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Kritik zu „In einem Land, das es nicht mehr gibt“: Ein anderer Blick auf die DDR

„Was ist es dir wert, deinen Traum zu leben?“ - eine Frage, die sich sicher viele Menschen stellen. Auch Filmemacherin Aelrun Goette griff die Frage auf und schrieb um diese herum ein Drehbuch, inszenierte es selbst und bringt dieses Jahr ihren neuen Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ in die Kinos, der die DDR von einer anderen Seite zeigen soll...


Bildnachweis: © Ziegler Film/TOBIS/ Peter Hartwig


Aelrun Goette ist im Jahr 1966 im Osten von Berlin geboren und somit in einem Land, das es nicht mehr gibt, aufgewachsen. In den 80er Jahren wurde sie auf den Straßen Berlins entdeckt und als Model angeworben. Für die bekannte DDR-Frauenzeitschrift Sybille und die Luxusmarke Exquisit arbeitete sie daraufhin als Mannequin als eine Frau, die als Beruf Mode vorführt. Da Aelrun Goette selbst die glamouröse Seite des Ostens kennenlernte, erzählt sie in ihrem Film eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht.


Darum geht es:


Die 18-jährige Suzie wollte eigentlich studieren, doch kurz vor dem Abitur fliegt sie von ihrer Schule und findet sich kurz darauf als Facharbeiterin im Kabelwerk Oberspree wieder. Als sie eines Tages zufällig fotografiert wird und kurz darauf in der beliebten Zeitschrift Sybille abgedruckt wird, erhält sie die Gelegenheit, dem sozialistischen Fabrikalltag zu entfliehen. Sie kann sich von nun an ihr Geld als Fotomodel verdienen.


Die junge Suzie gerät in eine ganz neue Welt, in eine der Kreativität, des Glamours und der Schönheit und trifft in ihr auf den extravaganten Rudi, der durch seine eigene Mode eine Underground-Szene erfindet. Der schwule Modekünstler kreiert mit leidenschaftlicher Fantasie außergewöhnliche Mode. Im neuen Milieu trifft sie außerdem auf den rebellischen Fotografen Coyote. Seine faszinierenden Bilder begeistern alle, auch Suzie, die sich in ihn verliebt. Mit ihm kann sie jene grenzenlose Freiheit spüren, die sie sich immer erträumte. Doch diese Freiheit hat ihren Preis und schon bald stellt sich die Frage, was Suzie bereit ist, um ihren Traum zu leben. Zwischen Liebe, Solidarität und Verrat entführt uns Aelrun Goette in eine Geschichte im Jahr 1989, drei Monate vor Mauerfall...


Die Rezension:


Der Zweite Weltkrieg und die DDR waren hierzulande über die vergangenen Jahrzehnte eine äußerst gern gewählte Thematik für Filme und Serien. Von aufwühlenden Kriegsdramen zu spektakulären Fluchten aus dem Land, das es nicht mehr gibt, hat der deutsche Film vornehmlich diese beiden einschneidenden Zeiten unserer Geschichte beackert. Da Aelrun Goette selbst in der DDR aufgewachsen ist und das Leben „von drüben“ kennt, erzählt sie in ihrem Film eine Geschichte, die auf eigenen Erfahrungen und Erlebnissen fußt und jenes Land, über das schon so viel erzählt wurde, von einer ganz anderen Seite zeigen will. Oder wusstest Du, dass es Glamour und eine ausgefallene Modeszene im sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern gab?


Bildnachweis: © Ziegler Film/TOBIS/ Peter Hartwig


Auch wenn man meinen könnte, dass die Schönheit des Individuums in einem Staat der Gleichheit verpönt war, hat sich die Modeszene der DDR doch eine Nische und eine Bühne erkämpft. Von dieser bisher unbeleuchteten Facette zeigt Aelrun Goette nun in ihrem neuen Spielfilm „In einem Land, das es nicht mehr gibt“, an dem sie über ein Jahrzehnt werkelte. Einen besonders tiefen Einblick gewährt uns der Film aber nicht, der letztlich weniger über Mode in der DDR berichtet, sondern sich viel mehr auf eine Coming-of-Age-Geschichte und die Frage nach der Freiheit fokussiert. Gerade die gezeigte Modenschau von Leipzig verdeutlicht, dass der Ansatz dieses Films ein anderer war. Doch die Inszenierung einer die Protagonistin sabotierenden Mitstreiterin auf dem Laufsteg ist so plakativ aufgezogen, dass man sich an so manche Momente einer gewissen Mode-Reality-TV-Serie erinnert fühlt...


Nach einem Beschluss des Ministerrats 1966 eröffneten in der DDR rund 300 der staatseigenen Bekleidungsgeschäfte VHB Exquisit, wo man für gehobene Preise schick designte Klamotten erwerben konnte. Nachdem Aelrun Goette mit 19 Jahren von der Schule flog, wurde sie von der Zeitschrift Sybille entdeckt und modelte als Mannequin im VHB Exquisit. Das erzählt auch der Film, der mit der Festnahme von Hauptfigur Suzie beginnt. Denn in ihrer Tasche wird George Orwells Science-Fiction-Roman "1984" gefunden und wie eine Urteilsbegründung aus dem Oktober 1978 belegt, das Lesen dieses Buches war in der DDR eine Straftat. Damals wurde ein 27 Jahre alter Diplom-Theologe zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, da er "1984" gelesen und an Bekannte verliehen hatte...


Hinter Gitter muss Suzie zwar nicht, aber sie darf auch nicht mehr studieren. Aus der Schule geschmissen findet sie sich als Arbeiterin im Kabelwerk Oberspree wieder, wo sie zu einem „würdigen Mitglied unserer sozialistischen Gesellschaft“ reifen soll, wie es ihr Vorgesetzter formuliert. Doch in der harten ölverschmierten Arbeit will sie nicht bleiben und ein zufälliger Moment eröffnet ihr die Tore in eine neue Welt.

Bildnachweis: © Ziegler Film/TOBIS/ Peter Hartwig


Marlene Burow schlüpft in die junge Suzie, die ihr zwischen Verletzlichkeit, Mut und unbändigem Freiheitsdrang ein vielschichtiges wie emphatisches Auftreten verleiht. Ob es die verzweifelte Zigarette ist, wenn sie sich von der ganzen Welt ungerecht behandelt fühlt oder das Selbstbewusstsein, dass sie im Überwachungsstaat der DDR entwickeln muss, Marlene Burow kann die Stimmungen und Emotionen auf den Zuschauer übertragen und mit ihrer Performance einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.


Entweder du bist frei oder du bist es nicht, dann nützt dir auch der Westen nichts“ – dieser Ausspruch kommt von Rudi, der grandios von Sabin Tambrea verkörpert wird. Der kreative Künstler hat es in der DDR nicht leicht, da es ihn als Schwulen eigentlich gar nicht geben dürfte, denn das Land hat offiziell ausschließlich heterosexuelle Menschen. Doch davon und vielen weiteren Hindernissen lässt er sich nicht unterkriegen und versprüht Optimismus, Hoffnung und Freude an der Kreativität.


Bildnachweis: © Ziegler Film/TOBIS/ Peter Hartwig


Als blondierter wie bizarr schillernder Charakter begeistert Sabin Tambrea mit toller Präsens. Er wird im Film als Katze beschrieben, die immer wieder aufsteht. Ebenfalls sehr präsent ist David Schütter in der Rolle des Fotografen Coyote. Seine faszinierenden Bilder begeistern alle, auch Suzie, die sich in ihn verliebt. Im Großen und Ganzen finden wir in „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ vielschichtige Figuren, die sehr authentisch geschrieben sind, wie aus dem wahren Leben entstammen.


Bildnachweis: © Ziegler Film/TOBIS/ Peter Hartwig


Doch „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ lebt bei weitem nicht nur von seinen außergewöhnlichen Hauptdarstellern, die stilvolle Gestaltung der DDR-Kulissen und Bilder ist durchaus gelungen. Gerade Kameramann Benedict Neuenfels konnte durch kontrastreiche Bilder sehr schön die Stimmungen zwischen dem trostlosen Kabelwerk Oberspree und der lichten Räume der Sybille unterscheiden.


Fazit:


Aelrun Goette versucht mit „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ von eindimensionalen Stasi-Geschichten wegzukommen, um die DDR von anderen Facetten zu zeigen. Daher schlägt die Geschichte zum Ende hin auch nicht die klasischen Wege ein und kann mit treffenden Dialogen und einer extremen Abschlussparty mit einem Knall enden.


7 von 10 Punkten


„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ ist seit dem 6. Oktober 2022 in den Kinos.



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