugendlichen zu einem selbstbewussten jungen Erwachsenen entwickelt. Zunächst wird er mit dem Bruch seiner eigenen Familie konfrontiert, was ihn emotional belastet und ihn dazu zwingt, seine Rolle in der Familie neu zu definieren. Gleichzeitig kämpft er mit den Problemen auf der Schule und versucht, sich gegenüber seinen Mitschülern zu behaupten. Doch im Fokus seiner Entwicklung steht das Kino und das Filmemachen. Steven Spielberg gelingt es mit seinen Jungdarstellern Gabriel LaBelle und Zoryan Francis-DeFord die Faszination seines jungen Alten Egos für bewegte Bilder sprübar zu machen.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
So ist, auch wenn der Film noch viel mehr zu bieten hat, die Kino-Hommage das Herzstück von „The Fabelmans“. Nicht nur an das Bewegtbild selbst, was Träume zum Leben erwecken kann, sondern auch an die gemeinschaftlichtliche Faszination Film, wenn Sammys gesamte Familie bei den Dreharbeiten mitzieht, jeder eine wichtige Aufgabe hat, damit der Film entstehen kann. Aber auch das gemeinsame Ansehen des fertigen Films – das Kino-Erlebnis – bekommt von Steven Spielberg eine filmische Liebeserklärung.
Doch auch wenn „The Fabelmans“ einen starken Fokus auf Hauptprotagonist Sammy hat, ist es ein Ensemble-Film mit durchweg glänzenden Schauspielern. So sollte Michelle Williams in ihrer Rolle der Mutter Mitze hervorgehoben werden. Sie verkörpert eine sowohl sensible als auch verletzliche, aber auch starke und entschlossene Frau, die ihre Familie aufopferungsvoll unterstützt und beschützt. Williams schafft es, die innere Zerrissenheit und den emotionalen Schmerz ihrer Figur auf eindrucksvolle Weise darzustellen.
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
An ihrer Seite brilliert Paul Dano als der sanftmütige Vater Burt, der zwischen der Rolle als liebevoller Ehemann und Vater und seiner Leidenschaft als Computeringenieur hin- und hergerissen ist. Dano schafft es, die Facetten seiner Figur gekonnt darzustellen und verleiht der Rolle eine besondere Tiefe. Seine Leistung ist berührend und fesselnd zugleich. Auch Judd Hirsch, der nur einmal auftaucht, kann in den wenigen Momenten, die er hat, eine sehr intensive und eindrückliche Performance abliefern. Er verkörpert den etwas schrägen Onkel Boris, der Sammy einiges über das Leben erzählen kann.
So wie im Finale von Bildästhetik gesprochen wird und die richtige Kameraperspektive besprochen wird, hat auch die Kameraführung in „The Fabelmans“ stets ein Händchen für die Momente, wie die Szene bestenfalls gezeigt werden müsste. Die Kameraführung ist genauso eindringlich und subtil. Sie erzählt die Geschichte auf eine Art und Weise, die den Zuschauer tief in die Handlung hineinzieht. Dabei ist diese niemals aufdringlich, sondern vielmehr unauffällig und unaufdringlich, was dem Film eine besondere Intensität verleiht. Von der Froschperspektive zur Vogelperspektive – „The Fabelmans“ ist sowohl technisch wie inhaltlich ganz großes Kino!
©Universal Pictures / Storyteller Distribution Co., LLC.
Fazit:
In „The Fabelmans“ eröffnet Steven Spielberg einmal mehr ganz großes Kino, welches zum Lachen und Weinen bringt. Doch so nah Freude und Trauer auch liegen können, Träume und die Fantasie können ein Ausweg sein. So ist das neue Werk von Spielberg eine Hommage ans Träumen und an das Medium, dass diese zum Leben erweckt – das Kino, die große magische Leinwand. Zwar ist diese Geschichte nicht für einen Mainstream-Erfolg konzipiert, allein der nostalgische Blick in die 50er-Jahre könnte beim heutigen Publikum wenig Anklang finden und doch zeigt „The Fabelmans“ all das, warum Steven Spielberg einer der größten Filmemacher unserer Zeit ist.
9 von 10 Punkten
„The Fabelmans“ ist seit dem 09. März 2023 in den Kinos.
Commenti