Kritik zu „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“: Ein Rehkitz als Sinnbild
- Toni Schindele

- 29. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Zwischen Naturfilm und Coming-of-Age-Märchen: Michel Fesslers Romanverfilmung „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ lässt uns den Wald aus den Augen eines Rehkitzes erleben.

Felix Saltens Buch „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ wurde erstmals 1923 veröffentlicht und zählt heute zu den bekanntesten Tiererzählungen der Literaturgeschichte. Doch das Werk des österreichisch-ungarischen Schriftstellers ist weit mehr als ein harmloses Kinderbuch: Es handelt sich um eine philosophisch grundierte Parabel über das Leben in einer feindlichen, durch den Menschen geprägten Welt. Der Wald wird zum Sinnbild einer Welt, in der Leben und Tod untrennbar miteinander verwoben sind und in der das Heranwachsen stets mit Gefahr und Verlust verbunden ist. Bereits kurz nach seinem Erscheinen erregte das Buch international Aufmerksamkeit. Besonders in den USA wurde es früh geschätzt, unter anderem von Schriftstellern wie John Galsworthy. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ allerdings 1936 in Deutschland verboten und verbrannt – unter anderem, weil Salten jüdischer Herkunft war, aber auch, weil das Buch als metaphorische Kritik an autoritären Regimen gelesen werden konnte.
In dieser historischen Lesart erscheint der Wald als ein gefährlicher Ort, in dem das Individuum ständig auf der Hut vor einer übermächtigen, unerklärlichen Gewalt sein muss. Weltberühmt wurde die Geschichte aber durch die Adaption von Walt Disney aus dem Jahr 1942. Disneys Version veränderte die literarische Vorlage jedoch radikal: Aus dem Rehbock wurde ein Weißwedelhirsch, die komplexe Tiergesellschaft wurde vereinfacht, die politischen Untertöne weitgehend getilgt. Stattdessen wurde eine emotional zugespitzte Coming-of-Age-Erzählung daraus – mit deutlich kindgerechteren Nebenfiguren wie dem Hasen Klopfer und dem Stinktier Blume. Dennoch prägte gerade diese Version das kollektive Bild von Bambi bis heute; der Film entwickelte sich zu einem der prägenden Werke des amerikanischen Zeichentrickkinos. Während Disney bereits seit mehreren Jahren an einer aufwendigen Realverfilmung im Stile von „Der König der Löwen“ arbeitet – also einem visuell realistischen, aber vollständig digital animierten Film –, ist der französische Filmemacher Michel Fessler jetzt einen anderen Weg mit echten Tieren vor der Kamera gegangen.
Darum geht es:
Inmitten eines dichten Waldes entdeckt das junge Rehkitz Bambi neugierig die Wunder der Natur – begleitet von seinen tierischen Freunden, einem Raben, einem Kaninchen und einem Waschbären. Spielerisch lernt Bambi, was es heißt, Teil einer lebendigen Gemeinschaft zu sein. Doch als der Herbst kommt, ändert sich alles: Ein schicksalhafter Moment reißt ihn aus der Geborgenheit seiner Kindheit. Kann Bambi seinen eigenen Weg finden?
Die Rezension:
Michel Fesslers Verfilmung des gleichnamigen Romans von Felix Salten versucht sich an einer Gratwanderung zwischen realistischer Naturbeobachtung und allegorisch aufgeladener Coming-of-Age-Erzählung. Der Grundgedanke – die Darstellung des Erwachsenwerdens eines Rehkitzes als Spiegel des Kreislaufs der Natur und als Sinnbild für das Heranwachsen im Spannungsfeld von Geborgenheit und Gefahr – wird dabei mit einer stilistischen Mischung aus poetischer Beobachtung und pädagogisch eingefärbtem Off-Kommentar verfolgt. Inhaltlich orientiert sich die Verfilmung weitgehend an jener Lesart, die bereits Disneys Adaption prägte: Die Handlung ist auf das Wesentliche reduziert, die Nebenstränge des Romans fehlen ebenso wie die differenziertere soziale Durchdringung der Tierwelt, die Saltens Vorlage zu einem vielschichtigen, auch politisch interpretierbaren Werk macht. Zudem verzichtet Fessler auf die explizite Darstellung des Menschen als Bedrohung, was die beabsichtigte ökologische Mahnung zwar subtiler, zugleich aber auch weniger greifbar erscheinen lässt.

Der dramaturgisch zentrale Verlust von Bambis Mutter wird im Vergleich zum Disney-Film deutlich entschärft und hinausgezögert; der tödliche Schuss fällt erst im letzten Drittel des Films und wird lediglich akustisch angedeutet. Die Konsequenz dieser Entscheidung ist eine insgesamt sanftere Dramaturgie, die zwar die wesentliche Entwicklung der Hauptfigur markiert, aber auf das große emotionale Ausrufezeichen verzichtet. Was diese Verfilmung aber herausstechen lässt, ist die Darstellung der natürlichen Lebenswelt von Bambi: Die Tieraufnahmen wurden mit erheblichem Aufwand und Respekt vor den tierischen Protagonisten umgesetzt. Gedreht wurde in einem eigens für tiergestützte Filmproduktionen konzipierten Naturpark im französischen Département Loiret, der es ermöglichte, Wildtiere unter kontrollierten Bedingungen, jedoch in weitläufigen, naturnahen Arealen zu filmen. Die etwa 300 Tiere waren an die Anwesenheit von Menschen und Technik gewöhnt, was die Voraussetzungen für unaufdringliche, ruhige Aufnahmen schuf.
Die Kamera wurde dabei häufig so positioniert, dass sie die Perspektive der Tiere einnahm: bodentiefe Einstellungen, die dem Zuschauenden Bambis Blickwinkel eröffnen, wechseln sich ab mit majestätischen Panoramen, die die Weite des Waldes in seiner jahreszeitlichen Verwandlung zeigen. Die Kamera folgt den Bewegungen der Tiere oft mit ruhigen, langsamen Fahrten oder sanften Zooms, wobei auf natürliche Lichtverhältnisse gesetzt wurde. Größtenteils kann man die Tiere bei ihrem instinktiven Lebensalltag beobachten, nur wenigen Szenen ist anzusehen, dass mit einem Tiertrainer auf gewisse Aktionen hin inszeniert wurde. Größtenteils bekommt man einen wirklich sehr lebensnahen Einblick in das Aufwachsen von Hirsch Bambi. Da er die allermeiste Zeit im Bild ist, haben die Filmemacher unter Berücksichtigung des Tierwohls mit fünf verschiedenen Hirschkälbern Bambi zum Leben erweckt. Digitale Effekte kamen lediglich sparsam zum Einsatz, etwa bei der Inszenierung von Schmetterlingen oder der Bildkomposition bei komplexen Szenen mit mehreren Tieren.

Die musikalische Untermalung von Laurent Perez del Mar unterstützt den Film mit einer sinfonischen Untermalung, die geschickt Stimmungen aufgreift und intensiviert. Problematisch bleibt indes das Spannungsverhältnis zwischen dokumentarischer Tierbeobachtung und erzählerischer Dramaturgie. Die reale Tierwelt, so beeindruckend und anrührend sie auch eingefangen ist, lässt sich nur bedingt in eine stringente narrative Struktur zwängen. Die Off-Stimme übernimmt deshalb die Aufgabe der Vermittlung von Emotionen und Deutung, vermenschlicht dabei die tierischen Protagonisten und kommentiert das Geschehen bisweilen mit einem Pathos, der der dokumentarischen Bildsprache entgegenwirkt. Gerade in Momenten, in denen das Bild für sich sprechen könnte, wirkt der Kommentar emotionalisierend und mindert die immersive Kraft der Aufnahmen. Wo Michel Fessler sich ganz auf die Kraft seiner Bilder verlässt, gelingt ihm ein eindrucksvolles Naturporträt; wo er versucht, Emotionen zu diktieren, verliert er an Überzeugungskraft.
Fazit:
Michel Fesslers „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“ verbindet beeindruckende Wildtieraufnahmen und saisonale Waldpanoramen zu einem sanften Coming-of-Age-Naturmärchen, dessen pädagogischer Off-Kommentar teilweise etwas zu suggestiv ist.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 1. Mai 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“:
Genre: Abenteuer, Coming-Of-Age
Laufzeit: 78 Minuten
Altersfreigabe: FSK 0
Regie: Michel Fessler
Drehbuch: Michel Fessler und Laurence Buchmann
Sprecherin: Senta Berger
Trailer zu „Bambi: Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“:





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