Netflix übernimmt Warner Bros.: Ein Deal, der Hollywood neu ordnet?
- Toni Schindele
- vor 40 Minuten
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Der größte Streaminganbieter der Welt und eines der traditionsreichsten Studios Hollywoods sollen künftig unter einem Dach stehen: Netflix übernimmt Warner Bros. – vorbehaltlich kartellrechtlicher Genehmigung. Doch was bedeutet dieser Deal konkret?

Am 5. Dezember 2025 kündigten beide Unternehmen an, dass Netflix für 72 Milliarden US-Dollar – je nach Wechselkurs etwa 61 bis 62 Milliarden Euro – das komplette Eigenkapital der Studiosparte von Warner Bros. erwirbt. Der Enterprise Value – also der Gesamtwert des Unternehmens inklusive Schulden – liegt bei 82,7 Milliarden Dollar, umgerechnet rund 70 bis 71 Milliarden Euro. Der Deal umfasst unter anderem Warner Bros. Pictures, HBO, den Streamingdienst HBO Max, die DC Studios und Warner Bros. Television. In seiner Dimension ist der Zusammenschluss nur noch mit Disneys Übernahme von 21st Century Fox vergleichbar. Parallel spaltet Warner Bros. Discovery alle linearen Sender – darunter CNN, TBS, TNT und Discovery sowie weitere Free-TV- und Spartenkanäle – in das neue Unternehmen Discovery Global ab, das unabhängig an die Börse gehen soll. Die ungewöhnlich hohen Vertragsstrafen von bis zu 5,8 Milliarden US-Dollar für Netflix und 2,8 Milliarden US-Dollar für Warner Bros. unterstreichen, wie groß die politischen und finanziellen Risiken eingeschätzt werden.
Die Abspaltung von Discovery Global ist derzeit für das dritte Quartal 2026 geplant; der Abschluss des Netflix-Deals soll anschließend innerhalb von 12 bis 18 Monaten erfolgen. Realistisch kann daher mit einem Closing – also dem endgültigen Vollzug des Deals – frühestens

Ende 2026 gerechnet werden; Verzögerungen bis 2027 wären aber durchaus wahrscheinlich. Doch wer sind die beiden Konzerne, die hier zusammengeführt werden sollen? Netflix startete 1997 als DVD-Versanddienst und entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zum globalen Streaming-Pionier mit inzwischen über 300 Millionen Abonnenten weltweit. Serien wie „Stranger Things“, „Bridgerton“, „Squid Game“ oder „Wednesday“ prägten die Popkultur der vergangenen Jahre. Mit einem jährlichen Content-Budget von derzeit rund 17 bis 18 Milliarden US-Dollar gehört Netflix zu den größten Einzelinvestoren in Film- und Serienproduktion.
Gleichzeitig blieb das Verhältnis zum Kino ambivalent: Filme wie „Roma“, „The Irishman“ oder

„Glass Onion: A Knives Out Mystery“ erhielten zwar Festivalpräsenz und ausgewählte Kinoläufe, doch im Zweifel zählte bislang die schnelle Verfügbarkeit auf der eigenen Plattform – mit kurzen oder gar keinen exklusiven Kinofenstern. Warner Bros. wiederum gehört seit über einem Jahrhundert zu den prägenden Kräften Hollywoods. 1923 von den vier Warner-Brüdern gegründet, steht das Studio für Klassiker wie „The Jazz Singer“ – den ersten Tonfilm – und „Casablanca“ ebenso wie für moderne Blockbusterwelten: „Harry Potter“, „The Dark Knight“, „Mad Max“, „Dune“, „Matrix“ und das DC-Superheldenuniversum. Mit den Looney Tunes, jenen ikonischen Cartoon-Kurzfilmen um Figuren wie Bugs Bunny oder Daffy Duck, prägte Warner die Animationskultur; mit Sitcom-Dauerbrennern wie „Friends“ und „The Big Bang Theory“ wiederum die globale TV-Landschaft.
Und über allem steht HBO, jene Marke, die seit Jahrzehnten als Maßstab für anspruchsvolles

Erzählen gilt: „The Sopranos“, „The Wire“, „Succession“, „True Detective“ und „Game of Thrones“ und seine Ableger gehören zu den Eigenproduktionen. Dass Warner Bros. nun mehrheitlich von einem Streamingkonzern kontrolliert werden könnte – nachdem Amazon bereits das deutlich kleinere Studio MGM gekauft hat – stellt einen Bruch mit der bisherigen Medienordnung dar. Zwar arbeiteten Studios, Sender und Plattformen schon lange eng zusammen, doch ein Zusammenschluss dieser Größenordnung ist neu.Die möglichen Folgen sind weitreichend. Rechnet man Netflix’ mehr als 300 Millionen Abonnenten und die rund 120 bis 130 Millionen Streaming-Kunden von Warner Bros. zusammen, entstünde ein Anbieter mit weltweit deutlich über 400 Millionen Streaming-Abos. Je nach Kennzahl käme ein gemeinsamer Konzern im US-Streamingmarkt auf einen Anteil von grob einem Drittel bis nahe der Hälfte – ein Wert, der sowohl Wettbewerbsbehörden als auch die Konkurrenz aufhorchen lässt.
Für Zuschauer mag das zunächst vor allem wie ein Komfortgewinn wirken, weil prestigeträchtige Marken unter einem Dach abrufbar sind; für die Branche bedeutet es eine historische Konzentration von Rechten, Reichweite und Verhandlungsmacht. Besonders sensibel

ist die Frage, was dieser Zusammenschluss für das Kino bedeutet. Mehrere Branchenverbände warnen, Netflix könne Kinofenster weiter verkürzen oder mittlere Studiofilme – jene Titel also, die jahrzehntelang das Rückgrat der Warner-Filmografie bildeten – aus der klassischen Kinoauswertung herauslösen und stärker direkt ins Streaming schieben. Programmkinos und unabhängige Betreiber sehen darin ein zusätzliches Risiko in ohnehin schwierigen Zeiten. Gleichzeitig sprechen strukturelle Faktoren dagegen, dass ein Konzern dieses Kalibers das Kino flächendeckend marginalisieren könnte: Marken wie DC, „Dune“ oder „Mad Max“ erzielen ihren höchsten kommerziellen und kulturellen Wert durch weltweite Kinostarts, hohe Startwochenenden und Premiumformate wie IMAX oder 70-mm-Vorführungen.
Ohne diese Bühne lassen sich Produktions- und Marketingbudgets in Milliardenhöhe kaum refinanzieren – und genau darauf verweisen auch Netflix und Warner Bros. Discovery, die laut Reuters zugesichert haben, dass bestehende Kinopläne und große Event-Franchises im Falle einer Übernahme vorerst unverändert bleiben sollen. Hinzu kommt, dass Auflagen zu Mindest-Kinofenstern, Investitionspflichten oder zur Sicherung unabhängiger Produktionen Teil kartellrechtlicher Auflagen werden könnten. Wahrscheinlicher als ein abrupter Bruch ist deshalb eine Verschiebung: Das Eventkino konzentriert sich noch stärker auf wenige globale Prestige-Produktionen, während kleinere Studiofilme auf der Leinwand seltener werden und häufiger direkt im Streaming landen. Für Kinos bedeutet das deshalb vermutlich, ihr Profil weiter zu schärfen – etwa durch kuratierte Programme, Festivals, Specials und eine stärkere Ausrichtung auf unabhängige und nationale Produktionen. Aber auch politisch ist der Deal heikel. In den USA warnt inzwischen eine Reihe von Abgeordneten beider großer Parteien vor einer beispiellosen Ballung von Medienmacht; unter anderem spricht Senatorin Elizabeth Warren laut ebenfalls Reuters von einem „anti-monopolistischen Albtraum“ und fordert eine strikte kartellrechtliche Prüfung.
In Europa rücken neben klassischem Wettbewerbsrecht vor allem Fragen nach kultureller Vielfalt, Arbeitsbedingungen in der Branche und algorithmischer Transparenz in den Vordergrund: Wie werden Inhalte priorisiert, wenn ein einzelner Konzern sowohl die Plattform als auch einen erheblichen Teil der zugelieferten Inhalte kontrolliert? Möglich ist, dass Genehmigungen nur unter strengen Auflagen erfolgen – von Quoten für lokale Produktionen über Transparenzvorgaben bei Empfehlungssystemen bis hin zu verpflichtenden Lizenzierungen ausgewählter Inhalte an Wettbewerber. Scheitert der Deal, greifen milliardenschwere Vertragsstrafen; gelingt er, entsteht ein Medienkomplex, der Produktionsweisen, Auswertungsmodelle und Sichtbarkeit global neu sortiert. Wie viel Vielfalt, Risikobereitschaft und künstlerische Freiheit eine solche Struktur zulässt – oder ob sie stärker in Richtung Monopolisierung, Kostensenkung und algorithmische Vereinheitlichung driftet –, wird erst die kommende Dekade zeigen. Sicher ist nur: Hollywood verändert sich grundlegend. Und die Frage, wem die Bilder gehören, wer über ihre Wege entscheidet – Kino, Streaming, Fernsehen – und wer letztlich den Zugang dazu kontrolliert, wird neu verhandelt werden.

