Sie ist die berühmteste Puppe der Welt. Mattels Barbie hat wie kein anderes Spielzeug Generationen von Kindern geprägt. Seit 2001 erschienen exakt 40 animierte Filme, anfangs jährlich, nun sogar oftmals zweimal pro Jahr. Ab jetzt gibt es auch auf der großen Leinwand eine erste Live-Action-Verfilmung, die eine gewaltige Welle der Vorfreude auslöste. Ist der Hype gerechtfertigt?
Bildnachweis: © 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. / Jaap Buitendijk
Barbie, die berühmteste Puppe der Welt, hat eine faszinierende Geschichte, die von Deutschland in die Vereinigten Staaten reicht. Ursprünglich inspiriert von der deutschen Puppenreihe „Bild-Lilli“ von Reinhard Beuthin, wurde Barbie von der Amerikanerin Ruth Handler 1959 von Mattel auf den Markt gebracht. Von Anfang an ein Hit, entwickelte sich die Modepuppe schnell zu einer gigantischen Produktreihe mit unzähligen Variationen, die seit ihrer Einführung über eine Milliarde Mal verkauft wurde.
Im Laufe der Jahrzehnte hat Barbie zahlreiche Modetrends durchlebt und ist bis heute weltweit beliebt. Dabei hat sie auch Kritik auf sich gezogen, vor allem wegen ihres als unrealistisch empfundenen Körperbaus, der negative Auswirkungen auf das Körperbild junger Mädchen haben könnte. Kritiker betrachten sie auch als Symbol für Konsum, Materialismus und Kapitalismus. Dennoch gibt es auch positive Stimmen, die hervorheben, dass Barbie Geschlechterrollen aufbricht und als selbstbestimmte Figur dargestellt wird, die verschiedene Berufe ausübt, die auf den ersten Blick mit Männern in Verbindung gebracht werden.
Ryan Gosling, Margot Robbie und Regisseurin Greta Gerwig:
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Auch hat Mattel in den zurückliegenden Jahren öffentlichkeitswirksam versucht, auf diese Kritik einzugehen, indem sie Puppen mit verschiedenen Körperformen und sogar mit besonderen Merkmalen wie einer Barbie-Puppe mit Down-Syndrom auf den Markt gebracht hat. Trotz aller Kontroversen bleibt Barbie ein einflussreiches Symbol in der Spielzeugwelt und hat Generationen von Kindern auf der ganzen Welt geprägt und inspiriert. Doch während die Modepuppe als animierte Figur immer wieder in kleine Abenteuer reist, feiert sie nun ihr Debüt in einem ersten Live-Action-Kinofilm.
In den letzten Jahren haben Live-Action-Filme ihren guten Ruf eingebüßt und sind zunehmend unbeliebt geworden, wie man besonders bei den jüngsten Disney-Realverfilmungen feststellen konnte. Doch entgegen diesem Trend hat sich in den letzten Monaten ein wahrhaft gigantischer Film rund um eine Modepuppe entwickelt. Dabei liegt der Erfolg nicht allein an Barbie selbst, denn ihre Verfilmung befand sich bereits seit 2009 in der Produktion und es gab einige unverwirklichte Projekte von Universal Pictures und Sony Pictures.
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Erst als eine äußerst faszinierende Regisseurin das Projekt übernahm, begann der „Barbie“-Film die Aufmerksamkeit interessierter Zuschauer auf sich zu ziehen. Niemand Geringeres als die gefeierte Arthouse-Regisseurin Greta Gerwig, bekannt für ihre herausragenden Werke „Little Women“ und „Lady Bird“, übernahm die Regie und verfasste auch gemeinsam mit ihrem Ehemann und Drehbuchautor Noah Baumbach die Handlung. Mit der hochkarätigen Besetzung von Margot Robbie und Ryan Reynolds, die sich dem Projekt anschlossen, sowie den stetig durchsickernden fesselnden Details zur Handlung, entwickelte sich langsam aber sicher ein regelrechter Hype. Die einst kleine blonde Puppe verwandelte sich in einen 100 Millionen Euro schweren Sommerblockbuster.
Doch was kommt heraus, wenn eine Arthouse-Regisseurin einen großen Blockbuster inszeniert und von einem der größten Filmstudios Hollywoods Narrenfreiheit erhält?
Darum geht es:
Im pinken und fröhlichen Barbieland ist jeder Tag der beste Tag überhaupt – zumindest aus Barbies Sicht. Sie erwacht täglich mit einem strahlenden Lächeln in ihrem zauberhaften, zweistöckigen Barbiehaus und verbreitet Fröhlichkeit, wohin sie auch geht. Barbie ist die begehrteste Puppe im Land und Ken, ihr treuer Verehrer, kann gar nicht genug von ihr bekommen. Doch in letzter Zeit schleichen sich seltsame Gedanken in ihren Kopf: Sie fragt sich, was es wohl mit dem Tod auf sich hat. In dieser makellosen Welt ist das ein absolutes Tabu und plötzlich passiert das Undenkbare – Barbie bekommt Plattfüße.
In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an eine seltsame, eigenbrötlerische Barbie, die außerhalb des Barbielands ein zurückgezogenes Leben führt. Diese mysteriöse Barbie enthüllt ihr, dass der Grund für ihr merkwürdiges Verhalten in der richtigen Welt zu finden ist und dass sie die Person finden muss, die dort mit ihr spielt. Entschlossen brechen Barbie und Ken gemeinsam in die reale Welt auf. Doch kaum dort angekommen, werden sie mit einer völlig neuen Realität und ganz anderen Regeln konfrontiert als in ihrem heimischen Barbieland.
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Während Barbie sich mutig den neuen Herausforderungen stellt und mehr als einmal mit dem Gesetz in Konflikt gerät, entdeckt Ken das Patriarchat, was schwerwiegende Konsequenzen mit sich ziehen wird …
Die Rezension:
Nachdem die Trailer nur wenig preisgaben, blieb es vollkommen unklar, in welche Richtung sich dieser Film entwickeln würde. Jetzt ist jedoch klar, dass die Verfilmung der beliebten Mattel-Modepuppe Barbie weit mehr ist als nur eine gewöhnliche Live-Action-Adaption oder gar ein Werbefilm. Greta Gerwig schuf sowohl eine Abrechnung als auch eine Liebeserklärung an Barbie. Verpackt in einem kreativ überdrehten Sommerblockbuster, dürfte der Film sowohl Barbie-Fans begeistern, als auch diejenigen, die nach großem Kino suchen.
Es ist jedoch zu beachten, dass der Film möglicherweise nicht für ein sehr junges Publikum geeignet ist. Sowohl die Handlung als auch einige Dialoge werden wohl eher von einem erwachsenen Publikum vollständig erfasst werden, das vermutlich auch die Hauptzielgruppe dieses Films darstellt. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass bei jungen Kindern Witze über das Patriarchat für tosendes Gelächter sorgt. Dennoch dürften auch Kinder ihren Spaß im Kino haben, nicht zuletzt dank der brillanten Situationskomik.
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Eine der größten Stärken des Films liegt dabei schon darin, dass Warner Bros. und insbesondere der Spielzeugkonzern Mattel Greta Gerwig alle erdenklichen Freiheiten ließen. Dadurch erlaubte sich der Film auch, kräftig gegen Mattel selbst auszuteilen und einige Verfehlungen des „Barbie“-Konzerns erhalten Seitenhiebe, über die die Mattel-Verantwortlichen wohl nur deshalb hinweg lächeln dürften, da der Streifen dem Unternehmen sicher nicht in den Barbie-Verkaufszahlen schaden dürfte.
Tatsächlich nimmt der Film, abgesehen von einem humorvoll gepiepsten nicht jugendfreien Schimpfwort, kein Blatt vor den Mund. Die Geschichte ist direkt und macht keine Umwege, um auch gesellschaftliche Missstände anzusprechen und diese überzeichnet bloßzustellen. Manche mögen einiges als platt oder plakativ empfinden, doch das Drehbuch hatte nie die Absicht, besonders subtil zu sein.
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Es ist sehr unverblümt und dennoch hinterlässt es immer wieder ernste Töne, die ihre Wirkung nicht verfehlen und zum Nachdenken anregen. Was in einem vor Kitsch triefenden Märchen hätte enden können, entwickelt sich hier zu einer zeitweise ziemlich verrückten Reflexion über unsere reale Welt. Mit einem Augenzwinkern und einer gehörigen Portion Biss zeigt dieser Film auf geniale Weise, dass es an der Zeit ist, die Geschlechterrollen zu hinterfragen, um letztlich Matriarchat und Patriarchat auf den Kopf zu stellen.
Jedoch ist „Barbie“ in keinster Weise eine anti-männliche Tirade oder Glorifizierung eines Geschlechts, vielmehr ist der Film wie ein überzeichnender Spiegel unserer Gesellschaft, der durch seine direkte Art ein konservatives Publikum etwas befremden könnte. Mag sein, dass der Film manchmal etwas überspitzt daherkommt, aber genau das bringt uns näher an die Realität heran und hinter dem augenzwinkernden Ton steckt oftmals ein ernster Kern.
So kritisiert der Film auch auf überdrehte Art die Chefetagen großer Firmen, in denen klischeehaft alte weiße Männer eine Firma führen, die Puppen für junge Mädchen vertreiben. Mittendrin Will Farell als CEO von Mattel mit viel Spielfreude und Sinn für Situationskomik. Gerade da die Gags recht vielseitig sind, sollte auch für jeden was dabei sein, um bestens unterhalten zu werden. Doch obwohl der Humor anfangs im Kinosaal für viel Gelächter sorgt, kämpft der Film später damit, eine gelungene Balance zwischen Gesellschaftssatire und Komödie zu finden. Gelegentlich gehen die Lacher etwas zu Lasten der eigentlichen Botschaft, was im Mittelteil durch ausholende Monologe versucht wird, auszugleichen. Dennoch wirken gerade diese Stellen etwas erzwungen.
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Doch „Barbie“ überzeugt nicht nur mit seiner feministischen Gesellschaftskritik, sondern auch durch seine umwerfenden Umsetzung der pinken Barbieland-Welt, die vom ersten Moment verzaubert. Denn das Besondere daran ist, dass die bunte Welt von „Barbie“ nicht einfach aus dem Computer stammt. Greta Gerwig entschied sich für einen einzigartigen Look, indem sie die farbenfrohen Hintergründe und Kulissen größtenteils von Hand bemalen ließ und eigens für die Dreharbeiten errichten ließ. Diese Liebe zum Detail führte sogar dazu, dass ein bestimmter pinkfarbener Ton zeitweise nicht mehr lieferbar war. Die pinke Welt entstand mit solcher Hingabe und wurde so geschickt eingefangen, dass man sich tatsächlich wie in einer künstlichen Plastikwelt fühlt, die den Charme der ikonischen Mattel-Puppen perfekt einfängt.
Die Szenen im Fantasieland der Puppen sind spektakulär und verbreiten gute Laune, während sie den Geist der ikonischen Mattel-Puppen und ihrer Traumhäuser perfekt einfangen. Mit raffinierten Beleuchtungstricks und einer schlicht cleveren Inszenierung behält der Film trotz echter Schauspieler den Charme der Barbie-Puppenwelt bei. Aber auch die Kostümbildner und Make-Up-Artists haben fantastische Arbeit geleistet
Der Prolog parodiert Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“:
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Und damit kommen wir endlich zu den Barbies und Kens, die eine wirklich grandiose Besetzung bilden: So hätte die Standart-Barbi wohl keine bessere Interpretin als Margot Robbie finden können. Sie verkörpert alle Facetten der Blondine perfekt und überzeugt vor allem in ernsteren Momenten, wenn die lächelnde Fassade fällt. Mit Charme und Charisma hebt sie sich über das festgezurrte Bild der stereotypen Puppe hinweg und zeigt gerade im Finale, warum sie derzeit der größte weibliche Filmstar der Welt ist. An ihrer Seite glänzt auch Ryan Gosling als verzweifelt nach Aufmerksamkeit suchender Ken. Nach „La La Land“ liefert Gosling erneut eine beeindruckende Performance ab, bei der nicht nur sein jetzt schon ikonischer Song in Erinnerung bleibt, sondern die sogar oscarverdächtig ist.
Besonders bemerkenswert ist, dass im ohnehin namhaften Cast niemand wirklich abfällt. Die Nebendarsteller sind großartig und ihre Spielfreude ist förmlich in ihre Gesichter geschrieben. Ob es die großartige Kate McKinnon als etwas skurrile Barbie ist, Emerald Fennell, die nach „Promising Young Woman“ wieder als Schauspielerin überzeugt, oder auch Michael Cera als sympathischer und oft übersehener Allan sowie Simu Liu als ein weiterer Ken – sie alle hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Greta Gerwig gelingt es meisterhaft, einen Ensemble-Film zu schaffen, bei dem trotz Fokus auf Margot Robbie und Ryan Gosling die anderen Charaktere keinesfalls in den Hintergrund gedrängt werden.
Alle Tanzszenen sind großartig choreographiert:
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Ansonsten bleibt zu sagen, dass „Barbie“ ein absolutes Muss für jeden Cineasten ist. Greta Gerwig hat auf wundervolle Weise Filmgeschichte in die Handlung von „Barbie“ eingebunden - weit mehr als nur nette Referenzen. Schon der geniale Prolog, der Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ parodiert, lässt das Herz jedes Filmfans höher schlagen. Dieses Mal prügeln keine Affen mit Knochen aufeinander ein, sondern kleine Mädchen mit ihren Puppen.
Im weiteren Verlauf des Films begegnen uns immer wieder grandioser Meta-Humor und nette Anspielungen, die einen Hauch von „Matrix“ und eine Prise „Goodfellas“ verbreiten, während wir Feminismus in einer pinken Plastikwelt erleben. Dazu noch ein fantastischer Soundtrack mit einigen Songs von großen Künstlern und stark choreographierten Tanzszenen und heraus kommt ganz großes Kino.
Fazit:
„Barbie“, ist ein Film, den das Kino gebraucht hat. Er bringt frischen Wind, nicht nur ins eingestaubte Subgenre der Live-Action-Verfilmungen. Es ist eine pink triefende Satire über die kommerziell erfolgreichste Kinderpuppe, doch die Verfilmung ist bei weitem kein Werbefilm, sondern einer der besten Filme des Jahres!
8 von 10 Punkten
„Barbie“ ist seit dem 20. Juli 2023 in den Kinos.
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