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Kritik zu „Bugonia“: Das nächste Meisterwerk von Yorgos Lanthimos?

  • Autorenbild: Toni Schindele
    Toni Schindele
  • 29. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Provokant, rätselhaft, faszinierend – Yorgos Lanthimos bleibt das Enigma des modernen Arthouse-Kinos. Mit seinem neuen Film „Bugonia“ setzt er nach einer beispiellos produktiven Phase noch einmal alles auf eine Karte.


Bildnachweis: © Universal Pictures
Bildnachweis: © Universal Pictures

Kaum ein anderer Regisseur hat das moderne Arthouse-Kino der vergangenen Jahre so konsequent geprägt wie  Yorgos Lanthimos: Nach dem Welterfolg von „Poor Things“ und dem unmittelbar folgenden „Kinds of Kindness“ im Jahr 2024 meldet sich der griechische Filmemmacher mit „Bugonia“ zurück – seinem dritten Film in nur zwei Jahren und zugleich dem letzten vor einer angekündigten Schaffenspause. Die Vorlage stammt aus Südkorea: Jang Joon-hwans Kultfilm „Save the Green Planet!“ gilt als Genrefeuerwerk – grotesk, radikal und kaum einzuordnen. Dass Lanthimos sich diesem Stoff annimmt, überrascht kaum, doch gelingt es ihm, die gefeierte Vorlage zu übertreffen – oder geht er wieder ganz eigene Wege?


Darum geht es:


Michelle Fuller ist knallharte CEO, Fitnessfanatikerin und das Gesicht eines Biomedizin-Giganten – bis sie eines Tages im Keller eines paranoiden Paketpackers landet. Teddy, Imker, Verschwörungstheoretiker und wütender Sohn einer Opioid-geschädigten Mutter, ist überzeugt: Michelle ist eine außerirdische Invasorin, verantwortlich für das Bienensterben, die Ausbeutung der Menschheit – und das Ende der Welt.


Die Rezension:


Kaum ein Name im Kino steht so sehr für eine eigene Handschrift wie der von Yorgos Lanthimos: exzentrisch, bissig, subversiv – zwischen Begierde und Gewalt; bis über die Schmerzgrenze hinaus komisch und doch stets zutiefst menschlich. Kaum ein Regisseur versteht es so virtuos, zwischen Witz und Wahn zu taumeln, seine Figuren zu quälen und zugleich das Publikum zum Lachen zu bringen. Sein neuer Film reiht sich nahtlos ins lanthimosche Universum ein – „Bugonia“ ist wieder ein Kinoerlebnis, das verstört, verführt und herausfordert – brillant und unbequem. Lanthimos bleibt der furchtlose Architekt des Gegenwartskinos: einfallsreich, sardonisch, gnadenlos in seiner Erkundung von Grausamkeit, Humor, Verzweiflung und Wortwitz. Mit chirurgischer Präzision und anarchischer Lust am Absurden treibt er sein Spiel mit Wahrnehmung, Erwartung und Wirklichkeit bis zum bitterbunten Finale. „Bugonia“ ist eindeutig keine leichte Kost, sondern wieder einmal die Grenzerfahrung zwischen Provokation und Poesie – und damit genau das, was man sich von Lanthimos erhoffen darf.


Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.
Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.

Die Prämisse der südkoreanischen Vorlage samt seiner rohen Erbarmungslosigkeit bleibt erhalten; aber Lanthimos verlegt die kammerspielartige Versuchsanordnung in den vom Internet zerfledderten Zeitgeist, der so im Jahr 2003 nicht existierte und Lanthimos' Film vom reinen Remake abhebt. Während Joon-Hwan Jangs „Save The Green Planet!“ – hierzulande bedauerlicherweise nie im Kino, sondern nur auf DVD erschienen – als völlig überbordendes Genrefeuerwerk gefeiert wurde, verliert sich Yorgos Lanthimos hier weniger in der Übersteigerung seiner Exzentrik und bündelt seine Eigenwilligkeit zu einer bitteren Allegorie auf die Gegenwart. Heraus kommt eine gegenwartsnahe Mediensatire mit kapitalismuskritischen Spitzen und einem feinen Science-Fiction-Schimmer – ein Spiegel, in dem Echokammern Vernunft verschlingen und Wahrheit zur Meinung schrumpft.


Lanthimos legt die semantischen Fallen des Verschwörungsdenkens bloß und zugleich die Versuchung, hineinzutappen. „Bugonia“ spielt mit Erwartungen, macht das Absurde plausibel und die Vernunft verdächtig. Dabei unterläuft der Film Erwartungen, spielt mit Lanthimos’ eigenem Ruf, schwankt zwischen geradlinigem Entführungskrimi und Metapher des postfaktischen Kontrollverlusts – kafkaesk, überzogen, jedoch nicht banal. Gemeinsam mit Ko-Autor Will Tracy mixt Lanthimos Wahnsinn und Weltanalyse zur dunklen Parabel über Ausbeutung und Irrsinn des Systems. Was als Satire auf Eliten und Konzernmoral beginnt, mutiert zum psychologischen Experiment über Wahrheit, Glaube und Manipulation. Der Humor ist tiefschwarz, die Dialoge scharf, das Unternehmen im Zentrum kalt wie Beton – Kapitalismus als Farce und Gefängnis zugleich.


Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.
Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.

Dabei entfesselt Yorgos Lanthimos einmal mehr eine unverwechselbare Bildsprache. Robbie Ryans Kamera zeichnet scharfe Kontraste zwischen sterilen Unternehmensräumen und dem chaotisch-pulsierenden Geschehen im Haus der Entführer. Radikal weite Brennweiten, unorthodoxe Kamerahöhen und natürliche Lichtführung erzeugen Räume, die zugleich öffnen und einengen. Der Soundtrack von Jerskin Fendrix ist ebenso exzentrisch, wuchtig und emotional aufgeladen wie der Film selbst. Mit dem rund 90-köpfigen London Contemporary Orchestra schuf Fendrix erneut eine brillant eigenwillige Klangwelt, die zugleich überwältigt, beunruhigt und theatral in das Geschehen zieht. Zugleich spielt auch dieser Film wieder mit Songs der Popkultur: Nach „Sweet Dreams“ in „Kinds of Kindness“ ist es hier vor allem der queere Popsong „Good Luck, Babe!“ von Chappell Roan, der eine zentrale Rolle einnimmt.


Gewalt- und Folterszenen werden ironisch mit Popklassikern unterlegt – etwa mit Green Days „American Idiot“. So kippen die grausamen Momente ins Schwarzhumorige, gewinnen subversive Wucht – und entfalten besondere Genialität, wenn man auf die Lyrics achtet. Denn was der Song fordert – Selbstdenken, Rebellion, Individualität – steht im maximalen Gegensatz zu dem, was die Szene zeigt – ein lanthimos’scher Widerspruch par excellence. Gesellschaftskritik entfaltet sich hier nicht durch Parolen, sondern durch groteske Spiegelungen. Der Song, einst als Abrechnung mit der amerikanischen Popkultur der frühen 2000er gedacht, wendet sich gegen Massenmedien, Propaganda und eine Gesellschaft, die sich selbst für aufgeklärt hält. In „Bugonia“ überträgt Lanthimos diese Haltung auf eine universelle, globalisierte Gegenwart – ein zorniges „Wir sind besser, merken aber nicht, wie verloren wir sind“.


Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.
Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.

Zudem kommt Marlene Dietrichs „Where Have All the Flowers Gone“ zum Einsatz – ein Antikriegslied, das in seiner melancholischen Friedensbotschaft zum bitteren Kommentar auf die Zerstörungslust des Films wird. Wo „American Idiot“ rebellisch aufbegehrt, trauert Dietrichs Stimme über den Verlust von Menschlichkeit. Zentraler Träger dieser Dynamik sind die beiden Hauptdarsteller, deren Figuren gegensätzlicher kaum gedacht werden könnten, deren Zusammenspiel aber das gesamte emotionale wie ideologische Fundament des Films bestimmt. Jesse Plemons gestaltet mit seinem Teddy eine Figur, die sich irgendwo zwischen verletzter Männlichkeit und ideologischer Besessenheit verortet – ein Individuum, das sich in der Abwärtsspirale sozialer Marginalisierung mit Verschwörungsdenken rettet und seine Ohnmacht in Gewalt transformiert.


Seine Darstellung changiert zwischen eruptiver Unberechenbarkeit und einem tief sitzenden Gefühl der Auslöschung. Emma Stone hingegen, erneut in einer physisch wie emotional extrem fordernden Rolle, bleibt bewusst mehrdeutig. Ihre Michelle ist weniger Opfer als Gegenkraft. Emma Stone zeigt in „Bugonia“ eine der radikalsten Darbietungen ihrer Karriere. Zwischen kalter Berechnung und nackter Verletzlichkeit oszillierend, gestaltet sie eine Figur, die sich jeder eindeutigen moralischen Lesart entzieht. Ihre physische Präsenz ist ebenso verstörend wie hypnotisch – selbst im Zustand völliger Entkräftung bleibt sie das dominierende Zentrum jeder Szene. Lanthimos’ langjährige Muse verwandelt Schmerz, Wahnsinn und Kontrolle in ein physisches Schauspiel von atemloser Intensität, das sich tief in die Bildsprache des Films einschreibt.


Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.
Bildnachweis: © 2025 Focus Features, LLC. All Rights Reserved.

Lanthimos setzt auf ein fein austariertes Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Abscheu, zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, das in der Beziehung zwischen dem obsessiven Einzeltäter Teddy und der rational-kalkulierenden Pharma-Managerin Michelle kulminiert. Lanthimos nutzt diese Gegenüberstellung nicht, um einfache Feindbilder zu entwerfen, sondern um ein ideologisches Spannungsfeld zu schaffen, in dem Täter- und Opferrollen zunehmend verschwimmen. Dass „Bugonia“ nicht in ein plattes Täter-Opfer-Schema verfällt, liegt genau an dieser Balance. Gleichzeitig offenbart der Film eine bittere Ironie: Beide Figuren halten sich für Retter – der eine aus irrationalem Sendungsbewusstsein, die andere aus neoliberaler Überheblichkeit. In dieser Konstellation offenbart „Bugonia“ seine eigentliche Schärfe: als satirisch zugespitztes Psychodrama über die Unversöhnlichkeit gesellschaftlicher Narrative, in denen Ideologie längst zur Ersatzreligion geworden ist.


Fazit:


„Bugonia“ ist Yorgos Lanthimos in Reinform: Inszenatorisch kühn, schauspielerisch radikal genial und zugleich bitterkomisch, entlarvt  der Film zwischen Psychodrama, Satire und Medienspiegel eine Welt, in der Ideologien zur Ersatzwahrheit verkommen. „Bugonia“ ist eine der radikalsten und zugleich faszinierendsten Kinoerfahrungen dieses Jahres – ein Film, der verstört, begeistert und noch lange nachhallt!


>>> STARTTERMIN: Ab dem 30. Oktober 2025 im Kino.


Wie hat Dir der Film gefallen? Teile Deine Meinung gerne in den Kommentaren!

Weitere Informationen zu „Bugonia“:

Genre: Komödie, Science-Fiction, Thriller

Laufzeit: 119 Minuten

Altersfreigabe: FSK 16


Regie: Yorgos Lanthimos

Drehbuch: Will Tracy

Besetzung: Emma Stone, Jesse Plemons, Aidan Delbis und viele mehr ...


Trailer zu „Bugonia“:


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