Jonas Ems im Interview zu „Schattenseite“: „Ich glaube, dass das Thema Cybermobbing größer ist denn je“
- Toni Schindele

- 24. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
„Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum – da kann viel passieren“, erzählt Jonas Ems im großen Interview zur neuen ARD-Serie „Schattenseite“, für die er nicht nur am Drehbuch mitwirkte, sondern auch selbst vor der Kamera stand.

Was früher flüchtige Worte auf dem Schulhof waren, bleibt heute in Chats, Screenshots und Clouds gespeichert. Das Smartphone wird zum Tagebuch, Archiv und Zeugenstand zugleich. Für eine Generation, die mit ständiger Sichtbarkeit aufgewachsen ist, bedeutet das Freiheit und Bedrohung zugleich: Nähe, die jederzeit in Übergriff kippen kann. Kaum jemand kennt diese Mechanismen so gut wie Jonas Ems. Der Kölner, Jahrgang 1996, gehört zu jener ersten Welle von Webvideo-Creatoren, die ihre Jugend im Netz dokumentierten und das neue Medium prägten, bevor es zur globalen Bühne wurde. Vom Comedy-YouTuber zum Produzenten, Autor und Unternehmer hat Ems den digitalen Wandel am eigenen Leib erlebt: als Person der Öffentlichkeit und als Beobachter, als einer, der weiß, wie fließend Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Intimität geworden sind. Mit seinem Roman „Schattenseite – Tage der Wahrheit“ und der darauf basierenden ARD-Serie richtet Ems den Blick nun nach innen: auf die Schatten der vernetzten Welt, auf das, was hinter Bildschirmen, Likes und Chatverläufen liegt.
Die sechsteilige Serie erzählt von einer Schule, deren Alltag aus den Fugen gerät, als anonyme Push-Nachrichten beginnen, die intimsten Geheimnisse der Jugendlichen offenzulegen. Im Zentrum steht die 18-jährige Nola, die nach einem Schulwechsel einen Neuanfang sucht. Noch bevor sie richtig ankommt, erschüttert der Tod eines Schülers die Schule und bei der Trauerfeier erscheint die sogenannte „Schattenseite“. Während Nolas Mutter Julia als Polizistin den Fall untersucht, gerät Nola zunehmend selbst in den Strudel aus Erpressung und digitaler Bedrohung. Wer nicht Opfer werden will, muss andere preisgeben – und bald ist niemand mehr sicher. Mit Hilfe des Mitschülers Corvin beginnt Nola, den Ursprung der „Schattenseite“ zu enträtseln. Doch je weiter sie in das Netz aus Lügen und Manipulation vordringt, desto deutlicher wird, dass die Wahrheit ihren Preis hat – und dass im Internet nichts wirklich verschwindet. Kurz vor dem Start der Serie hat sich Jonas Ems Zeit für ein großes Interview genommen.
Der Film Journalist: Wie kam es eigentlich zu deinem Roman „Schattenseite – Tage der Wahrheit“?
Jonas Ems: Was mich angetrieben hat, diesen Roman zu schreiben, war, dass ich über Instagram immer wieder Nachrichten von Leuten bekommen habe, die mir ungefragt ihre Probleme geschrieben haben – Dinge, die bei ihnen im Leben passiert sind. Oft ging es darum,

dass sie an Ex-Freunde Bilder geschickt hatten, die dann rumgingen oder zur Erpressung genutzt wurden, oder dass Clouds gehackt und private Daten veröffentlicht wurden. Mir wurde bewusst, dass das ein reales, zunehmendes Problem ist, das es vor 20 Jahren ohne Smartphones so gar nicht gab. Ich fand es spannend, daraus einen Coming-of-Age-Stoff zu entwickeln – mit dem Gedanken: Nichts und niemand weiß so viel über uns wie unser Smartphone. Was passiert, wenn all diese Daten plötzlich in fremde Hände geraten? Das war der Grundgedanke.
Der Film Journalist: Beim Schreiben der Serie habt ihr die Geschichte ja an die Gegenwart angepasst. Wie seid ihr im Writers Room an die Adaption herangegangen – und was hat sich im Vergleich zum Buch verändert?
Jonas Ems: Gemeinsam mit Hanna Hribar habe ich das Buch zur Serie adaptiert, und das war sehr aufregend. Wir haben geschaut, welche Elemente der Grundprämisse unbedingt erhalten bleiben müssen und was man modernisieren kann – quasi eine „Sanierung“ des Stoffes. Manche Geheimnisse, die geleakt werden, sind jetzt anders als im Buch, und auch die Figuren haben neue Facetten bekommen, um besser in die heutige Zeit zu passen. Es ist faszinierend, wie stark sich der digitale Raum in nur sechs Jahren verändert hat. Die Themen sind zwar dieselben, aber ich glaube, dass das Thema Cybermobbing größer ist denn je: Kinder bekommen immer früher Smartphones, und Aufklärung passiert sehr unterschiedlich. Es gibt Schulen, die sind da sehr engagiert und machen ganze Projektwochen zu solchen Themen.
Und dann gibt es andere, in denen heißt es im Grunde nur: „Im Unterricht darf das Smartphone

nicht an sein“ – und das war’s dann. Ich glaube, dass das sehr unterschiedlich sein kann, wenn man sich anhört, dass auf politischer Ebene teilweise darüber diskutiert wird, einfach nur ein Social-Media-Verbot bis 16 einzuführen – und das dann alles sein soll, was unternommen wird. Das finde ich ziemlich unzureichend. Viele Eltern geben ihren Kindern das erste Smartphone, ohne dass jemand erklärt, was online alles passieren kann. Vieles lernt man erst, wenn es zu spät ist. Das ist ein Versäumnis von Eltern, Schulen und Politik – da müsste noch viel mehr passieren.
Der Film Journalist: In „Schattenseite“ geht es nicht nur um Opfer oder Täter – beides verschwimmt. Was hat dich an dieser Perspektive gereizt?
Jonas Ems: Ja, hier gibt es nicht nur diese klassische Perspektive, wo es ein Opfer gibt, das erpresst oder gehackt wurde und jetzt damit klarkommen muss. Sondern es geht auch um die Frage: Haben die, denen das in der Serie passiert, das vielleicht sogar verdient? Oder sollte so etwas grundsätzlich niemandem passieren? Das ist so ein bisschen dieses Ding, dass man gar nicht genau sagen kann, wer hier eigentlich Antagonist und wer Protagonist ist. Gleichzeitig ist es natürlich auch ganz klar: Es ist eine Whodunit-Serie, das heißt, es steht die ganze Zeit die Frage im Raum, wer es gewesen ist. Ich glaube, genau diese Spannung führt auch dazu, dass man weiterguckt. Wir wollten auch keine Serie mit erhobenem Zeigefinger machen, sondern eine, die verschiedene Facetten zeigt, unterhält und zugleich nachdenklich macht. Am Ende hat jede Figur ihr eigenes Laster. Und ich finde spannend, dass die Serie zeigt: Jeder trägt etwas mit sich herum – sichtbar oder unsichtbar.
Der Film Journalist: Wie war es, mit der ARD zu arbeiten – im Vergleich zu deinen bisherigen Projekten?
Jonas Ems: Die Zusammenarbeit mit der ARD hat mir großen Spaß gemacht. Mit der Redaktion zu arbeiten war sehr bereichernd. Ich finde es schön, dass die Serie dort ihr Zuhause gefunden hat, weil sie so für alle kostenlos zugänglich ist. Niemand braucht ein Abo – die Mediathek steht allen offen. Das ist besonders, weil ich sagen kann: Ihr könnt die Serie einfach anschauen.
Der Film Journalist: Dein YouTube-Kanal hat sich in den letzten Jahren stark verändert – mehr gesellschaftskritische und ernste Themen. Ist „Schattenseite“ eine folgerichtige Entwicklung, und können wir künftig mehr Projekte in dieser Richtung erwarten?
Jonas Ems: Ich hoffe sehr, dass es noch mehr Serien und Filme geben wird. Ich interessiere mich ohnehin fürs Filmemachen. Ob das immer gesellschaftskritische Stoffe sein müssen oder auch mal leichte Unterhaltung – das ist offen. Gerade in politisch aufgeladenen Zeiten tut Leichtigkeit manchmal gut. Aber grundsätzlich: Ja, ich habe große Lust, in diesem Bereich weiterzumachen, vielleicht auch wieder ein Buch zu schreiben, das später adaptiert wird.
Der Film Journalist: In der Serie stehst du auch selbst vor der Kamera – war das von Anfang an geplant?
Jonas Ems: Nein, das war nicht meine Idee. Ich wurde gefragt, ob ich Lust hätte, kurz mitzuspielen, weil ich ja das Buch geschrieben habe. Ich fand das cool, eine Art Praktikum durch

alle Bereiche zu machen. Als Darsteller am Set zu erleben, wie andere auf Drehbücher reagieren, an denen man mitgeschrieben hat, war total spannend. Meine Figur Jannick war dann deshalb eher eine Nebenfigur, ein Mittel zum Zweck. Es hat mir großen Spaß gemacht – auch wenn sie wieder etwas böser ist. Das passiert mir öfter, dass ich für solche Rollen gecastet werde. Aber es war toll, mit Özgür Yildrim und Alison Kuhn zu arbeiten, die mich super durch die Szenen geführt haben.
Der Film Journalist: Wie ist es für dich, wenn andere deine Geschichte inszenieren?
Jonas Ems: Ich mag das total. Manche denken, es sei schwer, loszulassen, aber ich finde es spannend zu sehen, wie andere etwas interpretieren und umsetzen. Gerade bei „Schattenseite“ war das besonders, weil ich als Darsteller direkt erlebt habe, wie unterschiedlich Regie geführt werden kann. Özgür Yildirim und Alison Kuhn haben komplett verschiedene Herangehensweisen – und das war super interessant zu beobachten. Man merkt es den Folgen letztlich gar nicht so stark an, aber der Weg dahin war ganz anders. Und natürlich gab es auch Momente, in denen sie gesagt haben: „Das würden wir lieber so oder so machen“, und dann hat sich an manchen Stellen etwas verändert. Aber genau das finde ich toll, weil daraus ein echter Austausch entsteht. Es ist nicht so, dass einfach alles eins zu eins umgesetzt wird, sondern dass durch diesen Diskurs der Stoff reicher und lebendiger wird. Für mich war das eine total spannende Erfahrung.
Der Film Journalist: Zum Schluss: Warum sollte man „Schattenseite“ sehen – und was hoffst du, dass die Zuschauenden daraus mitnehmen?
Jonas Ems: Ich finde, man sollte sich „Schattenseite“ in erster Linie anschauen, weil es einfach

eine sehr unterhaltsame Serie geworden ist – und zwar für alle Altersgruppen. Es ist nicht nur etwas für Jugendliche, sondern auch für Eltern und Großeltern. Ich glaube, es ist schön, wenn man sich gemeinsam mit diesem Thema beschäftigt. Und trotzdem ist es kein anstrengender Lehrstoff, sondern eben ein spannendes Coming-of-Age-Format, das auch Spaß macht. Wenn man die Serie gesehen hat und danach ein bisschen darüber nachdenkt – könnte mir so etwas auch passieren, oder meinen Kindern? – dann ist schon viel erreicht. Es geht nicht darum, Angst zu machen, sondern Bewusstsein zu schaffen. Ich wünsche mir, dass man am Ende ein bisschen wacher wird für das, was man im digitalen Raum teilt, und dass man vielleicht auch offener miteinander spricht.
Denn die Figuren in der Serie müssen genau das tun, sobald ihre Geheimnisse ans Licht kommen – und merken dann: Wenn man miteinander spricht, wird vieles leichter. Andere sagen vielleicht: „Warum hast du mir das nicht früher gesagt?“ oder „Ist doch gar nicht so schlimm.“ Und plötzlich fällt etwas ab. Dieses Loslassen kann guttun. Gleichzeitig zeigt die Serie aber auch, dass man achtsam sein sollte mit dem, was man auf seinem Smartphone hat oder weiterschickt. Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum – da kann viel passieren. Wenn man also am Ende sagt: Die Serie hat mich unterhalten, aber auch nachdenklich gemacht – dann ist für mich alles erreicht, was ich damit wollte.
„Schattenseite“ ist am 17. Oktober 2025 in der ARD Mediathek gestartet. Zudem laufen alle Episoden am 26. Oktober 2025 ab 21:45 Uhr im Ersten.





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