Kritik zu „Wilhelm Tell“: Freiheitskampf als Action-Spektakel
- Toni Schindele

- 18. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Ein Name, ein Schuss, ein Mythos: Mit „Wilhelm Tell“ bringt Nick Hamm den berühmten Freiheitskämpfer aus der Schweiz als Actionhelden auf die Leinwand. Doch kann der ikonische Apfelschütze auch als Blockbuster-Held bestehen?

Überall auf der Welt – in allen Kulturen, Epochen und Gesellschaften – haben Freiheitskämpfer eine herausragende Bedeutung. Sie verkörpern den universellen Wunsch des Menschen nach Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Ob historische Persönlichkeiten, mythische Gestalten oder fiktive Figuren: Freiheitskämpfer stehen für den Mut, sich gegen Unterdrückung, Tyrannei oder Ungerechtigkeit zu erheben. Sie sind Symbole der Hoffnung und des Widerstands, die Völker und Generationen inspirieren. Ihre Geschichten werden von Zeit zu Zeit neu erzählt, weil sie grundlegende Fragen nach Macht, Moral und dem Wert der Freiheit aufwerfen – Fragen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Fragt man in der Schweiz nach einem solchen Symbol, fällt unweigerlich der Name Wilhelm Tell. Das Apfelschuss-Motiv, bei dem Tell gezwungen wird, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen, hat sich als zentrales Bild tief in das kollektive Allgemeinwissen eingebrannt. Im Schulunterricht begegnet man Wilhelm Tell häufig über Friedrich Schillers Drama. Nun bringt Nick Hamm die berühmte Legende in einer groß angelegten Verfilmung auf die große Leinwand – doch eignet sich Wilhelm Tells Mythos tatsächlich für einen epischen Action-Blockbuster?
Darum geht es:
Europa im frühen 14. Jahrhundert: Während Österreichs Truppen tief in die Schweiz vordringen, verwandelt sich der einst friedliche Jäger Wilhelm Tell in den Anführer eines Aufstands. Seine Familie bedroht, sein Land unterdrückt, führt er Bauern, Schmiede und Schützen in eine Rebellion. Wird es ihm gelingen, sein Land aus der Tyrannei zu befreien?
Die Rezension:
Nick Hamm hat mit „Wilhelm Tell“ einen opulenten Abenteuerfilm inszeniert, der sich lose an Friedrich Schillers berühmtem Drama von 1804 orientiert, aber dessen Rahmen nur als Ausgangspunkt nimmt, um daraus eine actionreiche Adaption zu formen, die sich weniger der historischen Überlieferung oder einer vielschichtigen Charakterzeichnung verpflichtet fühlt als vielmehr den Konventionen zeitgenössischer Blockbuster-Ästhetik. So einzigartig der Apfelschuss die Erzählung des Schweizer Freiheitskämpfers auch macht, so generisch wirkt alles andere, was Nick Hamm in seinem selbst verfassten Drehbuch darum herum geschrieben hat – und dabei nicht gerade unauffällig Erinnerungen an Filme wie „Braveheart“, „Gladiator“ oder die „Der Herr der Ringe“-Reihe weckt.

Ganz gleich welches Narrativ man wählt, war Wilhelm Tell doch nie jene Mischung aus Robin Hood und William Wallace, die Nick Hamm in seiner Adaption evoziert. In den ursprünglichen Sagen ist Tell ein einzelner Held aus dem Volk, der zufällig und aus Notwehr zum Symbol wurde. Aber abgesehen davon, dass Historiker nicht davon ausgehen, dass er je tatsächlich existiert hat, hat der hier dargestellte Wilhelm Tell nur wenig mit der Figur zu tun, die in der Schweiz als Nationalheld zelebriert wird. Im selbst auferlegten Anspruch, Schillers Geschichte so zu adaptieren, dass sie für unsere Zeit völlig authentisch ist, hat Nick Hamm eine überaus generische Outlaw-Handlung konstruiert, die nur durch einen Ankerpunkt Wiedererkennungswert gewinnt – den ikonischen Apfelschuss, ein Motiv, das viele Spuren in Literatur, Musik, Kunst und Popkultur hinterlassen hat.
Wenngleich das Apfelschuss-Motiv bereits vor der ersten Erwähnung von Wilhelm Tell existierte, ist es doch vor allem durch Schillers Drama und die nationalmythische Aufladung im 19. Jahrhundert mit dem Schweizer Freiheitskämpfer verbunden. Nick Hamm hat deshalb gut daran getan, dieses Motiv als zentrales Herzstück in die Handlung einzubinden. Bereits früh im Film wird dieser ikonische Moment angekündigt, bevor die Handlung mit einem Zeitsprung den Weg dorthin entfaltet. Doch während der Aufbau bis zur Apfelschussszene noch eine lose Anbindung an Schillers Werk erkennen lässt, driftet die Handlung vor allem anschließend endgültig in die Gefilde übersteigerter Blockbuster-Logik ab.
Anstatt den Stoff zu einem in sich geschlossenen Ende zu führen, mündet die Handlung in einen überzogenen Showdown samt angedeutetem Cliffhanger, der offenbar den Grundstein für eine mögliche Fortsetzung legen soll. Die historische Komplexität des schweizerischen Widerstands gegen die habsburgische Besatzungsmacht wird dafür auf ein klassisches Gut-gegen-Böse-Schema reduziert, das keine Grauzonen zulässt und damit sowohl inhaltlich als auch moralisch kaum Ambivalenz entwickelt. Diese Vereinfachung schlägt sich dadurch auch in der Figurenzeichnung nieder: Claes Bang verkörpert Wilhelm Tell als wortkargen, innerlich zerrissenen Helden, der in seiner Moralpose kaum Reibungsfläche bietet.

Seine posttraumatische Belastungsstörung, die er aus den Kreuzzügen mitgebracht hat, wird in Rückblenden bemüht dramatisiert, dient jedoch mehr als charakterlicher Alibi-Hintergrund denn als ernsthaft verfolgte Erzählkomponente. Die Antagonisten – allen voran Connor Swindells in der Rolle des sadistisch überzeichneten Gessler – sind in ihrer Darstellung derart überhöht und eindimensional, dass sie kaum mehr sind als Projektionsflächen für das Böse, während Ben Kingsley als grotesk inszenierter König Albrecht mit Augenklappe fast ins Karikatureske abgleitet. Die weiblichen Figuren hingegen erhalten erfreulicherweise mehr Eigenständigkeit als in vielen früheren Adaptionen des Stoffs: Ellie Bamber als Prinzessin Bertha und Emily Beecham als Gertrude dürfen sowohl mit Worten als auch mit Waffen agieren, doch bleiben auch sie letztlich in den Grenzen des überzeichneten, schablonenhaften Drehbuchs gefangen.
Die besten Momente gelingen Nick Hamm dann, wenn er sich voll und ganz der Blockbuster-Ästhetik hingibt. Die eindrucksvollen Landschaftsbilder, gedreht vorwiegend in Südtirol und nicht – wie es die Legende nahelegen würde – in den Schweizer Alpen, verleihen dem Werk eine malerische Kulisse. Die Kombination aus Studioaufnahmen – unter anderem die aufwändige Umsetzung einer Sturmszene im Vierwaldstättersee mittels 3D-Visualisierung – und den realen Landschaftsaufnahmen schafft eine glaubwürdige, wenngleich stark stilisierte Bildsprache. Zudem sorgt die pompös orchestrierte musikalische Untermalung von Steven Price dafür, dass der Film den Eindruck eines bewusst überzeichneten Epos erweckt. Die Kostüme, wenngleich historisch kaum präzise, orientieren sich an den Sehgewohnheiten des zeitgenössischen Publikums und fügen sich so stimmig in das Sinnbild des 14. Jahrhunderts ein.

Die Actionsequenzen sind handwerklich solide gestaltet und setzen überwiegend auf praktische Effekte und choreografierte Kämpfe, was ihnen eine gewisse physische Wucht verleiht, die immer wieder die Spannung anzieht. Rund 45 Millionen US-Dollar sollen der Produktion zur Verfügung gestanden haben, was für eine so ambitionierte Verfilmung nicht gerade viel ist und doch wird man es dem Film nicht ansehen. Von großen Mengen an Komparsen bis hin zu guten Splatter Effekten hat „Wilhelm Tell“ in den Actionszenen einiges zu bieten. Nick Hamm wusste seine Mittel überaus effektiv einzusetzen, und so gelingen ihm immer wieder jene Bilder, die man in einem großen, im Mittelalter angesiedelten Epos erwartet.
Fazit:
Opulent bebildert, handwerklich solide, atmosphärisch wuchtig und von Blockbuster-Pathos durchdrungen ist Nick Hamms „Wilhelm Tell“ ein erzählerisch generisches Abenteuer-Spektakel, das nur wenig mit seiner selbst zitierten Vorlage gemein hat. Wer actiongeladenes Popcorn-Kino sucht, dürfte hier unterhalten werden, wer die Geschichte von Wilhelm Tell erfahren will, eher nicht.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 19. Juni 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Wilhelm Tell“:
Genre: Historiendrama, Action, Abenteuer
Laufzeit: 134 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Nick Hamm
Drehbuch: Nick Hamm
Besetzung: Claes Bang, Connor Swindells, Ellie Bamber und viele mehr ...
Trailer zu „Wilhelm Tell“:





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