Kritik zu „Diva Futura“: „Ich bin hier, weil es dich gibt“
- Toni Schindele
- vor 2 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 1 Tag
Ein Film über Italiens erste Pornoagentur? Was nach reißerischem Skandalstoff klingt, wird unter der Regie von Giulia Louise Steigerwalt zu einem sinnlich-nostalgischen Zeitporträt. Doch wie viel Wahrheit steckt hinter der schillernden Fassade von „Diva Futura“?

Giulia Louise Steigerwalt hat sich direkt mit ihrem mehrfach ausgezeichneten Regiedebüt „Settembre“ aus dem Jahr 2022 als eine der spannendsten neuen Stimmen des italienischen Kinos etabliert. Nach der romantische Komödie wandte sie sich nun für „Diva Futura“ einem deutlich provokanteren Thema zu: dem Aufstieg und Fall von Riccardo Schicchi und Ilona Staller, die in den 1980er-Jahren die erste Pornoagentur Italiens gründeten. Was erzählt Steigerwalt heute über diese Ära?
Darum geht es:
Mit der Gründung von Diva Futura erschafft Riccardo Schicchi ein erotisches Imperium, das Pornografie aus dem Schatten ins Rampenlicht holt. Zwischen aufblühendem Privatfernsehen, politischer Provokation und öffentlicher Obsession steigen Ikonen wie Ilona Staller, Moana Pozzi und Eva Henger zu medialen Sensationen auf. Kann eine Bewegung, geboren aus Lust und Freiheit, dem wachsenden gesellschaftspolitischen Druck standhalten?
Die Rezension:
Giulia Louise Steigerwalts „Diva Futura“ feiert die visionäre Kraft von Außenseitern und Nonkonformisten, positioniert sich vor allem als ästhetisches Zeitporträt und nostalgisches Plädoyer für eine Form der Erotik, die als künstlerisch und befreiend verstanden wird. Dieses Bild ist nicht falsch, aber unvollständig. Die Tatsache, dass die titelgebende Agentur im Vergleich zu vielen anderen eine stärkere stilistische Eigenständigkeit und ein höheres Maß an Selbstdarstellung ermöglichte, ist historisch belegbar. Doch auch hier galten wirtschaftliche Zwänge, Machthierarchien und Konkurrenzdruck. Insofern romantisiert der Film die strukturellen Bedingungen zugunsten eines erzählerischen Wohlgefühls. Die tief verwurzelte gesellschaftliche Doppelmoral, die Sexarbeitende in nahezu allen Lebensbereichen diskriminiert, wird in „Diva Futura“ eher behauptet als dargestellt.

Historisch tief verankert, reicht dieses Stigma zurück bis in die Antike und hat über Jahrhunderte hinweg moralische Narrative zementiert, die auch heute noch spürbare gesellschaftliche Konsequenzen zeigen. Gerade die Branche der Pornografie ist von einer widersprüchlichen Rezeption geprägt: Einerseits kommerziell omnipräsent und medial global verfügbar, andererseits moralisch geächtet und sozial abschätzig bewertet. Etwas mehr beleuchtet wird in „Diva Futura“ aber der Umstand, dass viele ehemalige Pornodarstellerinnen berichten, ihre frühere Tätigkeit niemals loszuwerden. Viele berichten von einem anhaltenden Gefühl, nicht mehr als „normale“ Menschen wahrgenommen zu werden. Ein einmal erworbener Ruf in der Pornoindustrie bleibt oft über Jahre bestehen, unabhängig von Veränderungen im Lebensstil, im Auftreten oder in der beruflichen Orientierung.
Der soziale Makel, mit Sexualität öffentlich verbunden zu sein – ob freiwillig oder unfreiwillig –, bleibt in vielen westlichen Gesellschaften ein massiver Barrierefaktor für Gleichstellung, Selbstbestimmung und Respekt. Dieses sogenannte „Whore Stigma“, das Bild der sexuell entgrenzten, moralisch verkommenen Frau, wird in einer Szene sehr präzise herausgearbeitet, um letztlich den Finger von den Sexarbeitenden auf die Konsumierenden zu richten, wenn Tesa Litvan als Éva Henger in die Kamera spricht: „Ich bin hier, weil es dich gibt.“ Der Film rekonstruiert die Geschichte der Pornoagentur jedoch nicht als gesellschaftspolitische Unternehmenserzählung, sondern als fast familiär wirkende Lebensgemeinschaft – ein künstlerisch aufgeladener Ort gelebter Libertinage, der als Gegenentwurf zur repressiven Sexualmoral Italiens inszeniert wird. Nicht die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Mechanismen, sondern die emotionale Bindung der Figuren an ihre Arbeit und zueinander stehen im Vordergrund.
Die Erzählstruktur des Films setzt dabei auf ein multiperspektivisches Ensemble, das aus ehemaligen Mitarbeiterinnen, Darstellerinnen und Weggefährten von Diva Futura besteht. Die Handlung beginnt im Jahr 1994, rahmt den Aufstieg der Agentur über persönliche Erinnerungen und nutzt diverse Voice-over-Kommentare, um zwischen Zeitebenen zu springen. Protagonist dieser Geschichte ist trotz des großen Ensembles Riccardo Schicchi, der Gründer von Diva Futura, der hier als charismatischer, wenn auch exzentrischer Strippenzieher erscheint, der mit visionärem Enthusiasmus eine alternative Erotikszene aufzubauen versucht. Diese idealisierte Perspektive hat einen Hauptgrund: Als Vorlage für den Film diente das autobiografische Buch „Ho amato il re del porno“ von Debora Attanasio, einer ehemaligen Sekretärin Schicchis, deren positive Erinnerungen an die Agenturzeit deutlich in die filmische Tonalität eingeflossen sind.

Pietro Castellitto verleiht seiner Interpretation von Riccardo Schicchi eine nervös flackernde Lebendigkeit, tanzt durch die Szenerie als Getriebener zwischen Genie und Größenwahn. Doch trotz bemühtem Spiel bleibt die Figur sehr in einem starren Sinnbild festgezurrt, ohne eine mehrschichtige Figur zu werden. Das Drehbuch verpasst es, die biografischen Tiefen auszuleuchten – ein Umstand, der insbesondere in der zweiten Hälfte des Films zu einer zunehmend soapartigen Dramaturgie führt. Während Castellittos Darstellung anfangs noch das kreative Chaos verkörpert, wird Schicchi später zum tragischen Opfer einer Gesellschaft, die seine Kunst nicht versteht – eine narrative Vereinfachung, die kritische Fragen weitgehend vermeidet.
Die Frauen – darunter die von Denise Capezza eindrucksvoll gespielte Moana Pozzi – erscheinen nicht als Opfer einer patriarchalen Industrie, sondern als aktive Gestalterinnen ihres öffentlichen Bildes. Auch diese Perspektive ist selektiv und reproduziert bewusst den Mythos der emanzipierten Pornodarstellerin. Die Frage, wie sehr sich diese Selbstbestimmung innerhalb einer von männlicher Kontrolle und Marketinglogik durchwirkten Branche tatsächlich entfalten konnte, bleibt unbeantwortet. Lidija Kordić verkörpert Ilona Staller alias Cicciolina mit jener Mischung aus koketter Unnahbarkeit und politischer Provokation, für die Staller berüchtigt war – ohne dabei in Karikatur oder reine Imitation zu verfallen. Tesa Litvan als Éva Henger wiederum bringt eine gewisse Verletzlichkeit und emotionale Ambivalenz ein, die ihrer Figur eine innere Zerrissenheit verleiht, die über die plakative Oberfläche hinausreicht.

Dabei gelingt es dem Film, ein visuell ansprechendes und sorgsam rekonstruiertes Zeitbild zu entwerfen. Die Bildsprache von Kameramann Vladan Radovic nutzt warme Farbpaletten und bewegte Bildachsen, um sowohl die Intimität der Figurenbeziehungen als auch das lebhafte Treiben hinter den Kulissen einer Pornoagentur erfahrbar zu machen. Das Produktionsdesign arbeitete mit einem hohen Maß an Genauigkeit: Von aufwendig nachgebauten Studiokulissen bis hin zu Wohnungen, Clubs und Fernsehstudios wird jede Umgebung mit historischem Gespür ausgestattet. Kostümbildnerin Andrea Cavalletto kleidete die Figuren epochentypisch, die zwischen Glamour, Popkultur und Erotik changieren. Zudem unterstreicht die musikalische Untermalung – etwa mit Songs wie „Words“ von F. R. David oder „Live Is Life“ von Opus – den nostalgischen Grundton des Films.
Fazit:
„Diva Futura“ ist ein stilistisch detailreiches, von Nostalgie durchdrungenes Porträt der ersten Pornoagentur Italiens, das visuelle Sinnlichkeit und künstlerische Selbstinszenierung feiert, dabei aber strukturelle Machtverhältnisse und die Stigmatisierung von Prositution nur streift.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 26. Juni 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Diva Futura“:
Genre: Historiendrama
Laufzeit: 125 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Giulia Louise Steigerwalt
Drehbuch: Giulia Louise Steigerwalt
Besetzung: Pietro Castellitto, Tesa Litvan, Lidija Kordić und viele mehr ...
Trailer zu „Diva Futura“:
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