Kritik zu „Kontinental ’25“: Wie gut ist der neue Film von Radu Jude?
- Toni Schindele

- 3. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Okt.
Das Kino kann ein Ort der Antworten sein – oder einer, an dem die Fragen lauter werden. Es kann trösten, provozieren oder schlicht die Wirklichkeit spiegeln, wie sie ist. Letzteren Ansatz hat der im Arthouse-Kino gefeierte Regisseur Radu Jude in seinem neuen Film „Kontinental ’25“ verfolgt.

Wer sich mit dem europäischen Autorenkino der letzten Jahre beschäftigt, stößt früher oder später auf den Namen Radu Jude. Der rumänische Regisseur hat sich mit Filmen, die oft unbequem, manchmal komisch und meistens gedanklich clever sind, einen festen Platz im internationalen Festivalbetrieb erarbeitet. Seit seinem Berlinale-Debüt mit „The Happiest Girl in the World“ im Jahr 2009 kehrt er regelmäßig nach Berlin zurück – als Regisseur oder auch Jurymitglied. Nach einem Jahr Auszeit war Jude auch 2025 wieder bei der Berlinale vertreten – diesmal mit seinem neuen Film „Kontinental ’25“. Jetzt startet das Werk regulär in den Kinos. Da liegt eine Frage nahe: Sollte man für Radu Judes neuen Film ein Ticket an den Kinokassen lösen?
Darum geht es:
Orsolya arbeitet als Gerichtsvollzieherin in Cluj, der zweitgrößten Stadt Rumäniens. Als ein Routineeinsatz tragisch endet, gerät ihr moralisches Gleichgewicht ins Wanken. Vergeblich sucht sie Halt in einer Gesellschaft, die für Zweifel keinen Platz hat. Doch wie lange kann man funktionieren, wenn die eigene Überzeugung zu bröckeln beginnt?
Die Rezension:
„Kontinental ’25“ ist vor allem eines: die Beobachtung menschlicher Schwächen und Werte im heutigen Rumänien – erzählt durch die Orientierungslosigkeit einer Frau, die nach einem Todesfall ihre vertraute Ordnung verliert. Radu Jude setzt dafür jedoch nicht auf einen kausalen Spannungsbogen; vielmehr besteht sein Film aus diversen, für sich stehenden Unterhaltungen, die Privates und Politisches verweben. Aus Alltagsrepliken schälen sich die Konfliktlinien der Gegenwart: vom Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten über den in Rumänien noch immer nicht überwundenen Antiziganismus bis hin zur hier zentral aufgegriffenen Korruption in der Bauindustrie werden in „Kontinental ’25“ zahlreiche Themen angeschnitten. Der Film blickt dabei weniger höhnisch als prüfend auf Haltungen und Widersprüche.

Formal knüpft Jude nach eigener Aussage an das moralische Kino Rossellinis an und denkt dessen „Europa ’51“ weiter – nicht als Thesenfilm, sondern gewissermaßen als Temperaturmessung einer Gesellschaft, in der das große Weltgeschehen durch Wohnzimmer, Küchen und Garagen zieht. Doch im Gegensatz zu jenen Werken, die Radu Judes Ruf als besonderen Filmemacher schufen, wirkt „Kontinental ’25“ erstaunlich zahm: Viel wird geredet, wenig zugespitzt – realistisch, ja, aber erzählerisch so ungerichtet, dass sich die Frage stellt, was so manche Szene über das bloße Abbilden gegenwärtiger Lebensrealitäten hinaus leistet. Die radikale Polemik früherer Filme weicht einer primär beobachtenden Haltung, die mehr zuschaut als hinschaut. Der in nur elf Tagen mit einem iPhone gedrehte Film hat keine raffinierten oder besonders cleveren Einstellungen, sondern setzt vor allem auf eine lebensnahe Unmittelbarkeit – als hätte Jude der Wirklichkeit kurzerhand das Mikro hingehalten.
Doch das Konzept trägt nicht durchgängig. Wo Atmosphäre entstehen könnte, zieht sich vieles in die Länge; wo politische Tiefenschärfe möglich wäre, bleibt der Blick im Ungefähren. Immer wieder kreist dabei alles um dieselbe Schuldzuschreibung an die Protagonistin, die jedoch weder wirklich hinterfragt noch weitergedacht wird. Der verstorbene Obdachlose bleibt – in der Wahrnehmung der Figuren wie auch des Films selbst – ein bloßes Abziehbild: abscheulich, stinkend und selbst schuld, herabgewürdigt als ärgerlicher Störfaktor, nie jedoch als Figur mit Perspektive. Dadurch verengt sich der Blick auf soziale Milieus, und die Inszenierung reproduziert unfreiwillig entmenschlichende Stereotype. Auch die offen zur Schau gestellten rassistischen wie gleichermaßen nationalistischen und immer wieder misogynen Ausfälle werden selten erzählerisch unterlaufen. So entsteht immer wieder der Eindruck, der Film kritisiere vor allem jene, die in den aufgeworfenen Szenarien gezeigt werden, und nicht die dahinterstehenden Strukturen.

In langen, oft starren Einstellungen durchquert die Protagonistin hier eine auffällig trist inszenierte urbane Landschaft: „Kontinental ’25“ zeigt ein Stadtbild, das symbolisch für eine Gesellschaft stehen soll, sich aber zunehmend in Behauptungen verliert, ohne sie filmisch einzulösen. Getragen wird der Film maßgeblich von Eszter Tompa, die Orsolyas innere Zerrissenheit mit einer zurückgenommenen, aber eindringlichen Präsenz verkörpert. Ihr gelingt es, die Erschöpfung und Unruhe einer Figur spürbar zu machen, die sich zwischen moralischem Anspruch und realer Überforderung aufreibt. Mit spürbarer Spielfreude lässt sie die teils spröden Dialoge immer wieder lebendig werden.
Fazit:
„Kontinental ’25“ bleibt ein unentschlossener Blick auf moralische Orientierungslosigkeit – thematisch ambitioniert, aber erzählerisch zäh und unfokussiert. Radu Jude streift große Fragen, ohne sie wirklich zu durchdringen, und verlässt sich dabei vor allem auf Hauptdarstellerin Eszter Tompa, die den Film trotz seiner zerfaserten Anlage zusammenhält.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 09. Oktober 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Kontinental ’25“:
Genre: Tragikomödie, Drama
Laufzeit: 109 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Radu Jude
Drehbuch: Radu Jude
Besetzung: Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța und viele mehr ...
Trailer zu „Kontinental ’25“:





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