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Susanne Schneider im Interview zum Erzgebirgskrimi „Über die Grenze“: „Es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen“

  • Autorenbild: Toni Schindele
    Toni Schindele
  • vor 4 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

„Es ist enorm schwer, dem Genre Krimi noch Überraschungen und originelle Geschichten abzutrotzen“, erzählt Drehbuchautorin Susanne Schneider. Ist es ihr mit der neuen Folge des ZDF-Erzgebirgskrimis „Über die Grenze“ gelungen?


Susanne Schneider im Interview zum Erzgebirgskrimi „Über die Grenze“: „Es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen“
Bildnachweis: © ZDF/Conrad Lobst

Susanne Schneider hat im Laufe ihrer Karriere viele künstlerische Felder durchschritten: Nach einem Kunststudium an den Akademien in Stuttgart und Düsseldorf begann sie als Regieassistentin am Theater, ehe sie mit eigenen Inszenierungen und Stücken wie „Die Nächte der Schwestern Brontë“ Aufmerksamkeit erregte – einem Werk, das bis heute regelmäßig gespielt wird. Für das Drehbuch zur BR-Produktion „Fremde, liebe Fremde“ erhielt sie 1991 den Bayerischen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist sie eine feste Größe im deutschen Fernsehen. Nun hat sie auch das Drehbuch zur neuen Erzgebirgskrimi-Folge „Über die Grenze“ geschrieben, die am 30. August 2025 ausgestrahlt wird.


Der Film Journalist: Sie sind in Stuttgart geboren – was reizt Sie am Erzgebirge als Handlungsort?


Susanne Schneider: Die Einmaligkeit der Landschaft, die unberührte Natur, die es dort gibt, die Geschichte, die sich so vollkommen von der unterscheidet, die uns im Westen geprägt hat. Mit dem verantwortlichen Redakteur Pit Rampelt hatte ich schon einige Filme gemacht und habe mich gefreut, dass es wieder zu einer Zusammenarbeit kam.


Der Film Journalist: Ihr Einstand „Familienband“ war eine Folge, die sich dem Thema Fremdenfeindlichkeit annimmt. Jetzt zeigte der Glücksatlas 2024 eine gesunkene Lebenszufriedenheit in Sachsen und bei der letzten Bundestagswahl entfielen im Erzgebirge über 46 Prozent der Stimmen auf die AfD. Was würden Sie sagen, wie sehr sollte sich fiktionales Fernsehen gesellschaftspolitisch positionieren?


Susanne Schneider im Interview zum Erzgebirgskrimi „Über die Grenze“: „Es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen“
Bildnachweis: © ZDF/Conrad Lobst

Susanne Schneider: Ich würde nicht sagen, dass sich fiktionales Fernsehen unbedingt positionieren muss, aber es muss Strömungen aufgreifen und fiktional umsetzen – und das ohne erhobenen Zeigefinger. Bei einer Krimireihe, die in einer bestimmten Region spielt, in diesem Fall dem Erzgebirge, kann man sich nicht nur mit Rachermannl, Holzschnitzereien und Weihnachtsschmuck befassen, man muss auch unbequeme Themen anpacken, wenn man profunde Geschichten erzählen will. Wunderbarerweise waren alle meine Gesprächspartner dort enorm kooperativ. Ja, fiktionales Fernsehen muss mehr politische Stoffe wagen, als es jetzt der Fall ist. Man darf sich nicht nur an das vermeintlich Gewollte anschmiegen und auf die Quote starren. Warum da so eine Ängstlichkeit grassiert, verstehe ich nicht.


Der Film Journalist: Der Krimi ist das dominierende Genre im deutschen Fernsehen, wird aber immer wieder für formelhafte Plots, stereotype Figuren und inszenatorische Einfallslosigkeit kritisiert. Wie sehen Sie die Krimi-Formate in der deutschen Fernsehlandschaft?


Susanne Schneider: Too much, too many, too often. Ich habe keine belastbaren Zahlen, aber gefühlt besteht das Programm zu 90 Prozent aus Krimis – und da eben vor allem aus Reihen. Und selbstverständlich besteht bei dieser Masse die Gefahr des Stereotypen, des tausendmal Gesehenen. Es ist enorm schwer, dem Genre Krimi noch Überraschungen und originelle Geschichten abzutrotzen, zumal der Mut, neue Wege zu gehen, neue Erzählformen auszuprobieren, nicht sehr ausgeprägt ist. Man muss sich schon fragen, was mit diesem Land los ist, das sich so sehr an Mord und Totschlag ergötzt.


Der Film Journalist: Sie sind die erste Frau, die beim Erzgebirgskrimi ein Drehbuch geschrieben hat. Gerade auch im deutschen TV-Krimi ist der Männeranteil sehr hoch, dabei ist der Anteil von Frauen und Männern in Drehbuch- und Regiestudiengängen deutlich ausgeglichener. Wie sehen Sie das?


Susanne Schneider: Da hat sich schon vieles verbessert, die Zahlen waren früher noch dramatischer. Laut meinem Verlag wollen allerdings viele Autorinnen keine Krimis schreiben, sie wollen sich nicht mit Mord und Gewalt beschäftigen.


Der Film Journalist: Spricht man mit Filmschaffenden, so zieht sich durch, dass man sich darüber beklagt, beim Fernsehen weniger Zeit als beim Kino zu haben. Gibt es für Sie als Drehbuchautorin auch Unterschiede, wenn Sie fürs Fernsehen oder fürs Kino schreiben?


Susanne Schneider: Ja, allerdings. Man kann im Kino radikaler erzählen, die Erzählzeit ist nicht auf 88:30 Minuten festgeklopft, man kann viel visueller erzählen. Es gibt Stoffe, da weiß man sofort: Diese Geschichte ist nicht fürs TV. Allerdings ist die Situation momentan dramatisch, die meisten Kinofilme sind unterfinanziert. Es herrscht das Prinzip: Zu wenig Geld für zu viele Filme. Man kann nur hoffen, dass das neue Filmfördergesetz, das ja eine erhebliche Finanzspritze beinhaltet, dem deutschen Kino wieder Leben einhaucht.


Der Film Journalist: Nun war „Familienband“ auch die ausgesprochene Lieblingsfolge von Kai Scheve, und Lara Mandoki meinte ebenfalls, dass gerade bei dieser Folge die Atmosphäre des Erzgebirges besonders stimmig mit dem Fall verwoben sei. Was würden Sie sagen: Was braucht es für einen gelungenen Erzgebirgskrimi?


Susanne Schneider: Nun ja, genau das. Stimmige Figuren, die etwas miteinander zu verhandeln haben, und einen sich daraus ergebenden spannenden Plot. Worauf die Produzenten Rainer Jahreis, der die Reihe erfunden hat und Clemens Schaeffer und natürlich auch die Redaktion besonderen Wert legen, ist, dass die Geschichte nur im Erzgebirge stattfinden kann.


Der Film Journalist: Da Sie auch schon für andere Krimi-Formate geschrieben haben – was würden Sie sagen, hebt den Erzgebirgskrimi von anderen ab und inwieweit spielt die Natur des Erzgebirges in der Dramaturgie eine narrative Rolle?


Susanne Schneider im Interview zum Erzgebirgskrimi „Über die Grenze“: „Es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen“
Bildnachweis: © ZDF/Conrad Lobst

Susanne Schneider: Man kann sich in dieser Landschaft verlieren, es ist einer der wenigen Landstriche in Deutschland, in denen man noch wilde Natur finden kann. Dazu die Grenznähe zu Tschechien, zum ehemaligen Ostblock, die reiche und wechselhafte Geschichte des Erzgebirges, die vielen verlassenen Stollen, die Abbauruinen. Dazu – jedoch zum Leidwesen der dort lebenden Menschen – die noch teilweise eklatante Strukturschwäche, die, mit einem filmischen Auge betrachtet, eben spannendere Motive bietet als unsere aufgeräumte westdeutsche Welt. Dies alles bietet enorme erzählerische Möglichkeiten.


Der Film Journalist: Cold Cases sind durch den True-Crime-Hype beliebter denn je. Der neue Erzgebirgskrimi rückt nun ein Verbrechen aus der DDR-Vergangenheit in den Fokus. Wie kam es zu dieser Geschichte?


Susanne Schneider: Durch die Historie. Eben die Vorgabe, dass es eine Geschichte sein muss, die nur im Erzgebirge spielen kann. Mich hat dieses Niemandsland fasziniert, das nach dem Mauerfall entstand, und die Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft.


Der Film Journalist: In diesem Fall gerät Kommissar Robert Winkler in Lebensgefahr. Was hat Sie daran gereizt, mit seinem Verschwinden eine große dramatische Fallhöhe mit Wettlauf gegen die Zeit zu erzählen, und was hat Sie daran gereizt, dass nun Karina Szabo und Saskia Bergelt als Ermittlerinnen-Duo den Fall angehen?


Susanne Schneider im Interview zum Erzgebirgskrimi „Über die Grenze“: „Es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen“
Bildnachweis: © ZDF/Conrad Lobst

Susanne Schneider: Ich wollte unbedingt diese beiden Frauen einmal auf andere Weise zusammenbringen, als man sie bisher gesehen hat. Bis jetzt waren sie ja nicht die besten Freundinnen, in diesem Fall aber müssen sie zusammenhalten, denn sie haben ein gemeinsames Interesse, nämlich Winkler zu finden. Und dazu musste der gute Kommissar eben verschwinden. Und es hat mich gereizt, die Figur Winkler in eine wirkliche Ausnahmesituation zu bringen.


Der Film Journalist: „Über die Grenze“ läuft am Samstag, dem 30. August 2025, zur Prime Time um 20.15 Uhr im ZDF. Deshalb zum Abschluss: Warum sollte man einschalten, und warum darf man diese Folge auf keinen Fall verpassen?


Susanne Schneider: Weil ein super Ensemble am Start ist, weil der Regisseur Thorsten M. Schmidt, mit dem ich bereits zwei Filme gemacht habe, sehr gute Arbeit geleistet hat – genau wie Kamera, Schnitt und Musik – und weil, das hoffe ich zumindest, für Spannung und gute Unterhaltung gesorgt ist.

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