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Regisseur Benjamin Pfohl im Interview zu „Jupiter“: „Der Mensch sucht seit jeher nach einfachen Antworten“

Toni Schindele

„Niemand ist davor gefeit“, sagt Regisseur Benjamin Pfohl über die Anfälligkeit für radikale Ideen, die sein Film „Jupiter“ thematisiert. Über Verschwörungstheorien und wie aus einem Kurzfilm ein Langspielfilm wird, erzählt er hier im Interview.


Regisseur Benjamin Pfohl im Interview zu „Jupiter“: „Der Mensch sucht seit jeher nach einfachen Antworten“
Bildnachweis: (l) © 2024 missingFILMs - Filmverleih & Weltvertrieb (r) Foto: Sophie Schwarzenberger

Benjamin Pfohl ist ein Filmemacher, der Grenzen auslotet – geographisch, stilistisch und thematisch. Nach seinem Studium an der HFF München und Aufenthalten in Buenos Aires und Tunis formte er eine kreative Handschrift, die sich durch gesellschaftliche Relevanz und visuelle Abstraktion auszeichnet. Schon sein preisgekrönter Kurzfilm „Totes Land“ zeigte ein Gespür für komplexe Themen, das er mit „Jupiter“, zunächst als Kurzfilm und nun in seiner Langfilmversion, weiterentwickelt hat. Die Geschichte um die jugendliche Lea, die aus ihrem gewohnten Leben gerissen wird, als ihre Eltern sie und ihren Bruder in die Berge bringen, um einen Kometen zu beobachten.


In einem abgelegenen Camp, das von einer Gemeinschaft bevölkert ist, die an die Verbindung der

Menschheit mit dem Jupiter glaubt, findet die Familie erstmals Sinn und Hoffnung in ihrem schwierigen Schicksal. Während Lea an diesem Ort Ruhe von ihrem inneren Kampf findet, entdeckt sie schockierend, dass die Gruppe einen kollektiven Selbstmord plant, um ihre Seelen zum Jupiter aufsteigen zu lassen. Lea muss sich entscheiden, ob sie ihren Eltern folgt oder den Mut aufbringt, ihrem eigenen Weg auf der Erde zu gehen. „Jupiter“ läuft seit dem 23. Januar in den Kinos – jetzt erzählt Benjamin Pfohl im Interview über seinen ersten Kinofilm.


Der Film Journalist: „Jupiter“ begleitet Sie schon seit mehreren Jahren. Was hat Sie an der Prämisse und Geschichte so nachhaltig fasziniert?


Benjamin Pfohl: Angefangen hat das vor allem mit der Frage, wie man sich sein eigenes Weltbild

Regisseur Benjamin Pfohl im Interview zu „Jupiter“: „Der Mensch sucht seit jeher nach einfachen Antworten“
Bildnachweis: © 2024 missingFILMs - Filmverleih & Weltvertrieb

schafft und seinen Weg findet, wenn die Umgebung etwas anderes denkt. Das kennen wir auch vom Erwachsenwerden, wenn man sich vom Weltbild der Eltern löst, es in Frage stellt und seinen Platz in der Welt sucht. 2018 haben wir dazu einen Kurzfilm gemacht. Was mich aber auch schon lange beschäftigt hat, ist der Rechtsruck in Deutschland und vielen anderen Ländern. Die Frage, wie normale Demokraten sich radikalisieren und obskuren Ideen folgen, hat mich sehr umgetrieben. Das konnte man im zehnminütigen Film nicht vollständig unterbringen, aber der Kurzfilm war glücklicherweise sehr erfolgreich, lief auf über 70 Festivals, und immer kam die Frage, ob da noch mehr kommt. So haben wir beschlossen, daraus einen Langspielfilm zu machen.


Der Film Journalist: Also haben Sie die große Handlung vom Kinofilm auch erst nach dem Kurzfilm entwickelt?


Benjamin Pfohl: Genau. Und als ich die Geschichte für den Langspielfilm entwickelte, wurde die politische Situation immer hitziger, dann kam die Covid-Pandemie und mit ihr mehr Verschwörungstheorien. Ich hatte das Gefühl, dass Menschen durch rechte Ideologien, Fake News und alternative Realitäten verloren gehen. Oft hörte ich, dass das alles Idioten seien, aber ich finde, das greift zu kurz. Ich wollte mit dem Film an der Sicherheit rütteln, dass uns das nicht passieren kann. Niemand ist davor gefeit. Viele Menschen werden durch private Schicksale oder wirtschaftliche Misslagen verletzlich und greifen nach einfachen Antworten, die ihnen Lösungen versprechen.


Der Film Journalist: Es haben einige Mitwirkende des Kurzfilms ebenfalls bei dieser „Jupiter“-Adaption mitgewirkt. Haben Sie ein festes Filmteam?


Benjamin Pfohl: Ich empfinde es als großes Glück, dass viele, die beim Kurzfilm dabei waren, auch beim Langspielfilm mitgemacht haben. Die Produzenten Martin Kosok und Alexander Fritzemeyer, Komponist Gary Hirche, Editorin Valesca Peters und Director Of Photography Tim Kuhn – mit vielen arbeite ich seit Jahren zusammen. Valesca schneidet seit zehn Jahren fast alles, was ich drehe, und Tim begleitet mich seit meinem ersten Studienfilm an der Münchner Filmhochschule. Es ist mir wichtig, eine Filmfamilie aufzubauen, mit der man kreativ auf Augenhöhe arbeitet und sich gegenseitig inspiriert. Das klappt nicht immer, weil alle auch andere Projekte haben, aber oft funktioniert es, und das ist toll.


Der Film Journalist: War es mit diesem Team und einem bereits existierenden Kurzfilm im Rücken leichter, die Geschichte als Langspielfilm umzusetzen?


Benjamin Pfohl: Beim Langspielfilm haben wir früh entschieden, dass wir uns nicht wiederholen,

Regisseur Benjamin Pfohl im Interview zu „Jupiter“: „Der Mensch sucht seit jeher nach einfachen Antworten“
Bildnachweis: © 2024 missingFILMs - Filmverleih & Weltvertrieb

sondern etwas Neues schaffen wollen. Auch wenn es Parallelen gibt – Figuren, Szenen, Drehorte – haben sich Inszenierung, Bildgestaltung und Musik stark verändert. Einen bestehenden Film als Vorlage zu haben, war manchmal ein Vorteil, weil wir aus Fehlern lernen konnten. Aber es war auch schwierig, weil wir mit vielen Dingen aus dem Kurzfilm sehr zufrieden waren. Viele der Prozesse sind beim Kurzfilm auch schon beinahe so aufwändig wie beim Langfilm. Man macht den Kurzfilm ja nicht weniger ehrgeizig, die Ansprüche sind nicht geringer. So war es beim Langspielfilm auch eine Sache der Masse: Mehr Motive müssen gefunden werden, mehr Schauspielende müssen gecastet werden, mehr Drehbuch muss geschrieben werden.


Der Film Journalist: Im Regiekommentar meintest Du, dass Du den Prozess der Radikalisierung und Sinnsuche in einer stilisierten, fast kosmischen Dimension darstellen wolltest. Glaubst Du, dass solche universellen Narrative es leichter machen, komplexe gesellschaftliche Themen zu vermitteln?


Benjamin Pfohl: Ob das leichter ist, vermag ich nicht zu sagen, aber es ist auf jeden Fall mein Weg, die Welt nicht naturalistisch abzubilden, sondern durch Stilisierung und Abstraktion eine universelle Wahrheit zu finden. In „Jupiter“ wollte ich nicht nur zeigen, wie eine Familie an Querdenker oder die AfD gerät – das Problem ist viel universeller. Menschen folgen diesen Rattenfängern oft nicht wegen der Ideologie, sondern wegen ihrer Mechanik. In Brasilien sehen die Zuschauer in „Jupiter“ einen Film über Bolsonaro, in Kyjiw über Putin, in den USA über Trump. Das Problem ist größer als die AfD. Science-Fiction bietet hier eine Abstraktion, wie Orwell in „1984“, um die Mechanismen unserer Realität zu zeigen.


Der Film Journalist: Aber wie erklärst Du dir die Anfälligkeit für einfache Antworten?


Benjamin Pfohl: Der Mensch sucht seit jeher nach einfachen Antworten, weil die Welt komplex ist. Früher fanden viele Sicherheit bei Gott, doch das ist in unserer westlichen Welt weniger

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Bildnachweis: © 2024 missingFILMs - Filmverleih & Weltvertrieb

geworden und hat Leerräume hinterlassen. Es ist bezeichnend, dass wir den christlichen Gott im Himmel verorten, wo auch die Sterne sind. Der Blick in die Ferne, zu etwas Größerem, liegt tief in uns. Ich selbst finde die Unendlichkeit faszinierend und verstehe die Hoffnung, die viele darin projizieren. Aber diese Sehnsucht nach einfachen Antworten macht Menschen verletzlich. Es ist bequem, wenn jemand behauptet, alle Lösungen zu haben, und einem die Schuld für Probleme abnimmt. Das ist verführerisch, vor allem für Menschen, die durch Schicksalsschläge oder Unsicherheiten angreifbar sind. Wir, die nicht abgerutscht sind, dürfen zwar keine Zugeständnisse an Ideologien machen, müssen aber überlegen, wie wir diesen Menschen eine offene Hand reichen können, um sie zurück ins Licht zu führen.


Der Film Journalist: Deine Protagonistin Lea erlebt die Zerbrechlichkeit von Familie und Gesellschaft aus einer jugendlichen Perspektive. Was kann die jüngere Generation Ihrer Meinung nach von dieser Geschichte mitnehmen?


Benjamin Pfohl: Ich hoffe, dass diese Generation zunächst einmal den Weg ins Kino sucht und sich diesen Film ansieht, was ja leider immer weniger wird. Denn meine Hoffnung steckt in dieser jungen Generation. Sie ist politisch engagiert, hinterfragt Dinge und spricht Missstände offen an – besonders beim Thema Klimawandel. Diese Kraft der Jugend, Dinge zum Besseren zu verändern, wollte ich im Film zeigen, indem eine junge Protagonistin aus ihrer naiven Kindheit herauswächst, ihren eigenen Weg findet und selbstbestimmt handelt.


Der Film Journalist: Abseits von „Jupiter“ – kannst du uns schon einen Ausblick geben, woran du

derzeit arbeitetest?


Benjamin Pfohl: Konkretes kann ich noch nicht sagen, aber ich entwickle gerade neue Kinogeschichten und versuche, meinen Weg fortzuführen – also weiter Filme zu machen, die unsere Welt reflektieren, die aber trotzdem in einer Stilisierung und Abstraktion zu Kino werden, das fesselt, mitreißt und auch Spaß macht. Und die Kraft dieses Mediums nutze ich, um auf der großen Leinwand Menschen zu unterhalten und miteinander ins Gespräch zu bringen.


„Jupiter“ läuft seit dem 23. Januar 2025 in den Kinos.


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