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Kritik zu „Zikaden“: Zwischen zwei Lebensrealitäten

  • Autorenbild: Toni Schindele
    Toni Schindele
  • 16. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Mit „Zikaden“ lädt Ina Weisse das Publikum ein, in die Risse einer bröckelnden Fassade zu blicken – in Momente, die mehr verbergen, als sie preisgeben, und Fragen stellen, die keine einfachen Antworten zulassen.


Kritik zu „Zikaden“: Zwischen zwei Lebensrealitäten
Bildnachweis: © DCM

Ina Weisse wechselte vom Fach Schauspiel – ausgebildet an der Otto-Falckenberg-Schule – zur Regie, nachdem sie ihr Studium an der Hamburg Media School 2002 abgeschlossen hatte. Seit dem preisgekrönten Debüt „Der Architekt“ und dem international beachteten „Das Vorspiel“ untersucht sie in ihren Filmen wiederholt familiäre Machtgefüge, künstlerischen Leistungsdruck und die Bruchstellen bürgerlicher Selbstbilder. Mit „Zikaden“, ihrem dritten Spielfilm, widmete sich Ina Weisse erneut diesen Themen und arbeitete zudem wieder mit Nina Hoss zusammen, die schon in „Das Vorspiel“ zu sehen war.


Darum geht es:


Isabells Alltag zerfällt zwischen der Sorge um ihre hilfsbedürftigen Eltern, der bröckelnden Ehe mit Philipp und dem vergeblichen Ringen um Halt. Inmitten dieser Krise begegnet sie der alleinerziehenden Anja und ihrer Tochter Greta – und findet in der neuen Nähe etwas, das sie lange vermisst hat. Doch je mehr sich ihre Leben verweben, desto stärker gerät Isabells bisheriges Selbstbild ins Wanken.


Die Rezension:


Ina Weisses „Zikaden“ ist ein Film, der Fragen stellt, ohne sich den Antworten wirklich zu nähern, der Figuren zeigt, ohne sie in ihrer Entwicklung greifbar zu machen, und der Themen streift, ohne sie konsequent zu verfolgen. Die Beziehung zwischen Isabell und ihrem Vater etwa, einem Genius loci der Architektur, wird auf die bekannten Themen des unerreichbaren väterlichen Vorbilds und der vergeblichen Suche nach Anerkennung reduziert, ohne darüber hinaus neue Perspektiven oder Erkenntnisse zu eröffnen. Ebenso bleibt die Verbindung zwischen Isabell und Anja über weite Strecken ein Nebeneinander zweier Lebensrealitäten, deren punktuelle Berührungen eher behauptet als nachvollziehbar entwickelt werden.


Kritik zu „Zikaden“: Zwischen zwei Lebensrealitäten
Bildnachweis: © Judith Kaufmann / Lupa Film

Weisse konfrontiert das Publikum mit einer sozialen Asymmetrie, scheut jedoch davor zurück, sie klarer auszuleuchten oder in einen übergeordneten gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Vielmehr bleiben die Parallelen zwischen den Welten der beiden Frauen meist implizit, wodurch die angedeuteten Spannungen zwischen Nähe und Fremdheit, zwischen Solidarität und Abgrenzung, oft kaum greifbar werden. Der Pflegenotstand, den der Film anhand von Isabells Bemühungen um die Betreuung ihres Vaters thematisiert, wird eher als Hintergrundrauschen denn als tragendes Motiv inszeniert. Die Hilflosigkeit der Familie angesichts unzureichender Pflegeangebote und der Widerstand des Vaters gegen den Verkauf des geliebten Sommerhauses bilden zwar einen realistischen Bezugsrahmen, doch gelingt es dem Film nicht, aus diesen Elementen einen wirklichen dramatischen Druck zu erzeugen.


Dabei erweist sich die Bildsprache von Judith Kaufmann als eines der stärksten Elemente des Films: Ihre Kamera bleibt oft lange auf den Gesichtern der Protagonistinnen oder auf Details der Umgebung stehen. Nina Hoss verkörpert Isabell mit einer kontrollierten Zurückhaltung. Ihre Isabell ist eine Frau, die zwischen Pflichten, Erwartungen und unerfüllten Sehnsüchten pendelt, ohne dabei je ein klares Ziel oder eine innere Wandlung durchzumachen. Saskia Rosendahl hingegen bringt Anjas Rastlosigkeit und latente Verzweiflung mit nuancierten Mitteln zum Ausdruck, lässt aber das Potenzial ihrer Figur nur erahnen. Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen ist dabei von einer kühlen Reserviertheit geprägt, die einerseits die soziale Distanz zwischen den Figuren unterstreicht, andererseits aber auch verhindert, dass sich eine tiefere emotionale Dynamik entfaltet.


Kritik zu „Zikaden“: Zwischen zwei Lebensrealitäten
Bildnachweis: © Judith Kaufmann / Lupa Film

Dass die Interaktionen zwischen den Figuren teilweise auf Improvisation basieren, verleiht einzelnen Szenen zwar eine gewisse Authentizität, verstärkt jedoch zugleich den Eindruck eines lose verknüpften Mosaiks von Momentaufnahmen. Als kohärente Handlung wirkt „Zikaden“ nie so wirklich rund, doch in einzelnen Momenten und Szenen gelingt es Ina Weisse mit ihrer zurückhaltenden Erzählweise, feine, nuancierte Momente zu schaffen, die sich echt und lebensnah anfühlen. Aber zwischen völliger Zurückhaltung und expositionaler Überladung gibt es auch noch einen Mittelweg, den diese Inszenierung nicht gefunden hat.


Fazit:


Visuell immer wieder faszinierend, schauspielerisch nuanciert, dramaturgisch jedoch zerfasert: Ina Weisses „Zikaden“ reiht spannende Momentaufnahmen sozialer Ungleichheit und familiären Pflegedrucks aneinander, findet aber keinen erzählerischen Biss, keinen emotionalen Sog und keine klare Aussage.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 19. Juni 2025 im Kino.


Wie hat Dir der Film gefallen? Teile Deine Meinung gerne in den Kommentaren!

Weitere Informationen zu „Zikaden“:

Genre: Drama

Laufzeit: 102 Minuten

Altersfreigabe: FSK 6


Regie: Ina Weisse

Drehbuch: Ina Weisse

Besetzung: Nina Hoss, Saskia Rosendahl, Vincent Macaigne und viele mehr ...


Trailer zu „Zikaden“:


1 Comment


Benjamin
Jun 22

Zwei starke, ihre Hilflosigkeit und Sehnsüchte spiegelnde Figuren aus zwei verschiedenen (bröckelnden) Welten die sich unverhoft begegnen. Daraus sind schon richtig gute Filme entstanden (jüngeres Beispiel "Bird" von Andrea Arnold) - leider stellt man sich hier zu viele Fragen, die man sich nicht stellen sollte (Woher kommen Anjas Brüche - was ist wirklich mit Partner und Eltern passiert etc. - Fragen zu der Beziehung von Isabelle zu ihrem Vater etc.) - so verliert sich der Film immer mehr im Klein Klein und nimmt den vielen schönen Momenten und auch z.T. sehr lustigen Szenen (Windelkauf in der Tankstelle) die Symbiose.

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