Kritik zu „Leonora im Morgenlicht“: Frauenbild im Männerzirkel
- Toni Schindele
- vor 22 Stunden
- 3 Min. Lesezeit
„Leonora im Morgenlicht“ nähert sich einer prägenden Künstlerin des Surrealismus – deren Werk ebenso faszinierend ist wie ihre Biografie. Doch wie hat das Regieduo Lena Vurma und Thor Klein das Leben von Leonora Carrington für die große Leinwand übersetzt?

In der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hinterließ Leonora Carrington Spuren, die lange übersehen wurden. Die britisch-mexikanische Malerin und Schriftstellerin, deren Werk heute in renommierten Museen gezeigt und auf internationalen Auktionen hochgehandelt wird, galt zu Lebzeiten vielen als Außenseiterin im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Über ihr außergewöhnliches Leben haben Lena Vurma und Thor Klein nun den Film „Leonora im Morgenlicht“ gedreht. Kurz nach seiner Doppel-Weltpremiere auf dem 42. Filmfest München und dem 40. Guadalajara International Film Festival in Mexiko startet „Leonora im Morgenlicht“ jetzt regulär in den deutschen Kinos. Lohnt sich ein Kinobesuch?
Darum geht es:
Im üppigen Regenwald Mexikos empfängt der Kunstmäzen Edward James die britische Surrealistin Leonora Carrington in seinem skulpturalen Garten Las Pozas. Erinnerungen an Paris, den Krieg und die Liebe kehren zurück – an jene Zeit, als sie sich den gesellschaftlichen Normen widersetzte. Doch zwischen Künstlerkreisen, intensiver Leidenschaft und der Suche nach Identität geriet ihr Leben zunehmend aus dem Gleichgewicht.
Die Rezension:
„Leonora im Morgenlicht“ ist weniger ein klassisches Porträt einer Künstlerin, sondern vielmehr eine Geschichte über weibliche Selbstermächtigung in einer männerdominierten Kunstwelt. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau als Muse, Objekt, Lebenspartnerin und kreative Instanz zieht sich als thematischer Leitfaden durch den gesamten Film. Doch gerade dort, wo sich das Regieduo Lena Vurma und Thor Klein, das auch das Drehbuch verantwortete, explizit an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Sexismus der Surrealisten versucht – etwa in der Figur eines André Breton – bleiben die Dialoge zahnlos. Verbale Spitzen und beiläufige Bemerkungen genügen nicht, um strukturelle Missstände ernsthaft zu hinterfragen. Besonders das Verhältnis zwischen Leonora Carrington und Max Ernst bildet dabei ein Spannungsfeld zwischen Abhängigkeit und Gleichberechtigung, zwischen künstlerischer Inspiration und persönlicher Autonomie.

Alexander Scheer spielt den rund 30 Jahre älteren Ernst als weltgewandten und charismatischen Mann zwischen zwei Welten, während Olivia Vinall in der Titelrolle mit feiner Zurückhaltung und innerer Wucht überzeugt. Vinall befreit die psychisch angeschlagene Künstlerin souverän vom Klischee des labilen Genies. Ihr fein abgestuftes Spiel zwischen Trotz, Verletzlichkeit, Neugier und künstlerischem Drang, macht spürbar, wie Schmerz und Kreativität sich gegenseitig befeuern können, statt einander zu vernichten. So entsteht ein kraftvolles Porträt über Resilienz und die fragile Balance zwischen Stärke und Sensibilität. Dabei haben sich Lena Vurma und Thor Klein spürbar um eine narrative Struktur bemüht, die nicht nur biografische Stationen aneinanderreiht, sondern das innere Ringen der Künstlerin spiegelt.
Die episodische Dramaturgie erlaubt es, unterschiedliche Schauplätze – Paris, Südfrankreich, Santander, Mexiko – nicht als bloße Kulisse, sondern als Kontrast- und Verstärkerflächen für Leonoras Entwicklung einzusetzen. Dabei geraten einzelne Lebensstationen wie die Kindheit im repressiven Elternhaus, die Beziehung zu Max Ernst oder der Psychiatrieaufenthalt in Spanien nicht zur bloßen Rekonstruktion, sondern werden jeweils mit symbolischen Bedeutungen aufgeladen. Dennoch fällt auf, dass einige dieser Etappen eher skizzenhaft bleiben. Besonders Leonoras künstlerisches Werk wird lediglich angerissen und oft vorrangig als Spiegel ihrer psychischen Verfasstheit dargestellt, nicht aber als Ausdrucksmittel mit eigener ästhetischer Sprache. Erst in der zweiten Filmhälfte gelingt es der Inszenierung zunehmend, sich visuell an das Schaffen Carringtons anzunähern.

Surreale Bildelemente – Traumsequenzen, Tiermetaphern, mythologisch überhöhte Szenerien – durchbrechen die bis dahin eher konventionelle Bildsprache und lassen die Grenze zwischen Realität und Imagination verschwimmen. Insbesondere die Szenen aus der Anstalt in Santander gewinnen durch die audiovisuelle Gestaltung an Intensität und erzeugen eine klaustrophobische Atmosphäre. In der Darstellung von Leonoras psychischen Krisen und ihrer kreativen Neuorientierung in Mexiko erreicht der Film eindrucksvolle Intensität, aber in der Auseinandersetzung mit der Künstlerin Leonora Carrington bleibt der Film blass. Gerade weil sie eine zentrale Figur der surrealistischen Bewegung war, deren Werk inzwischen als bedeutender Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts gilt, hätte es dem Film gut getan, nicht nur Leonoras persönliche Kämpfe, sondern auch ihr künstlerisches Wirken einzubeziehen. Die Malerei, die dem Film seinen Titel leiht, bleibt weitgehend Staffage.
Fazit:
Beeindruckend von Olivia Vinall getragen entfaltet sich „Leonora im Morgenlicht“ mit zunehmender Laufzeit zu einem atmosphärisch dichten, audiovisuell eindrucksvollen Biopic über weibliche Selbstermächtigung in einer männerdominierten Kunstwelt, das sich zwar an der kritischen Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen versucht, inhaltlich aber oft an der Oberfläche bleibt.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 17. Juli 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Leonora im Morgenlicht“:
Genre: Historiendrama
Laufzeit: 103 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Lena Vurma und Thor Klein
Drehbuch: Lena Vurma und Thor Klein
Besetzung: Olivia Vinall, Alexander Scheer, Ryan Gage und viele mehr ...
Trailer zu „Leonora im Morgenlicht“:
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