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Kritik zu „Das tiefste Blau“: Freiheit kennt kein Alter?!

  • Autorenbild: Toni Schindele
    Toni Schindele
  • 24. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Okt.

Ein Boot, ein Fluss, ein Entkommen – und eine Zukunft, die Fragen aufwirft, denen sich niemand entziehen kann. Gabriel Mascaros neuer Film führt in eine Welt, die fern erscheint und doch erschreckend viel mit unserer Gegenwart zu tun hat.


Kritik zu „Das tiefste Blau“: Freiheit kennt kein Alter?!
Bildnachweis: ©Guillermo Garza Desvia - Alamode Film

Gabriel Mascaro, einer der profiliertesten Regisseure des zeitgenössischen brasilianischen Kinos, hat sich in seiner bisherigen Laufbahn immer wieder mit Machtverhältnissen, sozialen Dynamiken und der Fragilität menschlicher Lebensentwürfe auseinandergesetzt. Ob in seinen frühen Dokumentararbeiten oder in gefeierten Spielfilmen wie „Neon Bull“ und „Divine Love“ – stets verknüpfte Mascaro politische Themen mit einer eigenwilligen, oft sinnlich aufgeladenen Bildsprache. Mit „O último azul“ legt er nun ein neues Werk vor, das bei der Berlinale 2025 nicht nur mit dem Silbernen Bären – Großer Preis der Jury ausgezeichnet wurde, sondern auch den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost sowie den Preis der Ökumenischen Jury erhielt. Nun kommt der Film unter dem deutschen Titel „Das tiefste Blau“ regulär in die Kinos.


Darum geht es:


In unbestimmter Zukunft in Brasilien: Die 77-jährige Tereza erhält den Befehl zur Umsiedlung in eine Seniorenkolonie. Doch statt sich ihrem Schicksal zu beugen, setzt sie sich in ein Boot und beginnt eine lange Reise durch das dichte Flusslabyrinth des Amazonas, um sich einen schon lange gehegten Wunsch zu erfüllen. Auf ihrer abenteuerlichen Reise begegnen ihr jedoch nicht nur Hindernisse, sondern auch unerwartete Weggefährten, die ihr Leben für immer verändern könnten.


Die Rezension:


„Das tiefste Blau“ verankert seine Erzählung in einer dystopischen Ausgangslage: einer Gesellschaft, die das Altern technokratisch organisiert und damit Selbstbestimmung in Pflegeeffizienz übersetzt. Gabriel Mascaro entwirft dafür ein administratives Gefüge, das Menschen ab einem festgelegten Schwellenalter aus dem Alltag herauslöst und in einer staatlich sanktionierten Kolonie verwaltet. Der Konstruktionsfehler dieses Systems ist programmatisch: Wer keine Hilfe braucht, gerät trotzdem in die Räder. Mascaros Film greift damit ein reales Problem auf: den immer schneller voranschreitenden demografischen Wandel in Brasilien, wo laut der Volkszählung von 2022 bereits mehr als 22 Millionen Menschen über 65 Jahre alt sind. Binnen zwölf Jahren stieg ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung von 7,4 Prozent auf 10,9 Prozent, bei gleichzeitiger historischer Tiefstgeburtenrate. Die Überalterung trifft auf eine Pflegeinfrastruktur, die kaum über informelle Netzwerke hinausgeht – eine Schere, die sich dramatisch zu öffnen beginnt.


Kritik zu „Das tiefste Blau“: Freiheit kennt kein Alter?!
Bildnachweis: ©Guillermo Garza Desvia - Alamode Film

Vor diesem gesellschaftlichen Brennpunkt entfaltet Mascaro eine einfache, aber wirkmächtige Dramaturgie. Im Zentrum steht Teresa, eine Frau, die ihr Leben lang in einer Fabrik gearbeitet hat und nun, im gesetzten Alter, erstmals den Wunsch verspürt, frei zu sein – nicht betreut, nicht beaufsichtigt, nicht verwahrt. Daraus entsteht ein Film, der mit pointierten Momenten zum Nachdenken anregt und dennoch für das Publikum leicht zugänglich bleibt. Gemeinsam mit Tibério Azul gestaltet Mascaro in „Das tiefste Blau“ eine Erzählung, die Dystopie, Komödie und Drama miteinander verbindet, sich in ihrer Grundform jedoch klar als Roadmovie ausweist: die Suche nach Freiheit, Begegnungen mit Weggefährten, die durch ihre unterschiedlichen Lebenshaltungen Spiegel und Herausforderung zugleich sind, und ein Ziel, das am Ende weniger zählt als der Weg dorthin. Zwar folgt die Handlung vertrauten Mustern, doch Mascaro inszeniert sie mit so viel Leichtigkeit und Kreativität, dass er den bekannten Stationen neue Facetten abgewinnt und Stück für Stück Terezas späte Selbstermächtigung als berührendes Kernmotiv freilegt.


Gemeinsam mit Kameramann Guillermo Garza entwarf Gabriel Mascaro ein visuelles Konzept, das den Film im 4:3-Format in eine träumerische, fast mystische Welt trägt. Das eingeegnte Format fokussiert unseren Blick und lässt uns die Welt zwischen Amazonas-Fluss, Dschungel und dysptopischer Zukunft wie durch ein Guckloch erleben. Schnecken mit blauem Sekret, die flirrende Umgebung des Amazonas, überwucherte Skulpturen oder kämpfende Goldfische genügen, um eine surreale Atmosphäre zu erzeugen – ganz ohne aufwendige Kulissen oder digitale Effekte. Der gezielte Einsatz von natürlichem und künstlichem Licht taucht die Szenen in ein Zwielicht zwischen Melancholie und Verführung. Unterstützt wird dies von Memo Guerras musikalischer Untermalung, die elektronische Beats, jazzige Rhythmen und Percussion verbindet. Getragen wird diese Geschichte aber fraglos von Denise Weinberg. Die in Brasilien gefeierte und international vor allem im cinephilen Fachpublikum wahrgenommene Schauspielerin ist fraglos das Herzstück dieses Films. Ihr gelingt es, Teresa nicht als bloße Rebellin oder Opfer zu zeichnen, sondern als komplexe Persönlichkeit mit Eigensinn, Humor und innerer Widersprüchlichkeit.


Kritik zu „Das tiefste Blau“: Freiheit kennt kein Alter?!
Bildnachweis: ©Guillermo Garza Desvia - Alamode Film

Ihre Figur wirkt nie glatt oder heroisiert – vielmehr ist sie eine Frau, die sich ganz ohne Pathos spät emanzipiert. Auch wenn man sich rasch auf ihre Seite schlägt, bleibt genügend Raum für kritische Fragen: Was bedeutet Freiheit im Alter wirklich? Wer entscheidet über Bedürftigkeit? Und wie kann Fürsorge gelingen, ohne in Bevormundung zu münden? Aber auch jenseits von Weinbergs charismatischem Spiel überzeugt das Ensemble – besonders im Zusammenspiel mit ihr. Hervorzuheben wäre da Rodrigo Santoro, der hierzulande wohl der bekannteste Name aus der Besetzung von „Das tiefste Blau“ ist. Sein Cadu wirkt zunächst rau und abweisend, doch hinter der Schroffheit blitzt Verletzlichkeit auf. In einer Schlüsselszene verwandelt sich sein Stolz in ein fiebriges Geständnis. Miriam Socarrás setzt als schrullige Nonne Roberta einen kraftvollen Kontrast: Mit digitaler Bibel und überschäumendem Lachen widersetzt sie sich den starren Regeln der Kolonie. Sie verkörpert die Erkenntnis, dass Freiheit ebenso käuflich wie zerbrechlich sein kann.


Fazit:


Auf den ersten Blick unscheinbar, entfaltet Gabriel Mascaros neuer Film eine besondere Sogwirkung: „Das tiefste Blau“ ist zugleich unterhaltsam und klug. Auch wenn der Aufbau recht vorhersehbar ist, überzeugt der Film durch eine Erzählweise, die das Kino in all seinen Möglichkeiten ausreizt und zwischen politischer Allegorie und poetischer Leichtigkeit einen berührenden Roadmovie über Selbstbestimmung im Alter entstehen lässt.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 25. September 2025 im Kino.


Wie hat Dir der Film gefallen? Teile Deine Meinung gerne in den Kommentaren!

Weitere Informationen zu „Das tiefste Blau“:

Genre: Drama, Science-Fiktion

Laufzeit: 86 Minuten

Altersfreigabe: FSK 6


Regie: Gabriel Mascaro

Drehbuch: Gabriel Mascaro und Tibério Azul

Besetzung: Denise Weinberg, Rodrigo Santoro, Miriam Socarrás und viele mehr ...


Trailer zu „Das tiefste Blau“:


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