Kritik zu „Islands“: Verloren auf Fuerteventura
- Toni Schindele
- vor 1 Tag
- 4 Min. Lesezeit
Ein einsamer Tennislehrer, eine rätselhafte Urlauberin und eine Insel, auf der die Sonne nicht nur Schatten wirft: Jan-Ole Gerster meldet sich mit seinem neuen Film „Islands“ zurück, der sich nur schwer greifen lässt – und genau darin seine Kraft entfalten will.

Ein wirklich großer Film beginnt oft dort, wo der Alltag endet – mit einer Frage, die das Publikum unweigerlich in ihren Bann zieht. Jan-Ole Gerster, 1978 in Hagen geboren und in Neunkirchen aufgewachsen, hat bereits zweimal solche Szenarien verfilmt: In seinem melancholisch-schwarzhumorigen Berlin-Streifzug „Oh Boy“ lotete er die lähmende Leere eines ziellosen Großstadt-Tages aus und in „Lara“ entwarf er das Duell zwischen Mutterliebe und künstlerischem Selbstanspruch. Nun, sechs Jahre nach „Lara“, steht Gersters dritter Spielfilm „Islands“ in den Startlöchern – und schon vor dem Kinostart gilt der Film als einer der heißesten Favoriten für den 75. Deutschen Filmpreis: nominiert als Bester Spielfilm, für die Beste männliche Hauptrolle, die Beste Filmmusik und die Beste Tongestaltung.
Darum geht es:
Tennistrainer Tom lebt auf Fuerteventura zwischen Sonne, Alkohol und belanglosen Affären – bis die geheimnisvolle Anne mit ihrem Mann Dave und dem kleinen Sohn Anton im Hotel eincheckt. Doch dann verschwindet Dave spurlos und Annes Verhalten wird zunehmend rätselhaft. Zwischen düsteren Fragen, gefährlicher Nähe und dem Rauschen der Wellen wächst in Tom ein Verdacht: Ist er Teil eines Spiels, das längst außer Kontrolle geraten ist?
Die Rezension:
Gemeinsam mit seinen Ko-Autoren Blaž Kutin und Lawrie Doran inszeniert Jan-Ole Gerster in seinem ersten englischsprachigen Spielfilm „Islands“ ein hybrides Erzählmodell, das zwischen Thrillerstruktur, Noir-Atmosphäre und introspektiver Charakterstudie mit den Erwartungen seiner Zuschauenden spielt. Thematisch bewegt sich „Islands“ zwischen dem Wunsch nach Neuanfang und der Angst vor Veränderung, zwischen touristischer Verklärung und alltäglicher Trostlosigkeit. Als psychologisches Kammerspiel in weiter Landschaft entfaltet der Film eine eindrucksvolle Bildsprache und stellt präzise Fragen nach innerer Leere und existenzieller Verlorenheit – doch er überlässt es dem Publikum, diese Fragen weiterzudenken. Ob das genügt, bleibt wohl eine Geschmacksfrage.

Zwischen Hotelanlage, Küstenstraßen und einsamen Strandabschnitten bewegt er sich routiniert durch eine Welt, die ihm nichts mehr bedeutet, in der er aber zugleich ein gewisses Maß an Anerkennung genießt. Sam Riley verkörpert diesen Protagonisten mit einer lakonischen Mischung aus emotionaler Abgeklärtheit, unterdrückter Sehnsucht und müder Ironie. Seine Präsenz ist von einem permanenten inneren Rückzug gekennzeichnet, ohne dabei in völlige Empathieverweigerung abzugleiten. Gerade in seiner Ambivalenz – zwischen sympathischer Trägheit und selbstverschuldeter Isolation – liegt die größte Stärke dieser Figurendarstellung. Der Verlust von Handlungsmacht, die Resignation vor dem eigenen Lebensverlauf und die Unfähigkeit, aus eingefahrenen Mustern auszubrechen, werden dabei nicht plakativ ausgeschlachtet, sondern in kleinen Gesten und Blicken erfahrbar gemacht.

In diesem psychologischen Gefüge wirkt Stacy Martin als Anne wie ein Katalysator ambivalenter Projektionsflächen. Anne erscheint als archetypische Femme fatale – schweigsam und vor allem undurchdringlich. Dissonante Klangflächen und das nahezu surreale Ineinandergreifen von Naturgeräuschen und unterlegtem Sounddesign intensivieren diese Wirkung. Besonders bemerkenswert: Die Musik von Dascha Dauenhauer vermeidet melodramatische Überhöhungen und orientiert sich stattdessen an einer jener Tonalität, die an klassisches Noir-Kino erinnert, ohne sich diesem jedoch direkt unterzuordnen. Mit dem Verschwinden der Figur Dave eröffnet sich eine Krimistruktur, die jedoch bewusst unterlaufen wird. Statt Auflösung oder Eskalation wählt Gerster ein fast träges Erzählen, das sich vor allem auf atmosphärische Entwicklungen konzentriert.
Doch während der Film zunächst eine dichte atmosphärische Grundierung etabliert und uns sukzessive in das innere Vakuum des Protagonisten einführt, gerät die zweite Hälfte zunehmend ins narrative Straucheln. Die dramaturgische Orientierung verliert sich im Wechselspiel zwischen psychologischer Charakterstudie und uneingelösten Mystery-Elementen. Die Fragen nach Vergangenheit, Schuld, Begehren und Identität werden angerissen, aber nicht vertieft. Es fehlt an einer konsequenten Verdichtung der Motive; das Wechselspiel zwischen Tom und Anne bleibt letztlich auf der Ebene subtiler Andeutungen, ohne dass daraus ein tatsächlicher Konflikt entsteht oder das Begehren in narrativer Konsequenz überführt wird.

Ob es sich bei „Islands“ um eine Vergangenheitsbewältigung, ein Beziehungsdrama oder gar um einen klassischen Whodunit handelt, bleibt über weite Strecken unklar. Aber auch wenn sichirgendwann ein scheinbar klares Ende abzeichnet, mündet der Film doch nicht in die vorgezeichnete Genrekonvention – wenngleich das Finale vielleicht sogar etwas zu viel will und damit den idealen Moment verpasst, um die Geschichte kurzweilig abzuschließen. Klar ist auf jeden Fall: Jan-Ole Gersters neuer Film ist prädestiniert dafür, dass ihn die einen lieben und andere weniger mögen – doch es lohnt sich in jedem Fall, herauszufinden, ob man sich von diesem audiovisuell eigenwilligen Werk mitreißen lassen kann.
Fazit:
Rätselhaft, atmosphärisch dicht und getragen von Sam Rileys nuancierter Präsenz entfaltet Jan-Ole Gersters „Islands“ ein Szenario, das Erwartungen unterläuft und sowohl begeistern als auch enttäuschen kann.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 8. Mai 2025Â im Kino.
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Weitere Informationen zu „Islands“:
Genre: Drama, Thriller
Laufzeit:Â 122 Minuten
Altersfreigabe:Â FSK 6
Regie: Jan-Ole Gerster
Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin und Lawrie Doran
Besetzung: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing und viele mehr ...
Trailer zu „Islands“: