Die Spinne – für manche ein harmloses Krabbeltier, für andere der Stoff nächtlicher Alpträume. Sébastien Vaničeks „Spiders - Ihr Biss ist der Tod“ nutzt diese tief verwurzelte Urangst, um den Creature-Horror in eine beklemmende Allegorie sozialer Missstände zu verwandeln.
Sébastien Vaniček, aufgewachsen in der Pariser Vorstadt Seine-Saint-Denis, entdeckte früh seine Leidenschaft für die audiovisuelle Kunst. Was mit dem Zeichnen von Comics begann, führte über die ersten Experimente mit der Videokamera seines Vaters zu preisgekrönten Kurzfilmen, die er gemeinsam mit Freunden realisierte. Seine Verbindung zu seiner Heimat prägt dabei auch seine filmische Vision: Mit seinem Debütfilm „Spiders - Ihr Biss ist der Tod“ möchte er ein differenziertes Bild der oft stigmatisierten Banlieues zeichnen, jenseits von Schlagzeilen über Gewalt und Elend. Nachdem der Film in Frankreich als erfolgreichster lokaler Horrorfilm der letzten zwei Jahrzehnte gefeiert wurde und 2023 auch bei den Filmfestspielen von Venedig seine Premiere feierte, startet er nun auch in den deutschen Kinos.
Darum geht es:
Kaleb liebt das Ungewöhnliche – besonders, wenn es acht Beine hat. In seiner kleinen Pariser Wohnung hat er ein wahres Kuriositätenkabinett exotischer Tiere geschaffen. Doch als er eine geheimnisvolle, rabenschwarze Spinne unbekannter Herkunft erwirbt, wird seine Leidenschaft zum Albtraum. Schon bald sind nicht nur die Wände seines Apartments von unheilvollen Netzen bedeckt – das ganze Gebäude wird zur Todesfalle.
Was als skurrile Tierliebe begann, endet in einem blutigen Kampf ums Überleben: Die Spinne ist nicht allein. Eine Armee ihrer Artgenossen kriecht durch Schächte, Ritzen und Wände. Für Kaleb und die verbliebenen Bewohner beginnt ein gnadenloser Überlebenskampf. Mit improvisierten Waffen und unerschütterlicher Entschlossenheit kämpfen sie sich durch die Spinnennetze, Stockwerk für Stockwerk.
Die Rezension:
Schon der Schauplatz von Sébastien Vaniceks Regiedebüt, die brutalistischen Arènes de Picasso vor den Toren von Paris, ist ein architektonisches Statement: wuchtig, abweisend und irgendwie unwirklich. Dieses kreisrunde Gebäude, das in seiner surrealen Monumentalität eine beklemmende Atmosphäre schafft, wird zur idealen Bühne für ein Horror-Drama, das weit über Spinnenkrabbeln hinausgeht. Sébastien Vaniceks „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ verwebt auf faszinierende Weise Elemente des Creature-Horrors mit einem kritischen Blick auf die sozialen Missstände in Frankreichs Vorstädten. Die Spinne, jenes Krabbeltier, das bei vielen Menschen instinktive Ablehnung hervorruft, wird hier zum Sinnbild für das „Ungeziefer“, das auch der französische Originaltitel des Films, „Vermines“, suggeriert.
Eine semantische Brücke, die subtil, aber unmissverständlich die Lebensrealitäten der Figuren mit dem animalischen Schrecken verknüpft. Studien zur Arachnophobie zeigen, dass diese nicht nur ein evolutionäres Erbe ist, sondern auch kulturell verstärkt wird. Gerade im Genre-Kino haben Spinnen längst ihren festen Platz als Verkörperung des Fremdartigen, Unkontrollierbaren. Doch „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ geht einen Schritt weiter: Die Angst vor den achtbeinigen Wesen wird nicht nur instrumentalisiert, sondern als Projektionsfläche für soziale Missstände genutzt. Auf der Oberfläche erzählt der Film von einem Überlebenskampf gegen eine tödliche Spinnenplage. Doch unter dieser Fassade verbirgt sich eine tiefere Ebene: Die Banlieue, in der die Geschichte spielt, wird zur Allegorie für soziale Ausgrenzung. Statistiken zeigen, dass Arbeitslosigkeit und Armut in den Vororten französischer Großstädte oft überdurchschnittlich hoch sind.
In „Spiders - Ihr Biss ist der Tod“ wird dieser soziale Sprengstoff durch die Einführung der Polizei verstärkt, die weniger als Retter denn als repressives Instrument agiert. Der Konflikt zwischen den Jugendlichen und den Sicherheitskräften eskaliert, während der Hochhauskomplex zur Falle wird. Die Polizei, die das Gebäude abriegeln soll, wird nicht als moralische Instanz dargestellt, sondern als machtvolles Werkzeug eines Systems, das versagt hat. Es erinnert an reale Vorfälle aus den Banlieues, die oft von Gewalt und Missbrauch geprägt sind. Insofern ist „Spiders“ nicht nur ein Horrorfilm, sondern auch ein politisches Statement. Die Spinnen werden zur Metapher für die Ängste, die innerhalb der Gesellschaft kultiviert werden – Angst vor dem Anderen, vor dem Fremden, vor dem, was sich nicht kontrollieren lässt.
Der Horror von „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ funktioniert vor allem durch eine gelungene Balance aus Atmosphäre und gezielten Schockmomenten. Besonders effektiv ist die Kameraarbeit, die häufig mit engen Einstellungen und ungewöhnlichen Perspektiven arbeitet, um die Bedrohung greifbar zu machen. Die visuelle Darstellung der Spinnen – ein Mix aus echten Tieren, CGI und Animatronics – erzeugt eine beklemmende Authentizität. Während echte Spinnen durch die klaustrophobischen Räume der Banlieue krabbeln, wächst der Schrecken vor allem durch kluge Lichtinszenierungen.
Sobald das Licht ausgeht, übernimmt die Fantasie die Kontrolle, und die Bedrohung wird allgegenwärtig. Forschungen zeigen, dass Dunkelheit und Ungewissheit unsere Wahrnehmung der Gefahr verstärken – ein Effekt, den Vaniček meisterlich ausnutzt. Der Film entfaltet einen subtilen Horror, der mit der realen Angst der Zuschauenden spielt, bevor er im zweiten Akt in eine actionreiche Überlebensgeschichte umschlägt. Hier wird nicht einfach auf den Ekel des Publikums gesetzt, sondern auf ein Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung.
Ein entscheidender Kniff ist der Einsatz von Licht – oder dessen Fehlen. Die Regel scheint zu lauten: Licht an, Spinne bleibt ruhig. Licht aus, und das Grauen entfaltet sich. Der Spinnenhorror, der im ersten Akt schleichend aufgebaut wird, verliert im dritten Akt etwas von seiner Intensität. Je größer die Spinnen wachsen, desto deutlicher tritt das CGI zutage und der anfängliche Gruselfaktor weicht einer dynamischen Survival-Action. Diese Verschiebung ist einerseits typisch für das Genre, andererseits lässt sie jedoch die kritischen Untertöne, die den Film so besonders machen, ein wenig verblassen.
Dabei spielt der Film gekonnt mit dem Setting: Riesige Spinnweben nehmen die Wohnungsflure ein und verwandeln sie in klaustrophobische Tunnel. Gleichzeitig hält der Film die Spannung mit clever gesetzten Zeitdruckmomenten aufrecht. Eine flackernde Kellerlampe, die unweigerlich erlischt, wird so zur tickenden Uhr. Spannend ist jedoch nicht nur die Darstellung der Spinnen, sondern auch die Wahl der Hauptfigur. Kaleb, ist kein klassischer Held. Mit seiner rebellischen Art und semi-legalen Geschäften verkörpert er die Widersprüche seiner Umgebung. In den Banlieues, die oft als Brutstätten von Kriminalität und Perspektivlosigkeit dargestellt werden, scheint Kaleb zunächst in den Strukturen seiner Umwelt gefangen. Doch im Verlauf des Films zeigt sich, wie er – gezwungen durch die Umstände – wächst und Verantwortung übernimmt.
Regisseur Vaniček versteht es, das Ensemble lebendig wirken zu lassen, selbst wenn nicht alle Charakterbögen gleich stark ausfallen. Die Beziehung zwischen Kaleb und Jordy, ehemals beste Freunde, die durch einen Streit entfremdet wurden, wirkt so recht klischeehaft und vorhersehbar. Ihre Annäherung und Versöhnung, die rasch abgehandelt wird, fügt der Geschichte wenig Relevanz hinzu und könnte problemlos entfallen. Wesentlich überzeugender gestaltet sich hingegen die dynamische Geschwisterbeziehung zwischen Kaleb und Manon. Ihr schwieriges Verhältnis fügt sich organischer in die Handlung ein und verleiht der Geschichte emotionale Tiefe. Besonders stark wirkt diese Ebene durch das beeindruckend nuancierte Schauspiel von Théo Christine und Lisa Nyarko, die als Bruder und Schwester zu einem emotionalen Anker für das Publikum werden.
Im Finale von „Spiders“ steigert sich die Intensität noch einmal deutlich – allerdings nicht ohne Schwächen. Während der Apartmentkomplex endgültig zum Schlachtfeld wird und die letzten Überlebenden verzweifelt gegen die riesigen Kreaturen ankämpfen, spitzt sich die Handlung zu einem durchaus spektakulären Showdown zu. Leider geht dabei ein Teil der zuvor sorgfältig aufgebauten Subtilität verloren. Die finale Konfrontation mit der monströsen „Spinnenkönigin“ ist zwar optisch beeindruckend, aber auch überraschend formelhaft und weniger originell als erwartet. Auch die sozialkritische Botschaft des Films wird im Finale allzu plakativ hervorgehoben, wodurch die Figuren letztlich auf ihre Marginalisierung reduziert werden, was weder dem Thema, den Figuren noch dem Film gerecht wird, der über weite Strecken beweist, dass Spinnen-Horror sowohl intelligent als auch spannend und gruselig umgesetzt werden kann.
Fazit:
„Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ entfaltet einen intensiven Horror, der soziale Missstände Frankreichs ebenso spürbar macht wie die Bedrohung durch die achtbeinigen Kreaturen. Atmosphärisch dicht, visuell eindringlich und politisch aufgeladen, gelingt Sébastien Vanicek ein klug inszenierter Genre-Mix, der sich in einem actiongeladenen Finale jedoch etwas verliert.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 21. November 2024 im Kino.
Weitere Informationen zu „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“:
Genre: Horror, Drama
Produktionsjahr: 2023
Laufzeit: 106 Minuten
Altersfreigabe: FSK 16
Regie: Sébastien Vaniček
Drehbuch: Sébastien Vaniček, Florent Bernard
Besetzung: Théo Christine, Finnegan Oldfield, Lisa Nyarko und viele mehr ...
Trailer zu „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“:
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