Rúnar Rúnarsson im Interview zu „Wenn das Licht zerbricht“: „Viele Szenen sind tatsächlich in nur einer einzigen Einstellung gedreht“
- Toni Schindele
- 9. Mai
- 4 Min. Lesezeit
„Ich hoffe, dass die Zuschauenden einen Teil ihrer eigenen Realität darin wiederfinden“, sagt Rúnar Rúnarsson über seinen neuen Film „Wenn das Licht zerbricht“, der als Eröffnungsbeitrag der Reihe „Un Certain Regard“ in Cannes gezeigt wurde.

Trauer kennt keinen festen Fahrplan. Sie bricht unvermittelt ein, legt sich über Gespräche und Gedanken, verschiebt Prioritäten – und zwingt uns, im Moment zu verharren, noch ehe wir begreifen, was geschehen ist. Genau diesen rohen, ungefilterten Zustand rückt der isländische Regisseur Rúnar Rúnarsson in den Mittelpunkt seines neuen Films „Wenn das Licht zerbricht“. Seit seinem vielfach ausgezeichneten Langfilmdebüt „Volcano“ gehört er zu den interessantesten Stimmen des europäischen Arthouse-Kinos. Im Interview spricht Rúnar Rúnarsson über die Entscheidung, Trauer nicht als Prozess, sondern als Momentaufnahme zu erzählen – und darüber, warum Filme nicht immer Antworten geben müssen.
Der Film Journalist: Warum war der erste, unmittelbare Tag der Trauer für Sie erzählerisch spannender als ein langer Verarbeitungsprozess?
Rúnar Rúnarsson: Es gibt viele Bücher und große Erzählungen über Trauer, aber alle, die ich gelesen oder gesehen habe, erstrecken sich über einen langen Zeitraum. Es gibt eine Entwicklung und am Ende überwinden die Menschen den Verlust. Aber der erste Verlust, jemand im eigenen Alter, das ist etwas anderes. Es ist das erste Mal, dass man jemanden verliert, der einem wirklich auf Augenhöhe begegnet. Das ist ein großer Einschnitt – mit einer gewaltigen emotionalen Wucht. Genau das hat mich interessiert. Ich wollte keine Lösung anbieten. Ich finde, Filme entwickeln sich immer mehr in eine Richtung, in der sie wie biblische Gleichnisse funktionieren: mit einer eindeutigen Moral. Aber das Leben ist komplizierter. Wir haben genug religiöse Literatur, im Christentum und auch in anderen Religionen.
Wer Moral will, kann ein religiöses Buch aufschlagen oder Philosophie lesen. Filme müssen das

nicht leisten. Viele Menschen erwarten das aber. Deshalb ist unser Film wahrscheinlich nicht für alle geeignet. Manche werden sagen, das sei nur der erste Akt von etwas oder es fehle die Entwicklung. Aber nicht alles muss gleich funktionieren. Ob es für uns funktioniert hat oder nicht – so wollte ich es machen. Ich wollte diese Zeit abbilden, auch mit all ihren leeren Momenten. Zeiten, in denen man nicht weiß, wie es weitergeht. In denen man eben noch weint und Sekunden später lacht. Diese emotionale Achterbahnfahrt – und gleichzeitig das Gefühl, völlig hilflos zu sein. Deshalb haben wir den Film in den Rahmen von zwei Sonnenuntergängen gesetzt.
Der Film Journalist: Sie haben die Sonnenuntergänge schon angesprochen – und überhaupt spielt Licht eine zentrale Rolle in Ihrem Film. Was bedeutet Licht für Sie in dieser Geschichte?
Rúnar Rúnarsson: In Island hat Licht zu dieser Jahreszeit eine besondere Qualität. Die Sonnenuntergänge ziehen sich lange hin, sie erzeugen eine ganz eigene Energie. Island ist im Winter sehr dunkel, im Sommer dagegen sehr hell – es strahlt dann fast vor Energie. Am Anfang des Films steht der erste Sonnenuntergang. Einer der Hauptfiguren – auch wenn er nicht mehr

physisch anwesend ist – bleibt durch das Licht präsent. Er ist durch Farben vertreten, durch Licht, durch visuelle Hinweise. Wenn wir wollen, dass er spürbar ist, setzen wir Elemente mit sonnigen Farben ein. Mir geht es nicht darum, dass das Publikum das bewusst wahrnimmt. Wir arbeiten mit Metaphern, Farben, filmischen Mitteln, um beim Publikum etwas auszulösen. Mir ist wichtiger, dass sie etwas fühlen, ohne genau zu wissen, warum. Es geht nicht darum, clever zu sein und die Konstruktionen zu entlarven – sondern darum, dass etwas in ihnen nachhallt. Er ist das Licht. Deshalb beginnt der Film mit einem Sonnenuntergang und endet mit einem.
Der Film Journalist: Viele Szenen wirken, als wären sie in einer einzigen Einstellung gedreht. Wie haben Sie dieses Gefühl von Echtzeit inszeniert?
Rúnar Rúnarsson: Viele Szenen sind tatsächlich in nur einer einzigen Einstellung gedreht – ohne Schnitt. Denn sobald man schneidet, zerstört man die Zeit. Und sobald man die Zeit zerstört, macht man dem Publikum bewusst, dass es sich um eine Konstruktion handelt. Aber ich möchte, dass die Zuschauenden das vergessen. Wenn wir es schaffen, dass sie nur für einen Moment vergessen, dass sie einen Film sehen, wenn sie etwas Echtes spüren – dann haben wir erreicht, was wir wollten. Es war aber kein Dogma, aber es ergab sich oft so. Wir haben alles sehr sorgfältig vorbereitet, damit es funktioniert. Normalerweise entsteht der Rhythmus erst im Schnitt, aber hier entstand er schon bei den Dreharbeiten – durch die Kamera, durch die Schauspielenden und ihr Zusammenspiel mit der Umgebung.
Der Film Journalist: Warum wollten Sie Trauer nicht als Rückzug, sondern in Begegnungen mit Fremden erzählen?
Rúnar Rúnarsson: Una versucht, sich zurückzuziehen. Sie ist ein eher einzelgängerischer

Mensch und will das mit sich selbst ausmachen. Aber niemand kann wirklich ganz für sich sein. Deshalb wird sie – fast wie von einem Magneten – doch wieder zu anderen Menschen hingezogen. Und das sind größtenteils Menschen, die sie gar nicht kennt. Trotzdem hat sie mehr mit ihnen gemeinsam als mit ihren Eltern oder älteren Freunden. Denn diese Fremden erleben gerade etwas Ähnliches wie sie – sie teilen denselben Schmerz. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sie sich ihnen öffnet.
Der Film Journalist: Was wünschen Sie sich, dass das Publikum nach dem Film für sich mitnimmt?
Rúnar Rúnarsson: Ich hoffe, dass die Zuschauenden einen Teil ihrer eigenen Realität darin wiederfinden. Vielleicht spiegelt sich ein Fragment von ihnen selbst im Film. Und idealerweise schauen sie ihn nicht allein, sondern mit jemandem – und sprechen danach darüber. Vielleicht sind sie sich nicht einig, aber sie haben etwas zum Reden. Ich versuche, in meinen Filmen so ehrlich wie möglich zu sein. Auch gegenüber mir selbst. Ich spiegele mich in ihnen, reflektiere und ich hoffe, dass das auch für andere gilt. Selbst wenn sie keine 22-jährige, rothaarige Isländerin mit kurzen Haaren sind – es gibt diese universellen, menschlichen Erfahrungen. Das ist das Schöne am Kino: Wir können Filme aus Kenia, Venezuela oder Finnland sehen und wir fühlen uns verbunden, weil es um das Menschsein geht.
Rúnar Rúnarssons „Wenn das Licht zerbricht“ ist am 8. Mai 2025 in den Kinos gestartet. Neugierig geworden? – sieh hier den Trailer:
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