„Allein die Vorstellung, von meinen Kindern getrennt zu werden, zerreißt mich“, sagt Friederike Becht im Interview zu „Vena“. Im Spielfilmdebüt von Chiara Fleischhacker spielt sie eine Familienhebamme, die eine werdende Mutter begleitet, die eine Haftstrafe antreten muss und ihr Kind im Gefängnis zur Welt bringt.
Friederike Becht, geboren 1986 in Bad Bergzabern, hat sich sowohl auf der Bühne als auch vor der Kamera einen Namen gemacht. Nach ihrem Schauspielstudium an der Universität der Künste Berlin war sie an renommierten Bühnen wie dem Berliner Ensemble und dem Schauspielhaus Bochum tätig. Bereits 2007 wurde sie für ihre Theaterarbeit von der Fachzeitschrift Theater heute als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet, weitere Preise folgten. Neben ihrer Theaterkarriere ist Becht seit vielen Jahren regelmäßig in Film- und Fernsehproduktionen präsent, darunter im preisgekrönten deutsch-US-amerikanischen Kinofilm „Der Vorleser“ aus dem Jahr 2008, „Hannah Arendt“ und „Im Labyrinth des Schweigens“.
Zuletzt war sie unter anderem in der deutschen Kinokomödie „One for the Road“, der deutsch-norwegischen Serie „Die Saat – Tödliche Macht“ und „Geranien“ zu sehen. Letzteres war das Spielfilmdebüt von Tanja Egen, und auch ihr neuestes Projekt ist ein Regie-Erstlingswerk: In Chiara Fleischhackers „Vena“ spielt Friederike Becht die Rolle der Hebamme Marla. Der Film thematisiert die Herausforderungen einer inhaftierten Mutter, die während ihrer Haftzeit ein Kind zur Welt bringt. Im Interview spricht Friederike Becht über ihre Vorbereitung auf die Rolle, ihre Sicht auf das Thema Mutter-Kind-Trennung im Strafvollzug und ihre Hoffnungen, welche Wirkung der Film beim Publikum entfalten könnte.
Der Film Journalist: Theater und Film gelten oft als zwei unterschiedliche Welten. Abseits der offensichtlichen Unterschiede: Was begeistert dich jeweils besonders an der Arbeit für die Bühne und für den Film, und wie unterscheidet sich die Herangehensweise für dich persönlich?
Friederike Becht: So unterschiedlich finde ich die Arbeit gar nicht, denn ich suche ich immer das gleiche auf der Bühne oder vor der Kamera. Egal ob ich übertreibe oder ganz minimalistisch spiele, möchte ich mir selbst glauben können, ganz im Moment sein. Und „wahrhaftig“ kann man selbst in der größten spielerischen Übertreibung bleiben - wenn man in Verbindung mit sich selbst bleibt - das finde ich faszinierend. In Verbindung bleiben und in Verbindung gehen; -zu sich selbst, dem Text, den Mitspielenden, dem Publikum - ist auf der Bühne wie auch vor der Kamera essenziell. Beim Theater habe ich das Publikum und die Mitspielenden, welche mir unmittelbare Resonanz schenken. Aber beim Film gibt es das auch, das Filmteam spürt auch, wenn eine Szene aufgeht. Das sind zwar weniger Menschen als im Publikum, aber die Reaktion ist auch unmittelbar und auch das ist für mich direktes Feedback, ob sie mit mir mitgehen können oder nicht.
Der Film Journalist: Das Drehbuch zu „Vena“ wurde bereits vor der Realisierung mit dem Thomas-Strittmatter-Preis ausgezeichnet. Erinnerst du dich, was deine Gedanken waren, als du dieses Drehbuch zum ersten Mal gelesen hast und wie war in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit der Autorin und Regisseurin Chiara Fleischhacker, die mit „Vena“ auch ihr Spielfilmdebüt feiert?
Friederike Becht: Mich hat an Chiaras Drehbuch besonders die Feinfühligkeit fasziniert, mit der sie ihre Figuren erzählt. Kein Wort in den Mündern der Figuren fühlt sich geschrieben an und schon über Details wie Fingernägel, Orchideen oder den Blick in den Spiegel wird die innere Entwicklung der Hauptfigur greifbar. Außerdem spürt man im Drehbuch, die Liebe zu den Menschen, die sie porträtiert fehlerhaft, kämpfend, aber menschlich – Sie urteilt nicht über die Figuren, das hat mich tief beeindruckt.
Der Film Journalist: Du spielst die Marla in „Vena“. Wer ist Marla für dich, was zeichnet sie aus, und wie würdest du ihre Beziehung zu Jenny beschreiben?
Friederike Becht: Marla bringt für mich Licht in diesen Film, aber sie ist keineswegs perfekt. Sie kämpft – wie Jenny – mit Grenzen: Jenny gegenüber ihrer Sucht, und ihrem Umfeld, Marla hadert damit professionelle Distanz zu wahren und sich vor Überlastung zu schützen. Ihre Beziehung zu Jenny ist von wachsendem Vertrauen, Augenhöhe und großer Hilfsbereitschaft geprägt. Marla verurteilt Jenny nicht, sondern ermutigt sie, Verantwortung für sich und ihre Kinder zu übernehmen. Sie schenkt Jenny Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Mutter. Trotz ihrer eigenen Schwierigkeiten gibt sie Jenny Kraft und Hoffnung. Dafür steht sie für mich: Für Hoffnung, Mut und Empowerment.
Der Film Journalist: Die Rolle der Marla ist eng mit dem Beruf der Hebamme verknüpft. Wie hast du dich auf diese besondere Aufgabe vorbereitet? Hattest du Gelegenheit, im Vorfeld mit Familienhebammen oder sozialen Betreuern zu sprechen und Einblicke in ihren Alltag zu gewinnen?
Friederike Becht: Ja, und das war eine sehr bereichernde Erfahrung für mich. Ich habe mich intensiv mit Hebammen, auch mit Familienhebammen ausgetauscht und durfte sie sogar bei ihrer Arbeit begleiten. Ich war bei Besuchen bei frischgebackenen Müttern dabei, lernte, wie man den Bauch einer Schwangeren abtastet, ein Hörrohr benutzt und vieles mehr. Auch mit der Hebamme, mit der ich meine Kinder auf die Welt bringen durfte, habe ich mich mehrfach treffen dürfen, und die Erinnerung daran, welche Stütze mir meine Hebamme während meinen Schwangerschaften und Geburten war, hat meine Marla lebendig gemacht.
Der Film Journalist: „Vena“ zeigt eine straffällige Mutter, die unter schwierigen Umständen versucht, Verantwortung für sich und ihr Kind zu übernehmen. Glaubst du, dass unser Sozialsystem solche Frauen eher unterstützt oder ihnen Steine in den Weg legt?
Friederike Becht: Die Steine sind ja leider schon da, wenn man bedenkt, dass es nicht für jede schwangere Frau in Haft einen Mutter-Kind-Platz gibt und es fehlt auch oft an medizinischer und psychologischer Betreuung für die Frauen. Der Mangel an geeigneten Angeboten zeigt schon, dass hier noch erheblicher Handlungsbedarf besteht, um eine junge Mutter in Haft mit ihrem Baby besser zu unterstützen.
Der Film Journalist: Der Film thematisiert auch die Trennung von Mutter und Kind im Strafvollzug und stellt die Frage, wie legitim und nachhaltig solche Maßnahmen sind. Welche Haltung hast du persönlich dazu, wenn es darum geht, zwischen dem Schutz der Gesellschaft und dem Wohl des Kindes abzuwägen?
Friederike Becht: Allein die Vorstellung, von meinen Kindern getrennt zu werden, zerreißt mich. Nein, ich finde, wenn die Mutter körperlich und seelisch in der Lage ist, für ihr Kind Sorge zu tragen und die Mutter das auch möchte, dann sollte auch alles versucht werden, ihr das zu ermöglichen. Denn ich glaube eine Trennung zwischen Mutter und Kind kann sehr traumatisierend sein und bestimmt langfristige Schäden verursachen. Ich finde es sollten genügend Mutter-Kind-Plätze und psychologische und medizinische Unterstützung bereitgestellt werden, um sowohl das Kindeswohl zu sichern als auch die Rehabilitation der Mutter zu fördern.
Der Film Journalist: „Vena“ kommt am 28. November 2024 in die Kinos. Warum sollte man sich den Film unbedingt ansehen, und was hoffst du persönlich, dass man aus dem Kinobesuch mitnimmt?
Friederike Becht: Ich glaube, was dieser Film schaffen kann, ist es, ein Herzöffner zu sein. Ich denke, Menschen, die ihn sehen, können Jenny, näher kommen - trotz ihres Fehlverhaltens. Der Film kann uns Empathie schenken, für Menschen, die wir im Alltag oft zu schnell abfertigen und verurteilen würden. Und ich hoffe, dass wir nach dem Kinobesuch, diesen objektiven, offenen, mitfühlenden Blick, auf die Existenz anderer Menschen, beibehalten können.
„Vena“ startet am 28. November 2024 in den Kinos. Sieh hier den Trailer:
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