top of page
Toni Schindele

Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende

Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ein alter Jaguar und eine Reise in die Schweiz – „Toni und Helene“ wagt sich an die großen Fragen des Lebens und des Abschieds. Sabine Hiebler und Gerhard Ertl befassen sich in ihrem neuen Film mit Alterdiskriminierung und dem Freitod.


Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende
Bildnachweis: © Alpenrepublik Filmverleih

Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeiten Sabine Hiebler und Gerhard Ertl als Regie-Duo zusammen. Angefangen mit experimentellen Avantgardefilmen, die international auf Festivals wie der Berlinale und dem Toronto Film Festival gefeiert wurden, haben sie sich auch in der bildenden Kunst einen Namen gemacht. Mit abendfüllenden Spielfilmen wie „Nogo“, „Anfang 80“ und „Chucks“ etablierten sie sich auch als sensibel erzählende Stimmen des Kinos. Nun kehren Hiebler und Ertl mit einem neuen Projekt auf die große Kinoleinwand zurück. Ihr jüngster Film, gedreht in Österreich und der Schweiz, beleuchtet erneut Alter und Alterdiskriminierung.


Darum geht es:


Helene, einst gefeierte Theaterdiva und inzwischen über 80 Jahre alt, hat sich in eine exklusive Seniorenresidenz zurückgezogen. Mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit hat sie längst einen Termin in einer Schweizer Sterbeklinik vereinbart. Doch nun steht sie vor einem Problem: Ohne Chauffeur bleibt die letzte Reise unerreichbar, und ihr Neffe, ein aufstrebender und konservativer Politiker, verweigert jede Hilfe, um seinen Ruf nicht zu gefährden. Als das Schicksal Toni in Helenes Leben spült, wendet sich das Blatt.


Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende
Bildnachweis: © ORBROCK TIVOLI, 2024

Die unkonventionelle Lebenskünstlerin Toni, die sich nach einem Unfall in der Residenz erholen muss, ist das komplette Gegenteil von Helene – temperamentvoll, impulsiv und unangepasst. Die anfängliche Abneigung der beiden Frauen weicht jedoch schnell einer unverhofften Vertrautheit. Gemeinsam beschließen sie, das Unmögliche möglich zu machen. Helene und Toni steigen in Helenes stattlichen Jaguar und begeben sich auf eine Reise, die mehr ist als nur der Weg in die Schweiz.


Die Rezension:


Selbstbestimmung – ein Begriff, der in der Theorie als unveräußerliches Recht aller Menschen gilt, in der Praxis jedoch oft Einschränkungen unterliegt, besonders im Alter. „Toni und Helene“, das jüngste Werk des österreichischen Regie-Duos Sabine Hiebler und Gerhard Ertl, nimmt sich dieses komplexen Themas an und verpackt es in die Form eines Roadmovies, das ernste Fragen mit einer Prise Humor und Situationskomik aufwirbelt. Es ist ein Film, der gleichermaßen unterhält wie zum Nachdenken anregt, auch wenn die erzählerischen Pfade meist wenig überraschend sind. Der Humor ist meist fein dosiert, wenngleich manche Szenen ins leicht Übertriebene abrutschen. Dennoch gelingt es dem Film, ernste Themen wie Sterbehilfe und Altersdiskriminierung mit einer gewissen Leichtigkeit zu verknüpfen, ohne sie zu trivialisieren.


Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende
Bildnachweis: © ORBROCK TIVOLI, 2024

Die Handlung bleibt über weite Strecken vorhersehbar, und einige Szenen wirken konstruiert, um emotionale Höhepunkte zu erzwingen. Der Film folgt den klassischen Stationen eines Roadmovies, ohne je aus der Genre-Schablone auszubrechen. Das Publikum wird früh mit Hinweisen konfrontiert, die spätere Wendungen vorhersehbar machen. Dennoch bleibt der Film unterhaltsam, was nicht zuletzt an den geschliffenen Dialogen und der spürbaren Chemie zwischen den Hauptdarstellerinnen liegt. Das Konzept des Odd Couples ist altbewährt, aber auch hier zeigt sich: Mit präziser Inszenierung und glaubwürdigem Schauspiel funktioniert es noch immer. Im Zentrum der Handlung stehen zwei Seniorinnen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Toni, ein resolutes Arbeitstier mit breitem Dialekt und einer Lebensgeschichte voller Widrigkeiten, trifft auf Helene, eine feingeistige, jedoch lebensmüde Intellektuelle, deren Drang nach Kontrolle ihr Leben lange bestimmt hat.


Der Kontrast zwischen Helenes stoischer Haltung und Tonis impulsivem Naturell sorgt für zahlreiche komödiantische Momente, die jedoch nie ins wirklich Lächerliche abdriften. Stattdessen bleibt das Drehbuch nah an der Realität der Figuren, was sie umso zugänglicher macht. Diese konträren Persönlichkeiten in einen Oldtimer-Jaguar zu setzen und auf eine Reise zu schicken, ist ein klassischer dramaturgischer Kniff, der zwar nicht innovativ ist, aber dank der hervorragend gezeichneten Figuren und einer bemerkenswerten Besetzung zu überzeugen weiß. Christine Ostermayer und Margarethe Tiesel verleihen ihren Figuren eine bemerkenswerte Authentizität, die es dem Publikum ermöglicht, mitzufühlen. Ihre Chemie trägt den Film über dramaturgische Schwächen hinweg und sorgt für zahlreiche berührende Momente.


Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende
Bildnachweis: © ORBROCK TIVOLI, 2024

Statistiken zeigen, dass etwa 80 % der Deutschen die Möglichkeit der Sterbehilfe befürworten, dennoch bleibt die rechtliche Umsetzung in Deutschland restriktiv. Die Frage, ob das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben auch den selbstbestimmten Tod umfasst, ist in Deutschland juristisch hoch umstritten. Während das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe als verfassungswidrig erklärte und das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben anerkannte, gibt es weiterhin Hürden und ethische Debatten.


Anders in der Schweiz, wo organisierte Sterbehilfe durch Organisationen wie Dignitas legal ist und jedes Jahr hunderte Menschen aus dem Ausland anreisen, um dort ihren letzten Schritt zu gehen, was auch in der Handlung des Films eine Rolle spielt. Helene hat sich dort für assistierten Suizid angemeldet – ein kontroverser Schritt, der Fragen nach Würde und Autonomie aufwirft. Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit wird hier nicht pathetisch, sondern pragmatisch und mit einer Prise schwarzen Humors dargestellt. Die Frage, ob Helene ihre Entscheidung bis zum Ende durchziehen wird, bleibt lange offen, was dem Film eine gewisse Spannung verleiht.


Kritik zu „Toni und Helene“: Selbstbestimmung bis zum Ende
Bildnachweis: © ORBROCK TIVOLI, 2024

Ein weiteres Thema, das der Film mit subtilem Humor beleuchtet, ist die Altersdiskriminierung. Eine Studie der WHO aus dem Jahr 2021 ergab, dass jeder zweite Mensch weltweit Vorurteile gegenüber älteren Menschen hat. Im Film zeigt sich dies in Szenen, in denen Toni und Helene von jüngeren Charakteren bevormundet oder unterschätzt werden. Doch der Film zeigt auch, wie die Protagonistinnen ihre Umwelt schrittweise davon überzeugen, dass Alter kein Grund für Fremdbestimmung sein sollte.


Fazit:


„Toni und Helene“ verbindet ernste Themen wie Sterbehilfe und Altersdiskriminierung mit charmantem Humor. Trotz vorhersehbarer Wendungen und generischer Roadmovie-Struktur überzeugt der Film durch die starke Chemie seiner Hauptdarstellerinnen und eine feinfühlige Balance zwischen Leichtigkeit und Tiefe.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 5. Dezember 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Toni und Helene“:

Genre: Tragikomödie

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 95 Minuten

Altersfreigabe: FSK 6


Regie: Sabine Hiebler und Gerhard Ertl

Drehbuch: Sabine Hiebler und Gerhard Ertl

Besetzung: Christine Ostermayer, Margarethe Tiesel, Julia Koschitz und viele mehr ...


Trailer zu „Toni und Helene“:


Comments


bottom of page