Kritik zu „Das Fest geht weiter!“: Zwischen Trümmern und Träumen
- Toni Schindele
- 10. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Juni
Wenn Häuser einstürzen, bleiben mehr als nur Trümmer zurück. In seinem neuen Film „Das Fest geht weiter!“ wendet sich Robert Guédiguian nicht der Katastrophe selbst zu, sondern dem, was danach kommt.

Als sich am 5. November 2018 in der Rue d’Aubagne zwei marode Altstadthäuser innerhalb von Sekunden in Staub verwandelten, legte die Tragödie nicht nur fatale Bausünden offen, sondern riss auch die soziale Wunde Marseilles auf: Acht Tote, hunderte Evakuierte, tausende Infragestellungen einer Stadtpolitik, die jahrzehntelang die Ärmsten übersehen hatte. Die darauffolgende Protestwelle – „Marseille en colère“ – münzte Empörung in politischen Wandel, besiegelte das Ende der konservativen Ära Gaudin und hob mit dem Printemps Marseillais ein linkes Bündnis ins Rathaus. Dieses Ereignis nahm sich Robert Guédiguian als Rahmen für seinen neuen Film „Das Fest geht weiter!“. Allerdings hat er nicht das Unglück rekonstruiert, sondern sich der Zeit danach gewidmet
Darum geht es:
Die sechzigjährige Rosa kämpft ständig für andere, aber nicht für sich. Als sie dem charmanten Henri begegnet, stürzt sie in ein Gefühlschaos: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten klopft ihr eigenes Herz lauter als jeder Arbeitskampf. Hat Rosa den Mut, sich selbst zur Priorität zu machen?
Die Rezension:
Tief verwurzelt in Marseille, stets den Blick auf das Soziale gerichtet und mit den Schwächsten der Gesellschaft im Fokus hat sich Robert Guédiguian als Chronist der südfranzösischen Arbeiterklasse etabliert. In seinem neuen Film kulminiert all das, wobei sich hier mehr denn je die Grenzen zwischen Realität und Utopie, zwischen Alltagsbeobachtung und politischem Wunschbild verschieben. „Das Fest geht weiter!“ ist ein Film, der weniger durch Spannung als durch Haltung überzeugt. In seiner Mischung aus Sozialdrama, Stadterzählung und zärtlicher Romantik zeichnet er ein bewusst idealisiertes Bild urbaner Solidarität. Die Handlung, angesiedelt im Kontext einer wahren Begebenheit – dem Einsturz zweier Altstadthäuser in der Rue d’Aubagne 2018 – nimmt dieses tragische Ereignis nicht nur als Ausgangspunkt für die Handlung, sondern verwebt es mit einer dichten Reflexion über Gemeinsinn, Erinnerungspolitik und politisches Engagement.

Guédiguians Regieansatz ist dabei nicht investigativ oder anklagend, sondern zutiefst menschlich, fast zärtlich. Er stellt nicht das institutionelle Versagen ins Zentrum, sondern die solidarischen Reaktionen darauf. In einer Zeit, in der soziale Spaltung und politischer Populismus vielerorts das Stadtbild prägen, entwirft Guédiguian ein Gegenmodell: eine auf Nähe, Empathie und Aktivismus beruhende Gemeinschaft, die sich nicht mit Zuständen abfindet, sondern aus sich selbst heraus Veränderung organisiert. Dabei wirkt die Aktivistengruppe streckenweise wie ein utopisches Selbstporträt der urbanen Linken. Dabei verwebt der Film auf zurückhaltende, beinahe beiläufige Weise private und gesellschaftliche Themen, wobei das Persönliche stets auch als politisch markiert wird. Guédiguian gelingt es, seinen Figuren Raum zu geben – sowohl durch dialogstarke Szenen als auch durch stille, visuell aufgeladene Momente.
Die dramaturgische Struktur folgt keiner klassischen Heldenreise, sondern gleicht vielmehr einem Episodenmosaik, in dem sich das große Ganze aus einer Vielzahl kleiner, ineinander verwobener Szenen zusammensetzt. Guédiguian nimmt sich Zeit für Zwischentöne, für unausgesprochene Konflikte, für kleine Gesten des Widerstands oder der Zuneigung. Dieser Erzählrhythmus wirkt mitunter entschleunigt, an einigen Stellen aber auch träge und verliert dabei zeitweise an Dynamik und plätschert vor sich hin. Wer sich jedoch auf das ruhige, spannungsarme Erzähltempo einlässt, wird mit berührenden, feinfühlig inszenierten Momenten belohnt, die dem Film eine warme, menschliche Note verleihen. Protagonistin Rosa – nuanciert gespielt von Ariane Ascaride – ist dabei das Herzstück dieses Erzählgebildes.
Rosa verkörpert gleich mehrere Schichten der Handlung: die Rolle der alleinerziehenden Mutter, die pensionierte Krankenschwester, das politische Rückgrat einer Nachbarschaftsbewegung – und zugleich die Frau, die in späten Jahren eine unerwartete Liebesgeschichte erlebt. Dass der von von Jean-Pierre Darroussin feinfühlig gespielte Henri – ein belesener, poetischer Einzelgänger – Rosa aus ihrem Aktivismus herausführt, ohne diesen zu untergraben, ist einer der stärksten Aspekte des Films. Denn gerade in der Darstellung dieser späten Romanze beweist der Film eine bemerkenswerte Sensibilität und verliert sich nicht in melodramatischen Klischees. Der Kamerablick ist ruhig, beobachtend, häufig von Sehnsucht getragen – etwa wenn Henri aufs Meer blickt oder Rosas Träume mit melancholischer Lichtsetzung verklärt werden.

Dabei wirken Marseille und seine Bewohner nicht nur als Kulisse, sondern als lebendige soziale Realität. Dabei ist die Katastrophe der Rue d’Aubagne im Film nicht bloß ein Hintergrundereignis, sondern ein dauerhaft präsenter Referenzpunkt. Immer wieder kehrt die Kamera zu der Leerstelle zurück, die die eingestürzten Häuser hinterlassen haben – ein urbanes Trauma, das nicht nur architektonisch, sondern auch psychologisch nachwirkt. Die Art und Weise, wie Guédiguian diesen Erinnerungsort filmisch behandelt, ist zugleich schlicht und bedeutungsschwer: Keine effekthascherische Inszenierung, sondern stille, wiederholte Präsenz. Dadurch wird der Ort zu einem Mahnmal, einem Punkt kollektiver Mobilisierung, aber auch zum Symbol für die Fragilität von Vertrauen in politische Strukturen.
Fazit:
Warmherzig, politisch durchdrungen, ruhig erzählend und tief in der sozialen Realität Marseilles verwurzelt, entfaltet Robert Guédiguians „Das Fest geht weiter!“ ein idealisiertes, zugleich zutiefst menschliches Porträt urbaner Solidarität.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 12. Juni 2025 im Kino.
Wie hat Dir der Film gefallen? Teile Deine Meinung gerne in den Kommentaren!
Weitere Informationen zu „Das Fest geht weiter!“:
Genre: Drama, Komödie
Laufzeit: 107 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Robert Guédiguian
Drehbuch: Robert Guédiguian und Serge Valletti
Besetzung: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Lola Naymark und viele mehr ...
Trailer zu „Das Fest geht weiter!“:
Comments