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Nach BAFTA-Sensation: Deshalb ist „Im Westen Nichts Neues“ einer der wichtigsten deutschen Filme

Die britischen Oscars, der BAFTA-Award, wurde am vergangenen Sonntagabend verliehen und das Antikriegdrama „Im Westen Nichts Neues“ räumte sieben Mal ab, unter anderem als bester Film des Jahres. Damit schreibt der Streifen von Edward Berger deutsche Filmgeschichte und auch bei der kommenden Oscar-Verleihung ist die Remarque-Verfilmung neun Mal nominiert.


©Reiner Bajo/Netflix


Seit dem Jahr 1949 wird in Großbritanien der BAFTA-Award verliehen. Die Preisverleihung, die offiziell die British Academy Film Awards sind, würdigen die besten Filme und Leistungen aus Film und Fernsehen und am vergangenen Sonntagabend wurde die inzwischen 76. BAFTA-Zeremonie abgehalten. Großer Gewinner war das das deutsche Antikriegdrama „Im Westen Nichts Neues“ mit sieben Auszeichnungen, was einen neuen Rekord aufstellt. Noch nie zuvor konnte ein nicht-englischsprachiger Film so oft abräumen. Zuvor hielt der italienische Film „Cinema Paradiso“ aus dem Jahr 1988 mit fünf Auszeichnungen, diesen Rekord. Doch warum wird ausgerechnet dieses deutsche Antikriegdrama international gefeiert und mit Preisen überhäuft?


Knapp 100 Jahre nach der Erstveröffentlichung des bekannten Literaturklassikers „Im Westen nichts Neues“ kam im vergangenen Herbst 2022 erstmals eine deutsche Verfilmung des Antikriegdramas heraus. Den Roman verfasste der deutsche Schriftsteller Erich Maria Remarque im Jahr 1928 und schilderte darin die ergreifende Geschichte eines jungen Mannes, der die Schrecken des Ersten Weltkrieges erlebte. Zweimal diente dieser Stoff bereits zuvor als Grundlage von filmischen Adaptionen, die erste und populärere erschien im Jahr 1930.


Der Film von Lewis Milestone gilt heute als einer der 100 besten Filme der US-amerikanischen Filmgeschichte und konnte zwei Oscars ergattern, für die „Beste Regie“ und als „Bester Film“. Die zweite Verfilmung, war eine für das Fernsehen produzierte Adaption, die 1979 über die Bildschirme lief. Auch die zweite Adaption von Delbert Mann konnte Kritiker überwiegend positiv stimmen und sein Antikriegsfilm gewann einen Golden Globe als bester TV-Film. Rund vierzig Jahre später machte sich Streaming-Anbieter Netflix nun an die dritte Verfilmung.


©Reiner Bajo/Netflix


Die Geschichte von „Im Westen nichts Neues“ setzt im Frühjahr 1917 ein, als der 17-jährige Paul Bäumer und seine Freunde in den Krieg ziehen wollen, davon träumend, den Sieg davonzutragen. Denn genau so stellen sie sich das vor und so ziehen sie jubelnd und singend los. Schon bald ebbt ihre Begeisterung ab und als sie nach einem tagelangen Marsch an der Westfront ankommen, beginnt es in Strömen zu regnen. Der gnadenlose Starkregen verwandelt den Schützengraben in einen Morast und als die Franzosen den Beschuss beginnen, bekommen die jungen Männer den Schrecken des Krieges mit aller Härte zu spüren …


Die Brutalität des Kriegsgeschehens, die schonungslose Darstellung des massenhaften Mordens an der Front, wird in der Netflix-Adaption fokussiert. Hatte sowohl die Buchvorlage als auch die erste Verfilmung auflockernde Episoden, lässt der neue Streifen nichts Schönes und Hoffnungsvolles. Es ist die niederschmetternde deutsche Perspektive, die Regisseur Edward Berger bildlich machen wollte, wie er gegenüber BLICKPUNKT:FILM ausführte:


„Unser Blick auf den Krieg ist geprägt von Gram und Scham, von Verwüstung und Schuld. Da bleibt nichts Positives, kein Funken Heldenhaftigkeit zurück. Unsere Geschichte, unseren Hintergrund und unsere Einstellung zum Krieg zur Triebfeder eines Films zu machen, empfand ich als eine große Herausforderung.“

Durch diese singuläre deutsche Perspektive ist der Netflix-Film durchaus eine neue filmische Herangehensweise, die sowohl hierzulande als auch global Zuschauer und Kritiker fasziniert. So wurde der Streifen bei Rotten Tomatoes von 92 Prozent der Kritiker positiv bewertet und erhielt 8,3 der möglichen 10 Punkte. Aber auch die Abrufzahlen auf dem Streaming-Dienst sind für Netflix sehr erfolgreich. Innerhalb der ersten drei Tage erreichte „Im Westen nichts Neues“ 31,5 Millionen Abrufstunden und stand damit direkt auf dem ersten Platz der nicht-englischsprachigen Netflix-Filmcharts. Auch in den Allzeit-Charts befindet sich der Streifen mit insgesamt 101,1 Millionen Abrufstunden auf Platz drei unter den nicht-englischsprachigen Filmen des Streaming-Anbieters.


©Reiner Bajo/Netflix


Der Film hat aber nicht nur das Publikum auf der ganzen Welt begeistert, sondern auch die Aufmerksamkeit der internationalen Filmindustrie auf sich gezogen. Konnten sich deutsche Filme bei internationalen Filmpreisen bislang lediglich als bester internationaler Film etwas ausrechnen, schreibt „Im Westen Nichts Neues“ derzeit deutsche Filmgeschichte. Nach sieben BAFTA-Gewinnen wird es spannend sein, was aus den neun Oscar-Nominierungen wird.


Obwohl Remarques Roman erstmals im Jahr 1929 veröffentlicht wurde, bleibt die Geschichte immer noch aktuell und relevant. Die Neuverfilmung trifft den Nerv der heutigen Zeit und erinnert uns an die zerstörerische Kraft des Krieges. Der Netflix-Film hat aber eine völlig andere Herangehensweise, ebenso wie Romane über jene Zeit heute anders geschrieben werden. Wie soll es auch anders sein, wenn über hundert Jahre dazwischen liegen. Sowohl der Roman als auch die erste Verfilmung sind eine Aufarbeitung jüngster Vergangenheit, die neue Adaption wird nun von vielen Menschen angesehen, die nicht sonderlich viel vom Ersten Weltkrieg wissen.


Drückte der Antikriegsfilm 1930 die Sinnlosigkeit eines Krieges oftmals durch pointierte Dialoge aus, versucht der neue Ansatz durch die Brutalität, die aus Menschen Tiere werden lässt, das Grauen bildlich zu machen. Sieht man sich in der Filmgeschichte die Entwicklung an, so macht das auch Sinn, da Konsumenten immer mehr explizite Gewaltspitzen und freizügige Darstellung bevorzugen.


©Reiner Bajo/Netflix


Der Film zeigt uns auf eine schonungslose Weise, dass die Auswirkungen des Krieges auf die menschliche Psyche verheerend sind. Diese Botschaft kommt auch beim Zielpublikum an, wie die bisherigen Reaktionen gezeigt haben. Als Literaturverfilmung hat der Streifen allerdings seine Schwächen, ist oftmals weit weg vom Ton Remarques und die Gefühlswelten von Protagonist Paul Bäumer bleiben bloße Andeutung, auch wenn die Kamera ihn fokussiert.


Doch auch wenn sowohl in der historischen Darstellung als auch in der Verwertung der Buchvorlage nicht alles rund funktionierte, ist „Im Westen Nichts Neues“ eine epische Offenbarung über das wahre Gesicht des Krieges, die mit Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine nicht wichtiger sein könnte.

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