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Kritik zu „Wie das Leben manchmal spielt“: Zwischen Truffaut und Reality-TV

  • Autorenbild: Toni Schindele
    Toni Schindele
  • 1. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Manchmal genügt ein Zufall, um zwei Leben aus der Bahn zu werfen – oder sie auf unerwartete Weise zusammenzuführen. Das Kino erzählt seit jeher von solchen Momenten, in denen Begegnungen mehr verändern, als man zunächst ahnt. Auch der neue Film von Jean-Pierre Améris nimmt einen solchen Zufall als Ausgangslage.


Szenenbild aus „Wie das Leben manchmal spielt“: Am Meer lehnt eine Frau mit pinken Haaren an einem roten Auto, während ein älterer Mann mit Aktentasche neben ihr steht und ernst in die Kamera blickt
Bildnachweis: © 2025 Lighthouse

Jean-Pierre Améris gehört seit vielen Jahren zu jenen französischen Regisseuren, die mit feinem Gespür Geschichten vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum rücken. Immer wieder hat er Figuren porträtiert, die mit Ängsten, Unsicherheiten oder sozialen Hürden kämpfen. Für seinen neuen Film „Wie das Leben manchmal spielt“ stützte sich Jean-Pierre Améris auf den Roman „Changer le sens des rivières“ von Murielle Magellan, mit der er bereits mehrfach zusammengearbeitet hat. Im Presseheft erklärte er, dass er in den Figuren dieses Buches jene „kleinen Leute“ wiedererkannt habe, denen er sich seit jeher in seinem Filmschaffen verbunden fühle. Sein erklärtes Ziel sei es gewesen, eine Erzählung zu gestalten, die sowohl soziale Fragen aufgreift als auch persönliche Gefühle erfahrbar macht.


Darum geht es:


Marie-Line schlägt sich als junge Kellnerin mehr schlecht als recht durchs Leben – bis ein Streit alles kippt: Job weg, Geldstrafe obendrauf. Ausgerechnet der grummelige Richter Gilles, kurz vor der Pension, gibt ihr eine zweite Chance und bietet er ihr einen Job als Fahrerin an. Zwei Welten prallen aufeinander – und wachsen überraschend zusammen. Können die lebensfrohe Marie-Line und der abgeklärte Jurist Gilles einander aus ihrer Krise helfen – oder bleibt es bei einem ungewöhnlichen Umweg durchs Leben?


Die Rezension:


Jean-Pierre Améris erzählt in „Wie das Leben manchmal spielt“ eine Geschichte, die auf den ersten Blick recht vertraut wirkt: Zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, prallen aufeinander und müssen lernen, miteinander auszukommen. Améris meidet dabei melodramatische Klischees und wählt eine Erzählweise, die trotz allegorischer Momente stets in einer emotional nachvollziehbaren Realität bleibt. So entsteht eine Komödie, die einerseits als leichtfüßige Feelgood-Geschichte funktioniert, zugleich aber auch immer gar nicht so plumpe, sondern tatsächlich treffsichere Spitzen zu Klassenunterschieden hat. Besonders lebt die Inszenierung dabei von der Chemie zwischen Louane Emera und Michel Blanc. Unter ihrem Vornamen als französischer Popstar bekannt und durch ihren diesjährigen Auftritt beim Eurovision Song Contest mit dem Song „Maman“ einem Millionenpublikum präsent, gelingt Louane Emera eindrucksvoll eine sowohl komplexe wie gleichwohl leichtfüßige Protagonistin.


Szenenbild aus „Wie das Leben manchmal spielt“: Eine Frau mit pinken Haaren fährt ein Auto mit Leopardenmuster-Sitzbezügen, neben ihr sitzt ein älterer Mann mit ernstem Gesichtsausdruck
Bildnachweis: © 2025 Lighthouse / Foto-Credit: Caroline Bottaro

Als Marie-Line tritt sie mit pinken Haaren, Tattoos und einer Mischung aus Y2K-Ästhetik und proletarischem Habitus auf – eine Figur, die auf den ersten Blick grell und laut wirkt, sich jedoch als überraschend sensibel und liebenswert entpuppt. Ihr Gegenüber ist der von Michel Blanc verkörperte Richter Gilles, ein anzugtragender Mann der alten Schule, ernst, streng und unnahbar. Zwischen jugendlicher Unbekümmertheit und bürgerlicher Strenge entwickelt sich eine Dynamik, die von pointierten Dialogen getragen wird und die Figuren Schritt für Schritt aus ihren Rollenmustern befreit. Blanc, der im Oktober 2024 verstarb, hinterlässt mit dieser Rolle ein berührendes Vermächtnis: In seinem stoischen Auftreten steckt mehr als bloße Strenge – hinter der mürrischen Fassade blitzt immer wieder eine tiefe Verletzlichkeit auf, die seine Szenen mit Emera zu kleinen Sternstunden machen. Wenn Blanc in kleinen Gesten – einem verlegenen Lächeln, einem ungläubigen Blick zur Seite – das Eis zwischen Gilles und Marie-Line allmählich schmelzen lässt, spürt man, wie fein er die emotionalen Nuancen beherrscht.


Die Beziehung der beiden Figuren wächst nicht aus dramaturgischer Pflicht, sondern aus kleinen Momenten der Annäherung. Améris greift damit ein Motiv auf, das das Kino seit jeher kennt: Das ungleiche Paar – jung und alt, laut und zurückhaltend, proletarisch und bürgerlich – ist zwar ein vertrautes Motiv, wird hier jedoch mit viel Charme neu belebt. Die Figuren sind keine Stereotypen, sondern Individuen, die mit ihrer Verletzlichkeit und ihrem Eigenwillen das Publikum berühren. Ihre Dialogduelle pendeln zwischen komischer Schlagfertigkeit und ernsthaften Bekenntnissen, wodurch sich nach und nach eine echte Nähe aufbaut. Wenn die beiden in Marie-Lines bunt zusammengeflicktem Auto durch die Straßen der nordwestlich in Frankreich gelegenen Stadt Le Havre fahren, prallen Welten aufeinander, die sich zugleich ergänzen.


Szenenbild aus „Wie das Leben manchmal spielt“: Eine junge Frau mit pink gefärbten Haaren wechselt am Straßenrand den Reifen eines roten Autos, während ein älterer Mann im Trenchcoat daneben am Meer steht
Bildnachweis: © 2025 Lighthouse / Foto-Credit: Caroline Bottaro

Besonders reizvoll ist zudem der Nebenstrang, in dem sich zwischen Marie-Line und Alexandre eine unerwartete Nähe entwickelt. Ihre Welten könnten unterschiedlicher kaum sein: Während er sich mit Leidenschaft auf die Filme von François Truffaut bezieht, findet sie ihre Unterhaltung in Reality-Formaten. François Truffaut gilt als einer der prägenden Regisseure der Nouvelle Vague und als stilbildender Chronist der französischen Kinogeschichte. Seine Filme, darunter „Sie küssten und sie schlugen ihn“ oder der in „Wie das Leben manchmal spielt“ aufgegriffene „Jules und Jim“, stehen für eine persönliche, zugleich verspielte und intellektuelle Handschrift, die das Kino als Kunstform erneuerte. Er verkörpert damit geradezu idealtypisch das Bild eines jungen Mannes aus bürgerlich-akademischem Milieu, der sich über die Liebe zum Kino und das Schreiben von Filmkritiken dem eigenen Traum verschreibt, selbst Filmemacher zu werden.


Gerade deshalb wirkt der Kontrast zu Marie-Line so scharf, denn Reality-TV steht sinnbildlich für unmittelbar konsumierbare, emotional aufgeladene und oft schlichte Unterhaltungsformate, die weniger nach filmischer Kunst suchen, sondern nach Nähe, Spektakel und Alltagsdrama. Während Alexandre in Truffauts Werk die intellektuelle und ästhetische Auseinandersetzung mit dem Medium entdeckt, findet Marie-Line in der Welt der Shows einen direkten Spiegel von Emotionen und sozialen Dynamiken, die für sie greifbarer und lebensnäher sind. Was für Alexandres Freunde wie eine unüberwindbare Kluft erscheint, wird von Améris gerade nicht als billige Gegensätzlichkeit ausgespielt. Stattdessen legt er Wert auf kleine Beobachtungen und Zwischentöne, die plausibel machen, warum sich beide zueinander hingezogen fühlen. Dass hier keine platte Sozialromanze erzählt wird, sondern eine fragile Verbindung zweier Menschen, die von außen skeptisch beäugt wird, verleiht dem Film eine zusätzliche Dimension.


Szenenbild aus „Wie das Leben manchmal spielt“: Eine junge Frau mit pinken Haaren und tätowiertem Arm sitzt neben einem Mann im blauen Hemd, der sie anlächelt, während sie neutral in die Kamera schaut
Bildnachweis: © 2025 Lighthouse / Foto-Credit: Caroline Bottaro

Auch filmisch zeigt sich Améris detailbewusst. Bereits der Auftakt, eine Montage aus Rück- und Vorausblenden, setzt den Ton: rhythmisch, leichtfüßig, variantenreich. Immer wieder versteht er es, mit pointierter Bildsprache und präzisem Rhythmus eine Erzählung zu entfalten, die nie ins Schwerfällige kippt – und ehe man sich versieht, sind die 104 Minuten Laufzeit verflogen. Sicher, vieles ist konstruiert, manches bei realistischem Blick nicht wirklich glaubwürdig, und das Narrativ bleibt im Kern erwartbar, doch Améris beweist ein feines Gespür für Figuren, Zwischentöne und cineastische Bilder. Gerade dadurch hebt sich „Wie das Leben manchmal spielt“ von konventionellen Feelgood-Dramen ab und bleibt als warmherzige, kluge und emotional ehrliche Erzählung im Gedächtnis.


Fazit:


„Wie das Leben manchmal spielt“ ist kein Film, der das Rad neu erfindet – aber einer, der zeigt, wie vertraute Motive auch heute noch berühren können. Getragen von der starken Chemie zwischen Louane Emera und dem letzten großen Auftritt von Michel Blanc entfaltet Jean-Pierre Améris neuer Film eine unterhaltsame wie warmherzige Geschichte, die in feinen Zwischentönen auch soziale Unterschiede sichtbar macht.


>>> STARTTERMIN: Ab dem 02. Oktober 2025 im Kino.


Wie hat Dir der Film gefallen? Teile Deine Meinung gerne in den Kommentaren!

Weitere Informationen zu „Wie das Leben manchmal spielt“:

Genre: Tragikomödie

Laufzeit: 104 Minuten

Altersfreigabe: FSK 12


Regie: Jean-Pierre Améris

Drehbuch: Jean-Pierre Améris und Marion Michau

Besetzung: Louane Emera, Michel Blanc, Victor Belmondo und viele mehr ...


Trailer zu „Wie das Leben manchmal spielt“:


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