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Kritik zu „The Zone of Interest“: Ein Film, der die Sinne erschüttert

Die 96. Oscars zeichneten das Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“ als den besten internationalen Film und für den besten Ton aus. Doch wie beeindruckend ist diese außergewöhnlich produzierte internationale Koproduktion zwischen dem Vereinigten Königreich, Polen und den USA, die in deutscher Sprache gedreht wurde, tatsächlich?


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

„The Zone of Interest“ ist der vierte Langspielfilm des britischen Regisseurs Jonathan Glazer, der zuvor mit dem Science-Fiction-Thriller „Under the Skin“ Aufsehen erregte. Diesmal wagt er sich an ein äußerst heikles Thema heran, das höchste Sensibilität erfordert: dem deutschen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Es war der größte Komplex von Gefangenenlagern im nationalsozialistischen Deutschland und forderte das Leben von weit über einer Million Menschen. Doch Glazer wählt einen unkonventionellen Ansatz – sein Fokus liegt nicht auf den Insassen des Konzentrationslagers, sondern auf jenen, die direkt neben den grausamen Mauern dieser Lager lebten.


Inspiriert von Martin Amis' Roman „The Zone of Interest“ nimmt Glazer lediglich einige Motive aus dem Werk auf und verzichtet auf die im Buch beschriebene Liebesgeschichte. Stattdessen richtet er den Blick auf die unbeteiligten Beobachtenden, die Komplizen – „normale Deutsche“, wie Glazer sie selbst beschreibt. Ist aus dieser Herangehensweise das schockierende Auschwitz-Drama entstanden, das der Film verspricht?


Darum geht es:


Familie Höß lebt in einem scheinbar idyllischen Haus mit einem liebevoll gepflegten Garten. Die Sonne scheint, die Blumen blühen und die Kinder spielen vergnügt im Wasser. Doch hinter den Mauern ihres Grundstücks verbirgt sich die grausame Realität: Sie leben am Rande des Vernichtungslagers Auschwitz, wo Familienvater Rudolf Höß als Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz sein Schreckensregime führt. Das dumpfe Arbeiten der Vergasungsanlagen und die verinzelten Schreie der Opfer dringen nur gedämpft zu ihnen.


Die Rezension:


Dass „The Zone of Interest“ ein besonders Werk ist, wird beim Ansehen bereits früh deutlich. Nachdem die Produktionsfirmen und der Titel des Films eingeblendet wurden, bleibt das Bild zunächst in eine undurchdringliche Schwärze gehüllt. Doch schon zu Beginn dringt eine akustische Wucht aus dumpfen Bässen und wehklagendem Gesang durch, die die Atmosphäre für das, was folgt, setzt. Glazers Fokus liegt nicht nur auf dem Visuellen, sondern vielmehr auf dem Akustischen. Hier gibt es keinen Horror in Form von verstörenden Bildern; stattdessen manifestiert sich das Grauen des Konzentrationslagers überwiegend in der akustischen Ebene.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

Das herausragende Sounddesign, das in Zusammenarbeit mit dem renommierten Tondesigner Johnnie Burn entstand, ist dabei zweifelsohne das Herzstück des Films. Eine akribische Recherche bildete die Grundlage für die akustische Inszenierung: Glazer und Burn arbeiteten mit einem 600-seitigen Dokument, das nicht nur die Ereignisse in Auschwitz detailliert beschrieb, sondern auch eine präzise Karte des Lagers enthielt. Diese Karte diente dazu, die Entfernung und die Lautstärke der Geräusche im Lager genau zu bestimmen, und lieferte somit eine akustische Kulisse, die so authentisch wie möglich war.


Johnnie Burn investierte ganze zwölf Monate in den Aufbau einer umfangreichen Tonbibliothek, die sämtliche Geräusche von Produktionsmaschinen über Krematorien bis hin zu Schüssen und Schreien umfasste. Während der Dreharbeiten und der Postproduktion wurde diese Bibliothek kontinuierlich erweitert und verfeinert, um eine noch größere Vielfalt und Realitätsnähe zu gewährleisten. Das akribische Streben nach Authentizität zeigt sich auch in der Wahl der Filmmusik von Mica Levi. Anders als viele Filme, die auf musikalische Effekte setzen, entschied sich Glazer jedoch bewusst gegen eine übermäßige Nutzung von Musik, um eine ungeschönte Darstellung der Ereignisse sicherzustellen.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

Stattdessen setzt er gezielt auf ausgewählte Musikstücke, die den Prolog begleiten und ausgewählte Klanglandschaften und -collagen, die die bedrückende Atmosphäre des Films verstärken, ohne von der Rohheit der akustischen Kulisse abzulenken. Diese sorgfältige Herangehensweise an das Sounddesign trägt maßgeblich dazu bei, dass „The Zone of Interest“ zu einem tief berührenden und erschütternden Filmerlebnis wird. Die Zuschauenden werden nicht nur visuell, sondern auch auditiv in die schrecklichen Ereignisse von Auschwitz hineingezogen und erleben sie hautnah mit. Durch die präzise gestaltete akustische Umgebung werden die Emotionen verstärkt und das Publikum in einen Sog aus Schrecken und Entsetzen gezogen, der lange nachwirkt.


Die visuellen Szenen zeigen dunkle Rauchschwaden aus dem Kamin, das dumpfe Rattern des Krematoriums, die dreckige Luft, Schreie und Gewehrschüsse – Bilder, die kontrastieren mit der idyllischen Welt im Einfamilienhaus. Während für die Familie diese Umgebung Normalität zu sein scheint, lässt allein Hedwigs Mutter die schreckliche Realität von Auschwitz nachts nicht los. Es ist eine Realität, die in „The Zone of Interest“ nicht durch explizite Bilder oder großangelegte Inszenierungen vermittelt wird. Gerade der Umgang der Charaktere mit der menschlichen Massenvernichtung, zwischen Ignoranz und Euphemismus, ist kaum auszuhalten.


So sprechen die Ingenieure des Ringverbrennungsofens genz nüchtern von sogenannten „Ladungen“, die verbrannt werden können. Jonathan Glazer nähert sich behutsam einem Porträt des Unfassbaren, lässt jedoch ein vollständiges Bild der Familie und von Rudolf Höß vermissen. Obwohl Höß' unmenschliches Handeln und seine analytische Vorgehensweise gezeigt werden, bleibt sein Charakter distanziert und undurchsichtig. Glazer bewahrt dabei ganz bewusst eine gewisse Distanz zu seinen Figuren, um keinesfalls selbst zu beschönigen. Während Christian Friedel als Rudolf Höß etwas zu blass bleibt, beeindruckt gerade Sandra Hüller, die Höß' Ehefrau mit furchteinflößender Normalität bewusst empathielos verkörpert.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

„The Zone of Interest“ fokussiert nicht nur auf die Täter, sondern zeigt auch das Leben vor den Mauern des Konzentrationslagers. Durch einen fast dokumentarischen Blick auf das alltägliche Leben der Charaktere gelingt es dem Film, neue Perspektiven zu eröffnen und bisher unerforschte Aspekte des Holocausts zu beleuchten. Diese Herangehensweise fordert das Publikum heraus, das Unvorstellbare zu erfassen und die Komplexität der menschlichen Natur zu hinterfragen.


Die Dreharbeiten fanden größtenteils an Originalschauplätzen im Konzentrationslager Auschwitz statt, wobei vor allem auch eine detailgetreue Nachbildung des Höß-Hauses für den Film errichtet wurde. Chris Oddy, der Szenenbildner, investierte mehrere Monate, um das verlassene Haus hinter einer Lagermauer des KZs in die Nachbildung der Höß-Residenz zu verwandeln. Eine besondere technische Innovation war der Einsatz ferngesteuerter Kameras im rekonstruierten Wohnhaus der Familie Höß.


Diese ermöglichten es, Szenen mit bis zu zehn Kameras in verschiedenen Räumen aufzunehmen und so chronologische überlappende Sequenzen zu realisieren. Dieser Ansatz, von Glazer als „Big Brother im Nazi-Haus“ bezeichnet, ermöglichte den Schauspielenden ein hohes Maß an Improvisation und Bewegungsfreiheit während der Dreharbeiten. Glazer und sein Kameramann Łukasz Żal verzichteten bewusst auf zusätzliche Beleuchtung, um eine Ästhetisierung von Auschwitz zu vermeiden und eine möglichst realistische Darstellung der Ereignisse zu gewährleisten.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

Jonathan Glazer hat mit „The Zone of Interest“ ein eindrucksvolles Werk geschaffen, das sich von den bisherigen Holocaust-Filmen abhebt und eine ganz eigene, kunstvolle Erzählweise präsentiert. Durch die gelegentliche Einbindung von Schwarz-Weiß-Szenen, die fast märchenhaft wirken, schafft Glazer eine atmosphärische Dichte, die den Zuschauer kurzzeitig aus der bedrückenden Realität des Lagers entführt. Diese künstlerische Entscheidung mag jedoch paradox erscheinen, da sie die Grauenhaftigkeit des Geschehens möglicherweise abschwächt, jedoch steckt hinter dieser kreativen Entscheidung ein ergreifendes Leinwandtribut an Aleksandra Bystroń-Kołodziejczyk.


Dieses junge Mädchen hinterließ Essen für die Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz und schloss sich später der Widerstandsgruppe Union des Bewaffneten Kampfes (ZWZ-AK) an, um Botschaften zu überbringen. Ihre beeindruckende Geschichte wird in Glazers Film lebendig, in dem sie nachts Essen für die KZ-Häftlinge hinterlässt. Das Haus, das im Film als Kulisse diente, war tatsächlich das Haus, in dem sie einst lebte, und das Fahrrad sowie das Kleid im Film gehörten ihr persönlich. Die Nachtszenen, die ihre Figur zeigen, waren übrigens nicht animiniert oder gezeichnet, sondern wurden mit einer hochauflösenden Thermografiekamera aufgenommen, wodurch das junge Mädchen in der Dunkelheit regelrecht leuchtete. Glazer würdigte Bystroń-Kołodziejczyk in seiner Oscar-Dankesrede und beschrieb sie als ein „Mädchen, das sowohl im Film als auch im Leben Stärke ausstrahlt“.


Besonders beeindruckend ist Glazers Fokus auf die kleinen Details des Lebens innerhalb der Familie Höß, wie etwa die Kinder, die zur Schule gehen, oder Rudolf, der zur Arbeit reitet. Auch Hedwig, deren zweistöckiges Haus an das Konzentrationslager angrenzt, wird in ihrer täglichen Routine gezeigt, während sie sich um einen von Häftlingen gepflegten Garten kümmert und die Säcke mit Wertgegenständen und Kleidungsstücken aufteilt, die mit jedem eintreffenden Zug ins Lager gebracht werden.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

Glazer zeigt eindrücklich, dass das Böse nicht in der Gestalt des Teufels erscheint, sondern oft in Form von ganz normalen Menschen, die einfache Bürokraten oder nüchterne Befehlsempfänger waren, denen vielleicht schlicht die menschliche Empathie fehlt. Rudolf Höß wurde vom Gerichtspsychologen Gustave M. Gilbert beispielsweise als geistig normal mit einer schizoiden Apathie und Gefühllosigkeit beschrieben. Gilbert beschrieb ihn als bei Gesprächen geduldig, sachlich und leidenschaftslos, mit vorauseilender Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt im Dienste einer höheren Autorität. Jedoch soll Höß keine sadistische Neigungen gehabt haben.


Dennoch gibt es einen Wermutstropfen, der das Gesamtbild des Films trübt. Insbesondere das Ende, in dem der Fokus von der titelgebenden Zone of Interest abweicht. Während die Darstellung der Familie Höß mit ihrer ungewöhnlichen Perspektive und der zweiten Tonspur eine beklemmende Erfahrung bietet, verliert der Film gegen Ende etwas an Klarheit. Die Entscheidung, die reale Geschichte von Rudolf Höß weiterzuführen, mag historisch korrekt sein und die Charakterentwicklung vorantreiben, aber sie verwischt auch die klare Richtung der Erzählung.


The Zone of Interest
Bildnachweis: © Leonine

Der Wechsel der Erzählperspektive führt dazu, dass sich der Film in einem charaktergetriebenen Teil zu Rudolf Höß etwas verzettelt. Eine stärkere Fokussierung auf das eigentliche Anwesen und auf Hedwig Höß, deren Motive stellenweise noch unwirklicher erscheinen, hätte dem Film möglicherweise bessergetan.


Fazit:


Jonathan Glazer taucht das Publikum in eine akustische Welt ein, die das Grauen des Konzentrationslagers auf unvergleichliche Weise vermittelt. Durch die präzise gestaltete akustische Umgebung werden Emotionen verstärkt und das Publikum in einen Sog aus Schrecken und Entsetzen gezogen, der lange nachwirkt. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass das Böse oft in der Gestalt ganz normaler Menschen erscheint.


8 von 10 Punkten


>>> STARTTERMIN: Ab dem 29. Februar 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „The Zone of Interest“:

Genre: Drama

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 105 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Jonathan Glazer

Drehbuch: Jonathan Glazer

Besetzung: Sandra Hüller, Christian Friedel, Ralph Herforth und viele mehr ...


Trailer zu „The Zone of Interest“:


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