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Toni Schindele

Kritik zu „Der wilde Roboter“: Ein Roboter lernt fühlen

Ein ungewöhnlicher Gast trifft auf eine unbekannte Welt, und nichts bleibt, wie es war. In Chris Sanders neuem Animationsfilm strandet ein Roboter in der Wildnis und entdeckt, was es bedeutet, zu fühlen.


Kritik zu „Der wilde Roboter“: Ein Roboter lernt fühlen
Bildnachweis: © Universal Pictures

Chris Sanders ist einer der prägendsten Animationsfilmer der letzten Jahrzehnte. Sein Durchbruch kam mit dem Disney-Film „Lilo & Stitch“ aus dem Jahr 2002, bei dem Sanders nicht nur Regie führte, sondern auch das Drehbuch mitschrieb und die Figur Stitch persönlich sprach. Nach seinem Erfolg bei Disney wechselte Sanders zu DreamWorks Animation, wo er den Animationshit „Drachenzähmen leicht gemacht“ inszenierte. Für DreamWorks hat er nun auch seinen neuen Animationsfilm „Der wilde Roboter“ gedreht.


Darum geht es:


Roz, ein Roboter, landet nach einem Sturm auf einer einsamen Insel – und ist dort ganz allein. Doch Roz gibt nicht auf! Neugierig erkundet er die neue Welt und versucht, sich mit den Tieren der Insel anzufreunden. Die sind allerdings skeptisch: Was will der komische Blechmann, der so laut ist und leuchtet? Erst als Roz ein kleines Gänseküken findet, ändert sich alles. Roz kümmert sich liebevoll um das Küken. Gemeinsam erleben sie spannende Abenteuer.


Die Rezension:


Chris Sanders' „Der wilde Roboter“ nimmt sich eines faszinierenden Konzepts an: die Konfrontation von Technik und Natur. Die Vorlage dazu stammt aus dem erfolgreichen Kinderbuch von Peter Brown, der das fantasievolle Szenario eines technologisch hochentwickelten Androiden entwickelt hat, der ausgerechnet in der rauen Wildnis strandet. Ähnlich wie bereits bei Sanders’ früheren Regiearbeiten erwartet das Publikum eine Mischung aus warmherziger Charakterzeichnung, augenzwinkerndem Humor und einer Spur Abenteuer.


Kritik zu „Der wilde Roboter“: Ein Roboter lernt fühlen
Bildnachweis: © 2024 DreamWorks Animation. All Rights Reserved.

Der mit weiblicher Stimme sprechender Roboter Rozzum 7134, kurz Roz, dient dabei als unsere Identifikationsfigur, indem sie, obwohl sie kein Mensch ist, dem Publikum durch ihr staunendes, entdeckendes Wesen und ihre aufrichtige Neugier einen Blick auf die Inselwelt ermöglicht. Ihre konzeptionelle „Leere“ – ein Betriebssystem ohne konkrete Vorgabe für diese Extremsituation – schafft die erzählerische Grundlage, damit sie in die Rolle einer Beschützerin, Mutter und Freundin hineinwächst. Damit spiegelt sie zugleich einen typischen Animationscharakter wider, der mit kindlicher Unbekümmertheit die Welt erforscht. Brightbill ist das verwaiste Jungtier, das sich an Roz als Mutter klammert. Die auf den ersten Blick eigenwillige Rollenverteilung – ein Roboter wird zur Adoptivmutter eines Gänsekükens – macht den Charme der Geschichte aus.


Das Vertrauen, das Brightbill Roz entgegenbringt, kontrastiert zu den Vorurteilen der anderen Tiere. Gleichzeitig lernt das Gänseküken von Roz, wie man über sich selbst hinauswächst: Er wagt den Flug in den Süden, womit er einer uralten Tradition seiner Art folgt, obwohl er dafür zunächst belächelt wird. Somit nimmt Brightbill die Rolle eines Wegbereiters für mehr Akzeptanz auf der Insel ein. Fink steht als außenseiterische Spiegelung von Roz. Genau wie der Roboter leidet er unter Vorurteilen, was ihn letztendlich empfänglich für Roz’ Perspektive macht. Der Fuchs wirkt zunächst eigennützig, entwickelt aber mit der Zeit Sympathie und Verständnis für Roz und Brightbill. Er zeigt, dass sich selbst ein schlauer Räuber einfühlsam verhalten kann, wenn er mit ausreichend Mitgefühl behandelt wird. Fink fungiert damit auch als moralischer Widerpart zu denjenigen Tieren, die unreflektiert ausgrenzen.


Kritik zu „Der wilde Roboter“: Ein Roboter lernt fühlen
Bildnachweis: © 2024 DreamWorks Animation. All Rights Reserved.

Die Geschichte verdeutlicht, dass Familie nicht zwangsläufig an biologische Verwandtschaft gekoppelt ist. In vielen Animationsfilmen tritt dieses Motiv auf, doch hier wird es durch den Kontrast von Technik (Roboter) und Natur (Gans) besonders reizvoll in Szene gesetzt. Die zentrale Botschaft ist: Zusammenhalt entsteht durch Verantwortung, Fürsorge und ein gemeinsames Ziel. In der Figur des Roboters Roz findet sich eine Variation des „Pinocchio“-Motivs: eine nicht-menschliche Kreatur, die sich menschliche Eigenschaften aneignet und so aufzeigt, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Durch die wechselseitige Unterstützung innerhalb der neu entstandenen „Familie“ (Roz, Brightbill und Fink) lernen die übrigen Tiere nach und nach, dass sie gemeinsam stärker sind. Auch der Aufruf zu kooperativem Handeln in einer scheinbar feindlichen Umwelt gehört zum zentralen Kernthema.


Roz wird als Spiegel genutzt, um grundlegende menschliche Eigenschaften – Hilfsbereitschaft, Empathie, Opferbereitschaft – zu beleuchten. Die Inselidylle wird bedroht, sobald klar wird, dass Roz nicht der einzige Roboter bleibt und dass ein gesichtsloser Megakonzern nur an den von ihr gewonnenen Daten interessiert ist. Daraus entsteht eine recht plakative Kapitalismuskritik, in der der Konzern zum absolut Bösen stilisiert wird. Wenngleich Vereinfachungen in Kinderfilmen dazugehören, ist der actionlastige Showdown doch ein kleiner Wermutstropfen, da der Film im letzten Drittel seine nuancierte Inszenierung einem effekthascherischen Spektakel weichen lässt.


Das mag zwar mitreißen, passt aber überhaupt nicht zur zuvor aufgebauten Tonalität. In den Schlussminuten kehrt der Film jedoch zu seinen Kernthemen zurück und endet mit einer schönen Schlusspointe. Gleichzeitig fasziniert der Film durch seine Inszenierung. Anstatt auf fotorealistische Animationen zu setzen, wählte Sanders einen farbenfrohen und warmen Ansatz, der an klassische Zeichentrickwerke erinnert. Mit sanften Konturen und weich gezeichneten Hintergründen entführt Regisseur Chris Sanders das Publikum in eine liebenswert gestaltete Naturwelt, die gleichermaßen natürlich und märchenhaft wirkt.


Kritik zu „Der wilde Roboter“: Ein Roboter lernt fühlen
Bildnachweis: © 2024 DreamWorks Animation. All Rights Reserved.

Dabei nehmen sich die Bilder immer wieder Zeit, um die Schönheit der Insel zu zelebrieren: Stürmische Küsten, üppige Wälder und die verspielten Details des Tierlebens. So entsteht eine Atmosphäre, die nicht nur den jüngeren Zuschauern ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln kann, sondern auch Erwachsene in eine unberührte Wildnis entführen. Trotz gelegentlicher Schwächen im Pacing und der teils konventionellen Erzählstruktur überzeugt „Der wilde Roboter“ durch seine warme, durchdachte Inszenierung und die liebevolle Gestaltung der Charaktere. Der Film schafft es, wichtige Themen wie Akzeptanz und Mitgefühl zu vermitteln, ohne dabei belehrend zu wirken.


Fazit:


„Der wilde Roboter“ besticht durch seine einfallsreiche visuelle Gestaltung, berührende Charakterentwicklung und feinsinnige Balance zwischen Humor und Ernst. Trotz kleinerer Schwächen ein unterhaltsames Erlebnis für die ganze Familie. Einer der schönsten Animationsfilme des Jahres mit tollen Botschaften!


>>> STARTTERMIN: Ab dem 3. Oktober 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Der wilde Roboter“:

Genre: Animation, Kinderfilm, Abenteuer

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 102 Minuten

Altersfreigabe: FSK 6


Regie: Chris Sanders

Drehbuch: Chris Sanders


Trailer zu „Der wilde Roboter“:


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