Kritik zu „On Swift Horses“: Queeres Drama ohne Katharsis
- Toni Schindele
- 28. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Zwischen sozialem Druck und Selbstverwirklichung entführt Daniel Minahans „On Swift Horses“ ins Kalifornien der 1950er-Jahre – mit einer prominenten Besetzung um Daisy Edgar-Jones und Jacob Elordi.

Streamingserien setzen seit Jahren immer wieder den Maßstab für anspruchsvolles Erzählen und kaum jemand hat diese Entwicklung so begleitet wie Daniel Minahan. Von der melancholischen Familienchronik in „Six Feet Under“ über den Staub des Western-Epos „Deadwood“ bis hin zum politischen Intrigenspiel in „House of Cards“ oder „Game of Thrones“ hat der 62-Jährige einen Querschnitt moderner US-Fernsehgeschichte mitgeprägt. Unter anderem inszenierte er mit „Kissed by Fire“ eine der beliebtesten „Game of Thrones“-Episoden – die Folge erreichte eine IMDb-Wertung von 9,1 von 10 möglichen Punkten.
Dass er einst mit der Reality-TV-Satire „Series 7 – Bist du bereit?“ im Jahr 2001 im Kino debütierte, ist heute fast in Vergessenheit geraten. Zwei Jahrzehnte später kehrt Minahan nun aber mit einer namhaften Besetzung auf die große Leinwand zurück. Dass Minahan sich in dieser Geschichte wiedererkennt, hat er im Vorfeld vielfach betont. Aber reicht persönliche Verbundenheit aus, um auch filmisch zu überzeugen?
Darum geht es:
Kalifornien in den 1950er-Jahren: Nach dem Koreakrieg träumt Lee von einem Neuanfang mit seiner Frau Muriel an der sonnigen Westküste. Doch die Ehe, aufgebaut auf Pflicht und Hoffnung, gerät ins Wanken, als Lees charismatischer Bruder Julius auftaucht. Zwischen Pferdewetten, Geheimnissen und neu erwachtem Begehren entdeckt Muriel eine andere Seite an sich. Ist das wahre Glück dort, wo man es geplant hat – oder dort, wo man es fühlt?
Die Rezension:
Daniel Minahans Literaturverfilmung „On Swift Horses“ versteht sich als leises Drama über unterdrückte Identität, gesellschaftliche Konformität und individuelle Freiheitsbestrebungen im Amerika der 1950er Jahre. Basierend auf dem Roman von Shannon Pufahl will der Film nicht nur queere Liebesgeschichten erzählen, sondern gleich mehrere Konfliktlinien durchqueren: Ehe, Identität, soziale Rollenbilder und das US-amerikanische Ideal. Minahan erschafft dabei ein formal versiertes, visuell stilsicheres Drama, das atmosphärisch stimmig, aber inhaltlich oft kraftlos bleibt. Zwei narrative Stränge strukturieren dabei die Geschichte: Zum einen ist da die Ehe von Muriel und Lee, die in den Vorstädten ein konformes Leben aufbauen wollen, zum anderen ist da Lees Bruder Julius, der als hedonistischer Kriegsheimkehrer in Las Vegas seine sexuelle Orientierung zu erkunden beginnt.

Diese erzählerische Teilung ist aus der Romanvorlage übernommen, doch filmisch führt sie weniger zu einem verzweigten Spannungsbogen als vielmehr zu einer episodischen Erzählweise ohne emotionalen oder dramaturgischen Höhepunkt. Der eigentliche Konfliktpunkt – die mögliche Dreierdynamik zwischen Muriel, Lee und Julius – wird früh im Film geöffnet, aber schnell wieder fallengelassen. Zwar ist der formale Gegensatz der beiden Welten – kalifornisches Suburbia versus die pulsierende Glitzerwelt Nevadas – visuell gelungen inszeniert, doch bleiben die beiden Figurenpfade zu lange voneinander isoliert, wodurch der Film inhaltlich zersplittert wirkt. Ein zentrales Problem der Adaption ist dabei aber nicht die Dualität an sich, sondern das Fehlen einer dramaturgischen Entwicklung innerhalb der Figuren. Die Ereignisse reihen sich eher lose aneinander als dass sie auf eine kathartische Erkenntnis oder Transformation hinsteuern würden.
Die thematisierte Identitätsfindung bleibt vielfach Behauptung, wo ein filmischer Beweis notwendig gewesen wäre. Konflikte, die in dieser Zeit und Weltanschauung mit innerer Zerrissenheit und äußerer Repression einhergehen müssten, werden allenfalls angedeutet. Konfrontationen werden umschifft, Dialoge bleiben vage, Katharsen werden angedeutet, aber nicht durchlebt. Die musikalische Untermalung von Mark Orton, zurückhaltend und sparsam eingesetzt, unterstützt diese zurückgenommene Erzählhaltung, ohne eigenständig Akzente zu setzen. Die filmische Umsetzung ist dabei durchaus hochwertig: Ausstattung, Kostüme und Kameraarbeit fangen die Epoche der 1950er Jahre in den USA überzeugend ein. Kameramann Luc Montpellier setzt auf weitwinklige Totalen, warme Lichtsetzung und hochästhetische Bildkompositionen.

Die eindringliche Wirkung dieser leise erzählten Geschichte verdankt sich vor allem dem nuancierten Spiel des Ensembles. Daisy Edgar-Jones gelingt es, mit sparsamer Mimik und kontrollierter Körpersprache die innere Unruhe einer Frau zu zeigen, die an der Oberfläche ein ruhiges Leben führt, in ihrem Inneren jedoch gegen ein unsichtbares Korsett rebelliert – zwischen Anpassung und Aufbegehren, zwischen Begehren und Pflicht. Jacob Elordi bringt eine Mischung aus Arroganz, Verletzlichkeit und ungreifbarer Erotik mit, die seine Figur Julius interessant macht. Sebastián Calva als Lee bleibt blass, was weniger an der darstellerischen Leistung als vielmehr an der vernachlässigten Figurenentwicklung liegt. Dass seine Figur am Ende eine der tragischsten ist, wird mehr durch die Konstellation als durch die Inszenierung deutlich.
„On Swift Horses“ bemüht sich, das Begehren seiner Figuren nicht plakativ, sondern leise und beiläufig zu erzählen – was im besten Fall als respektvoller Ansatz queer-nuancierter Erzählweise gelesen werden kann, im schlechteren jedoch zu einem Mangel an innerer Spannung führt. Die Frage, was die Charaktere eigentlich antreibt, bleibt über weite Strecken unbeantwortet oder wird durch äußere Aktivitäten überdeckt, anstatt durch echte emotionale Entwicklung greifbar zu werden. Pferderennen und Kartenspiele stehen als Sinnbild für heimliches Begehren, für das riskante Spiel mit gesellschaftlicher Maskierung. Doch die Symbolik bleibt oft auf der Ebene des Konzepts hängen. Die Figuren wandeln durch die Bilder wie Schatten ihrer selbst – berührbar, aber nicht greifbar.

In einem Film, der so sehr vom Unsichtbaren, vom Verborgenen lebt, braucht es stärkere narrative Klammern, um Bedeutung zu stiften. Muriels Emanzipation bleibt im Stadium des Zögerns, Julius’ Selbsterkenntnis erhält keine narrative Entladung. Statt Mut zur Reibung vermeidet der Film die Konfrontation. „On Swift Horses“ ist so durch und durch ein Film über die Suche – nach Freiheit, nach Liebe, nach einem Platz in der Welt. Doch statt ein Ziel zu erreichen, verliert sich diese Suche im filmischen Niemandsland zwischen Konvention und Ambition. Was bleibt, ist ein sehenswert gestalteter, doch unausgereifter Versuch, queere Geschichten in historische Kontexte zu betten – mit viel Atmosphäre, aber zu wenig Konsequenz.
Fazit:
Visuell glanzvoll, erzählerisch zurückhaltend: „On Swift Horses“ malt queere Sehnsucht und Freiheitsdrang im 50er-Jahre-Gewand aus, scheut jedoch vor echter Konfrontation – ein elegantes, doch letztlich kraftloses Historiendrama, dass in erster Linie von seiner Besetzung lebt.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 29. Mai 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „On Swift Horses“:
Genre: Historiendrama, Romanze
Laufzeit: 121 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Daniel Minahan
Drehbuch: Bryce Kass und Shannon Pufahl
Besetzung: Daisy Edgar-Jones, Jacob Elordi, Sebastián Calva und viele mehr ...
Trailer zu „On Swift Horses“:
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