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Kritik zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“: Zwischen Verdrängung und Konfrontation

Filme, die sich mit dem Holocaust beschäftigen, sind oft schwer, wie „Schindlers Liste“ oder „Der Pianist“ eindrücklich zeigen. Der neue Film von Julia von Heinz „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ könnte nun genau der richtige für all diejenigen sein, die sich einem so komplexen und schrecklichen Thema dennoch mit einer gewissen Leichtigkeit widmen wollen.


Kritik zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“: Zwischen Verdrängung und Konfrontation
Bildnachweis: © Alamode Film

Die renommierte deutsche Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz hat sich durch ihren scharfsinnigen sozialpolitischen Blick einen Namen in der deutschen Filmbranche gemacht. Ihr neuer und neunter Spielfilm „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ ist ihr erstes internationales Projekt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann John Quester adaptierte sie den preisgekrönten Roman „Too Many Men“ der australischen Autorin Lily Brett, der 2001 unter dem Titel „Zu viele Männer“ auch in Deutschland veröffentlicht wurde. Für Julia von Heinz hat dieser Roman eine besondere Bedeutung: Ihre Mutter war ein Fan der Autorin, weshalb sie schon früh nach der deutschen Veröffentlichung selbst das Buch gelesen hat.


Einige Jahre später, als sie sich als Filmemacherin etablierte, kontaktierte sie Brett mit der Idee, den Stoff zu verfilmen. Über ein weiteres Jahrzehnt später, ist die Verfilmung „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ endlich da. Aber wie gelungen ist die Adaption dieses autobiografisch geprägten Romans, der mit seinen 700 Seiten äußerst umfangreich ist?


Darum geht es:


Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bricht die New Yorker Musik-Journalistin Ruth Rothwax mit ihrem Vater Edek auf zu einer Reise nach Polen.  Für Edek, einen Überlebenden des Holocaust, ist dies die erste Rückkehr an die Orte seiner Kindheit – ein Augenblick, der ihn mit einer Flut von Erinnerungen und Gefühlen konfrontiert. Ruth hingegen brennt darauf, das Erbe ihrer jüdischen Familie zu ergründen und die tiefen Narben der Vergangenheit ihrer Eltern nachzuvollziehen. Während Edek versucht, die Schatten der Vergangenheit zu meiden, wird die Reise für Ruth zu einem Schlüsselmoment der Entdeckung und des Verständnisses. Die Reise wird zu einem emotionalen Abenteuer, das das Band zwischen Vater und Tochter auf eine tiefere Ebene hebt und sie einander näherbringt als je zuvor.


Die Rezension:


Mit „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ gelingt Julia von Heinz eine feinfühlige Balance zwischen Familiengeschichte und historischem Erbe, wobei die emotionale Reise einer Tochter und ihres Vaters im Mittelpunkt steht, die komplizierte Beziehung zwischen Ruth und ihrem Vater Edek, die beide auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Erbe des Holocausts umgehen. Während Edek versucht, seine schmerzlichen Erinnerungen zu verdrängen, ist Ruth auf der Suche nach Antworten und Konfrontation. Diese Diskrepanz macht den Kernkonflikt des Films aus und symbolisiert die Schwierigkeit, mit einem Trauma umzugehen, das man nicht selbst erlebt hat, was den Film als Werk der Erinnerungskultur zum Holocaust besonders wirken lässt. Der Film nutzt die vertraute Struktur eines Roadmovies, verleiht ihr jedoch eine neue Tiefe durch die Erkundung generationsübergreifender Traumata.


Kritik zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“: Zwischen Verdrängung und Konfrontation
Bildnachweis: © Anne Wilk, Alamode Film

Diese sorgfältige Verknüpfung von persönlicher und historischer Erfahrung verleiht der Erzählung nicht nur Tiefe, sondern auch eine subtile Leichtigkeit. Zbigniew Zamachowski beispielsweise als Stefan, der polnische Taxifahrer, der Ruth und Edek begleitet, bringt eine willkommene Leichtigkeit in den Film. Seine zurückhaltende, aber dennoch präsente Rolle bietet nicht nur humorvolle Momente, sondern fungiert auch als stiller Beobachter der familiären Spannungen. So wird das ernste Thema der Holocaust-Nachwirkungen nicht überwältigend inszeniert, sondern mit einer behutsamen Annäherung erzählt, die gerade Menschen entgegenkommt, die sich eher ungern mit solch schweren Themen beschäftigen. Es ist vor allem die charmante Vater-Tochter-Beziehung, die den Film trotz aller Konflikte trägt. Lena Dunham und Stephen Fry bilden das emotionale Herzstück der Geschichte – ihre überzeugende Chemie verleiht den dramatischen Momenten Authentizität und transportiert die emotionale Tiefe glaubhaft auf die große Leinwand.


Die allmähliche Versöhnung zwischen Ruth und Edek wird dabei nicht als einfache Erlösung dargestellt, sondern als ein langsames Aufeinandertreffen, das mitten im Schmerz und den Wunden der Vergangenheit stattfindet. Visuell beeindruckt „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ durch sein stimmungsvolles Produktionsdesign, die das postkommunistische Polen authentisch einfängt – von heruntergekommenen Hotels über graue Betonklötze bis hin zu zerfallenen Backsteinruinen – eine kühle Farbpalette, dominiert von matten Tönen, prägt die Bildsprache des Films. Diese Atmosphäre trägt maßgeblich zur Intensität der Handlung bei, die musikalische Untermalung bleibt dezent und setzt nur an wenigen Stellen Akzente, ohne sich in emotionale Übersteigerungen zu verlieren – besonders im bewegenden Finale, das in seiner Zurückhaltung kraftvoll wirkt.


Julia von Heinz (mitte) mit Lena Dunham (links) und Stephen Fry (rechts):

Kritik zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“: Zwischen Verdrängung und Konfrontation
Bildnachweis: © Seven Elephants, Julia Terjung, Alamode Film

Für „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ durfte das Filmteam nicht direkt in Auschwitz drehen, da Spielfilmaufnahmen dort verboten sind. Stattdessen fanden die Dreharbeiten am Parkplatz und außerhalb entlang des Zauns statt, stets in Rücksicht auf die Besucher der Gedenkstätte. Für die Innenaufnahmen erstellte das VFX-Team ein detailgetreues Modell einer Baracke des Konzentrationslagers, basierend auf vor Ort aufgenommenen Bildern, und ergänzte den Hintergrund digital. Das Ergebnis ist nicht nur technisch brillant sondern auch visuell äußert immersiv im Zusammspiel von Kameraarbeit und Schauspiel. Trotz der einfühlsamen Auseinandersetzung mit sensiblen Themen und der gelungenen Adaption der Essenz der Buchvorlage bleibt „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ im Handlungsverlauf überwiegend vorhersehbar und wirkt stellenweise generisch, was der Spannung des Films etwas abträglich ist.


Fazit:


„Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ ist ein vielschichtiger Roadmovie, der sich sensibel mit der Aufarbeitung von familiären und historischen Traumata auseinandersetzt. Julia von Heinz gelingt es, die emotional aufgeladene Vater-Tochter-Beziehung zwischen Ruth und Edek mit dem schweren Erbe des Holocaust zu verknüpfen, ohne in Sentimentalität abzudriften. Trotz seiner inhaltlichen Vorhersehbarkeit bleibt der Film dank seiner subtilen Inszenierung ein eindringliches Werk der Erinnerungskultur.


7 von 10 Punkten


>>> STARTTERMIN: Ab dem 12. September 2024 im Kino.


Weitere Informationen zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“:

Genre: Tragikomödie

Produktionsjahr: 2023

Laufzeit: 110 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Julia von Heinz

Drehbuch: Julia von Heinz, John Quester

Besetzung: Lena Dunham, Stephen Fry, Zbigniew Zamachowski und viele mehr ...


Trailer zu „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“:



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