Kritik zu „Thunderbolts*“: Neuer Wind im Marvel Cinematic Universe?
- Toni Schindele
- 1. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Ein neues Team, alte Wunden und die Hoffnung auf erzählerische Erneuerung: Marvel wagt sich mit „Thunderbolts*“ auf unbekannteres Terrain. Doch wie viel frischer Wind steckt wirklich in diesem Antihelden-Projekt – und was bedeutet das für die Zukunft des MCU?

Kaum ein Team innerhalb der Marvel-Comics steht so sehr für moralische Ambivalenz wie die Thunderbolts. Ursprünglich traten sie 1997 im Comic „The Incredible Hulk #449“ auf, erdacht von Autor Kurt Busiek und Zeichner Mark Bagley. Als Antiheldenteam konzipiert, das ursprünglich aus getarnten Superschurken bestand, symbolisieren sie bis heute das Gegenstück zu den Avengers. Im Marvel Cinematic Universe (MCU) wurden erste Weichen bereits mit der Einführung von Figuren wie Yelena Belova, U.S. Agent, Ghost und Taskmaster gestellt, 2022 wurde schließlich der erste eigenständige Film angekündigt. Doch „Thunderbolts*“ soll nicht nur das nächste Ensemble-Projekt im MCU sein, sondern vor allem auch eine Rückbesinnung auf die Stärken des MCU.
Denn das Marvel-Franchise hat nach dem kolossalen Erfolg von „Avengers: Endgame“ spürbar an erzählerischem Fokus, publikumswirksamer Bindung und kreativer Dynamik verloren. Eine Vielzahl fragmentierter Projekte, schwache Kritiken, rückläufige Einspielergebnisse und die sogenannte Superheldenmüdigkeit haben das einst dominierende Universum in eine strategische Krise gestürzt. Zwischen inhaltlicher Zersplitterung, Überlastung des Streaming-Angebots und internen Produktionsproblemen entstand ein Vakuum, das viele als das Ende einer Ära betrachten. Kann jetzt ein Film mit Antihelden das kreative Ruder herumreißen?
Darum geht es:
Yelena Belova, Red Guardian, Taskmaster, John Walker, Ghost und Bucky Barnes überleben nur knapp eine von Valentina Allegra de Fontaine gestellte Todesfalle – und müssen nun gemeinsam eine gefährliche Mission übernehmen, die sie nicht nur an die gefährlichsten Orte der Welt führt, sondern auch tief in die Schatten ihrer eigenen Vergangenheit. Können diese Antihelden wider Willen zu einer echten Einheit werden?
Die Rezension:
„Thunderbolts*“ ist spürbar bemüht, einen Schritt aus der selbstverschuldeten Erzählstarre des Marvel Cinematic Universe zu machen und mit einem neuen Team halb vertrauter Figuren wieder erzählerischen Boden unter die Füße zu bekommen. Die Prämisse setzt bewusst nicht auf kosmische Weltrettung oder bombastische Materialschlachten, sondern auf ein lose zusammengewürfeltes Ensemble von Figuren, deren Charme gerade in der Unvollkommenheit liegt. Der grundsätzliche Aufbau folgt einer klar strukturierten, weitgehend linearen Erzählweise, die auf erzählerische Überraschungen weitgehend verzichtet. Konflikte zwischen den Figuren sind rasch umrissen und Allianzen bleiben vorhersehbar.

Die Teamdynamik in „Thunderbolts*“ steht im Zentrum: Menschen mit Narben, Schuldgefühlen und widersprüchlichen Moralvorstellungen, die weder als strahlende Helden noch als finstere Schurken lesbar sind, werden zu einer Sondereinheit geformt. Doch auch wenn die Thunderbolts ein Team sind, hat der Film eine sehr offensichtliche Gewichtung – Florence Pugh sticht als Yelena Belova klar hervor. Das gelingt aber, da sie den Film sehr gut tragen kann und in ihrer Darstellung zwischen Verletzlichkeit und Kontrolle, Tragik und Trotz all die Attribute eines Antihelden verbindet. Ihr gelingt es, die psychologischen Nuancen glaubhaft zu vermitteln – eine Seltenheit im oft überzeichnenden Superheldenkino. Doch die übrigen Ensemblemitglieder bleiben weitgehend auf Funktionsträger reduziert.
Sebastian Stan als Bucky Barnes verweilt in nachdenklicher Lethargie, David Harbour wird zum wiederholten Male nur für komische Entlastung verwendet, während Julia Louis-Dreyfus ihr intrigantes Politprofil routiniert abspult. Gerade Lewis Pullman als gequälter Robert „Bob“ Reynolds alias Sentry veranschaulicht das Problem eines zu schematisch gezeichneten Figurenprofils, dessen psychologisches Potenzial zugunsten theatralischer Gesichtszüge verschenkt wird. Die erste Hälfte ringt zudem spürbar um einen erzählerischen Rhythmus und leidet unter dem Mangel an dynamischer Figurenführung. Erst in der zweiten Hälfte, in der die Action zugunsten innerer Konflikte zurückgefahren wird, gewinnt „Thunderbolts*“ an Kohärenz.

Doch die dort angeschnittenen Themen – Selbstzweifel, Depression, Isolation – werden visuell und narrativ schnell externalisiert. Licht und Schatten werden zu Gegnern, innere Brüche zu physisch bekämpfbaren Entitäten. Die metaphorische Materialisierung innerer Dämonen in Form physischer Gegner wird zum dramaturgischen Holzhammer, der komplexe seelische Prozesse zu simplifizierten Action-Konflikten degradiert. Dabei gelingt es dem Film nur stellenweise, sich von seinen deutlich erkennbaren Vorbildern zu emanzipieren. Wo ein James Gunn mit radikalem Stilwillen und konsequenter Ironisierung arbeitete, bleibt „Thunderbolts*“ kontrollierter und kalkulierter.
Die besten Momente von „Thunderbolts*“ resultieren aus der Entscheidung, den Actionanteil nicht – wie in vielen MCU-Titeln der letzten Jahre – ausschließlich über digitale Mittel zu lösen. Fahrzeuge wurden hier real zerstört und Kämpfe in echten Kulissen tatsächlich aufwändig choreografiert. Besonders bemerkenswert: Florence Pugh absolvierte eine ihrer zentralen Stuntszenen selbst – ein Abseilmanöver vom Merdeka 118, einem der höchsten Gebäude der Welt. Doch diese geerdete Herangehensweise stößt dort an ihre Grenzen, wo das Visuelle zu zurückhaltend oder gar farblos bleibt: Die Farbpalette bleibt nahezu durchgängig in matten Grau- und Blautönen gefangen.

Regisseur Jake Schreier hat mit „Thunderbolts*“ zwar durchaus den CGI-Overkill vieler zuletzt herausgekommener Marvel-Filme heruntergeschraubt, aber er dreht auch nicht frei und hat ebenfalls kaum eine eigene Handschrift in seiner Inszenierung. So ist das Konzept wieder einmal interessanter als das Ergebnis, da letztlich doch alles ins generische Marvel-Korsett und seine ausgetretenen Pfade passen muss. Hoffnung für die Zukunft macht aber, dass das Team der Thunderbolts durchaus eine gewisse gemeinsame Chemie hat und auch wiederkehren wird, wie ganz am Ende die Auflösung des Sterns im Titel klarmacht.
Fazit:
Trotz reduzierter CGI-Effekte, realer Stunts und einer herausragenden Florence Pugh kippt „Thunderbolts*“ mit matten Farben und schematischen Nebenfiguren rasch in altbekannte Fahrwasser. Der 36. Marvel-Film ist unterhaltsamer als seine direkten Vorgänger – hat aber dieselben Probleme.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 1. Mai 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Thunderbolts*“:
Genre: Action, Fantasy, Abenteuer
Laufzeit: 127 Minuten
Altersfreigabe: FSK 12
Regie: Jake Schreier
Drehbuch: Joanna Calo und Eric Pearson
Besetzung: Florence Pugh, Sebastian Stan, David Harbour und viele mehr ...
Trailer zu „Thunderbolts*“:
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