In „Babylon – Rausch der Ekstase“ geht es um Stummfilm-Stars und die dunklen Seiten von Hollywood – verpackt in einem unkonventionellen Epos, der über drei Stunden Aufmerksamkeit erfordert. Sollte man sich diese Zeit nehmen?
Bildnachweis: © 2022 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Damien Chazelle präsentiert in seinem neuen Film „Babylon – Rausch der Ekstase“ einen Film, der an den Kinokassen scheiterte und auch bei den Kritikern nur gemischt aufgenommen wurde. Mit einem Budget von rund 110 Millionen US-Dollar und einer Vision, die bereits vor 15 Jahren in den Gedanken des Regisseurs in Los Angeles Gestalt annahm, stellt dieses Werk einen ehrgeizigen Versuch dar, die Glanzzeit des Hollywoods der 1920er-Jahre einzufangen. Inspiriert von Klassikern wie Fellinis „Das süße Leben“ und Altmans „Nashville“, strebt Chazelle in seinem vierten Langspielfilm danach, die Transformation einer Gesellschaft durch die Linse des Filmmachens zu porträtieren.
Durch ein beeindruckendes Ensemble, angeführt von Stars wie Brad Pitt, „Barbie“-Star Margot Robbie und Diego Calva, die tief in fiktive, jedoch von realen Hollywood-Ikonen inspirierte Charaktere eintauchen, rückt „Babylon – Rausch der Ekstase“ den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm ins Rampenlicht. Obwohl der Film weder große Auszeichnungen einheimste noch als großer Erfolg verbucht werden kann, sollte man ihm unbedingt eine Chance geben. In den kommenden Zeilen erläutere ich, warum dieser Film trotz seiner kontroversen Rezeption äußerst sehenswert ist.
Darum geht es:
Die Filmwelt des frühen 20. Jahrhunderts war ein Ort des Glamours, der Intrigen und des unaufhaltsamen Wandels. Inmitten dieser lebhaften Kulisse finden wir Manny Torres, einen aufstrebenden Filmschaffenden und das Kind mexikanischer Einwanderer. Er ist ein Zeuge des raschen technologischen Fortschritts und der kreativen Transformationen, die die Traumfabrik Hollywood durchlaufen hat.
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Aber die goldenen Zeiten sind bedroht. Die Ankunft des Tonfilms wirft einen dunklen Schatten über die Tinseltown-Stars. Stummfilm-Stars wie Jack Conrad, einst auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, finden sich plötzlich am Rande des Abgrunds wieder. Und für Talente wie Nellie LaRoy, die hoffnungsvolle junge Starlet, die ihre Chance in der schillernden Welt von Hollywood suchte, steht alles auf dem Spiel. Während der Übergangszeit, als das Kino die Kunst des Sprechens erlernte, verblassten viele Stars und Sternchen im Hintergrund des aufkommenden Tonfilms. In einer Welt, in der die Kamera das Gesetz ist, wird das Leben hinter den Kulissen ebenso gefährlich wie das vor der Linse.
Die Rezension:
Ins Kino zu gehen kann viele Motive haben. Eine klassische Erwartung ist es sicherlich nicht, nach dem Verlassen des Saales zu glauben, ein Teil der Filmgeschichte geworden zu sein. Dennoch, beim Betrachten von Damien Chazelles „Babylon – Rausch der Ekstase“, drängt sich genau dieses Gefühl auf. Es ist eine Odyssee, die den Zuschauer in eine Welt entführt, die sowohl betörend als auch verstörend ist. Das erste, was auffällt, ist die epische Dauer von drei Stunden. In Zeiten, in denen Aufmerksamkeitsspannen schrumpfen und Blockbuster oft überwiegend visuelle Effekte präsentieren, stellt Chazelle das Publikum auf die Probe. Doch die Länge ist notwendig, um das gewaltige Spektrum von Hollywoods Goldenen Zwanzigern angemessen darzustellen.
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Anfängliche Erwartungen, „Babylon – Rausch der Ekstase“ sei ein weiteres glänzendes Hollywood-Epos, werden schnell zerstreut. Chazelle wählt eine ungeschminkte, ja sogar provokante Perspektive. Der Film ist ein Rausch der Exzesse, voller Übertreibungen und Tabubrüche. Doch gerade in dieser rohen Darstellung liegt seine Stärke. Anstatt Hollywood als Glitzerwelt zu idealisieren, entlarvt Chazelle die dunklen Seiten, das Chaos und die Brutalität hinter den Kulissen.
Die Hommage an die Stummfilmzeit und die Transformation in das Tonfilmzeitalter sind thematische Säulen des Films. Die Darstellung des Übergangs von der sorglosen Anarchie der Stummfilmzeit zur strengen Struktur des Tonfilms bietet eine faszinierende Metapher für den Wandel Hollywoods und der Gesellschaft insgesamt.
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Dabei gelang es Chazelle gerade auch technisch eindrucksvoll, diese Prämisse in einen filmischen Rausch zu verwandeln: Die Kamerafahrten von Linus Sandgren und die jazzige wie ungemein treibende musikalische Untermalung von Justin Hurwitz fangen die Energie und den Puls der Ära perfekt ein. Die Details, von den Kostümen bis zu den Kulissen, sind beeindruckend und lassen Zuschauende in eine vergangene Zeit eintauchen.
Doch trotz all seiner visuellen und akustischen Pracht liegt die wahre Stärke von „Babylon – Rausch der Ekstase“ in seiner kritischen Betrachtung von Hollywood. Es ist eine Hommage und gleichzeitig eine Entlarvung. Chazelle zeigt, dass der Glanz und Glamour der Traumfabrik oft auf Kosten von Talenten und Moral erzeugt werden.
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Das Ensemble von „Babylon – Rausch der Ekstase“ versteht es unterdessen eindrucksvoll, die Komplexität ihrer Charaktere zum Leben zu erwecken und die turbulenten und oft dunklen Seiten von Hollywood in den Goldenen Zwanzigern zu reflektieren. In der Interpretation von Nellie LeRoy manifestiert Margot Robbie den pulsierenden Herzschlag eines Starlets, das sich in den Wirren des Ruhms und des Niedergangs verliert.
Zu Beginn scheint Nellie von einer schwindelerregenden Ekstase des Ruhms und der Begeisterung überwältigt zu sein. Robbie verleiht dieser Charakterentwicklung eine atemberaubende Tiefe und Authentizität, indem sie Nellies Anfänge mit einer fast greifbaren Euphorie darstellt, die den Zuschauer in diesen Rausch hineinzieht. Dabei wird deutlich, dass nicht nur der Ruhm selbst, sondern auch Drogen als Katalysator für Nellies Abstieg dienen. Sie versinkt förmlich in dieser Welt des Exzesses und verliert sich zusehends darin.
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Der Abstieg von Nellie, dieser wilde Taumel von Höhepunkten und Niederlagen, wird von Robbie auf eine Weise dargestellt, die das Publikum mitnimmt und emotional tief berührt. Es ist, als würde man ein wildes Tier beobachten, das in ein enges Korsett gepresst werden soll, jedoch vehement gegen diese Einengung ankämpft. Jede Nuance, jede Facette dieses inneren Kampfes und des daraus resultierenden Chaos wird von Robbie meisterhaft verkörpert. Es ist ein Schauspiel, das die Zerbrechlichkeit des Ruhms und die Gefahren des Exzesses auf eindringliche Weise darstellt.
Während Margot Robbie mit Nellie den Rausch und die Abgründe des Ruhms durchlebt, präsentiert Brad Pitt in der Rolle des Jack Conrad ein tiefgehendes Porträt eines Stars, der sich in einer sich ständig wandelnden Branche behaupten muss. Pitts Darstellung des Jack Conrad ist ein eindrucksvolles Zusammenspiel aus Stärke und Verletzlichkeit. Er repräsentiert einen Mann, der sich lange im Rampenlicht sonnte und nun mit den Fragen und Unsicherheiten des Alterns und der Relevanz konfrontiert wird.
Bildnachweis: © 2023 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved. TM & © DC
Inmitten des technologischen Umbruchs, symbolisiert durch den Übergang zum Tonfilm, findet sich Jack in einem Meer von Zweifeln und Herausforderungen wieder. Pitt zeigt die innere Zerrissenheit dieses Charakters, der immer den Fortschritt suchte, nun jedoch nach einem Platz in dieser neuen Ära sucht. Sein Porträt von Jack Conrad ist eine tiefgehende Untersuchung der Vergänglichkeit des Ruhms und der unaufhaltsamen Zeit, die selbst die größten Legenden der Filmindustrie einholt.
Li Jun Li bringt in ihrer Rolle als Kabarett-Sängerin Lady Fay Zhu eine beeindruckende Präsenz auf die Leinwand. Ihre Darstellung, die eine Fusion aus der zeitgenössischen Anna May Wong und der legendären Marlene Dietrich zu sein scheint, ist ein kraftvolles Statement von Exotik und Queerness. Neben ihrer Bühnenpräsenz wird ihre Arbeit an den Zwischentiteln für Stummfilme ein weiterer interessanter Aspekt ihrer Figur, der die Dualität ihres Lebens beleuchtet.
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Jean Smart bringt als Elinor St. John eine unvergleichliche Intensität in den Film. Ihre Rolle als Journalistin, die den Einfluss der Yellow-Press auf die Hollywood-Maschinerie verkörpert, ist sowohl mächtig als auch beunruhigend. Ihre Dialoge, insbesondere die eindringliche Aussage „It’s bigger than you“, die sie Jack entgegenschleudert, symbolisieren den unaufhaltsamen Wandel und die Machtverschiebungen in der Filmbranche. Inmitten des technologischen Fortschritts und des Übergangs vom Stummfilm zum Tonfilm wird durch Smart's Performance deutlich, dass selbst die größten Stars nicht immun gegen Veränderungen und den Lauf der Zeit sind.
„Babylon – Rausch der Ekstase“ zieht – sofern man sich darauf einlässt – wirklich in einen Rausch, der sowohl fesselnd als auch überwältigend ist. Dieser Rausch manifestiert sich in der Darstellung der extremen Höhen und Tiefen, der Ekstase und Verzweiflung, die mit dem Leben in der schillernden Welt Hollywoods einhergehen. Die erste Stunde des Films ist besonders intensiv und unverblümt in ihrer Darstellung von Ruhm, Exzess und moralischem Verfall. Durch beeindruckende inszenatorische Entscheidungen, eine dynamische Kameraführung und eine mitreißende Tonspur werden Zuschauende in ein Kaleidoskop von Emotionen und Erfahrungen gezogen.
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Allerdings hält „Babylon – Rausch der Ekstase“ nicht zurück, wenn es darum geht, die Grenzen des Mainstream-Kinos herauszufordern. Der Film wagt es, die Zuschauer mit Bildern und Szenen zu konfrontieren, die sowohl schockierend als auch provokativ sind und Tabus konsequent brechen. Beispiele hierfür sind die Darstellungen von intensiven Momenten, die die menschliche Natur in all ihrer Rohheit zeigen.
Konkreter bedeutet dies, das gewisse Szenen unter anderem menschlichen Urin, Erbrochenes, vor Schlangengift schäumendes Blut und Elefantenausscheidungen zeigen. Diese kompromisslose Darstellung mag für einige Zuschauende als übertrieben oder sogar geschmacklos erscheinen und tatsächlich möchte ich hier klar erwähnen, das „Babylon – Rausch der Ekstase“ neben seiner FSK-Altersfreigabe ab 16 Jahren auch nicht für jeden geeignet ist.
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Aber genau hier liegt die Intention. Chazelle zwingt das Publikum, sich mit den dunklen Seiten von Hollywood auseinanderzusetzen, und stellt gleichzeitig die Frage, zu welchem Preis Ruhm und Erfolg kommen. Schlussendlich, trotz seiner Kontroversen und Überlänge, ist „Babylon – Rausch der Ekstase“ ein kraftvolles, provokatives und unvergessliches Werk. Es ist ein ehrgeiziger Versuch, die Komplexität und Dualität von Hollywood darzustellen. In einer Welt von seelenlosen Blockbustern ist es eine willkommene Erinnerung an die Kraft und Magie des Kinos.
Fazit:
„Babylon – Rausch der Ekstase“ von Damien Chazelle bricht mit Erwartungen und präsentiert ein düsteres Hollywood-Porträt. Trotz polarisierender Darstellungen bietet der Film eine eindringliche Reflexion über Ruhm und Exzess. Ein kühnes Werk, das das Kino herausfordert und zum Nachdenken anregt. Auch wenn das Wagnis an den Kinokassen nicht belohnt wurde, hinterlässt der dreistündige Epos einen unvergesslichen Eindruck und bleibt, ebenso wie die Stummfilmstars, für die Ewigkeit.
9 von 10 Punkten
„Babylon – Rausch der Ekstase“ ist seit dem 19. Januar 2023 in den Kinos.
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