Kritik zu „Zweigstelle“: Wenn das Jenseits zur Behörde wird
- Toni Schindele

- 5. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Was passiert, wenn das Jenseits plötzlich nach Aktenlage entscheidet? Julius Grimms Langfilmdebüt „Zweigstelle“ verwandelt die große Frage nach dem Danach in eine ebenso absurde wie eigensinnige Filmidee.

Mit „Zweigstelle“ gibt einer der spannendsten jungen Regisseure der bayerischen Filmszene sein Langfilmdebüt. Julius Grimm, Jahrgang 1987, stammt aus Regensburg und fand nach einer Ausbildung bei ProSiebenSat.1 und dem Regiestudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München rasch seine eigene filmische Handschrift. Mit mehreren Kurzfilmen machte er früh auf sich aufmerksam, bevor er nun mit seinem ersten Spielfilm auch auf die große Leinwand kommt. Nach der gefeierten Premiere beim diesjährigen Filmfest München, wo „Zweigstelle“ mit dem National Audience Award ausgezeichnet und in mehreren Kategorien für den Förderpreis Neues Deutsches Kino nominiert wurde, startet der Film nun bundesweit durch den Weltkino Filmverleih in die Kinos.
Darum geht es:
Eigentlich wollte Resi nur mit Michi Schluss machen – doch dann kommt alles anders. Aus einem letzten Wunsch wird ein chaotischer Abschieds-Roadtrip, der die Clique buchstäblich aus der Bahn wirft, denn Resi und ihre drei Freunde landen nach einem Autounfall gemeinsam… im Jenseits. Genauer gesagt sitzen Resi, Sophie, Phillip und Mel plötzlich in einer bayerischen Nachweltbehörde. Jetzt müssen sie sich durch Formulare, Flurfunk und zwischenweltliches Kompetenzgerangel kämpfen.
Die Rezension:
Was, wenn nach dem Tod nicht Himmel oder Hölle wartet – sondern ein Wartebereich mit langen Fluren, grauen Akten und schlecht gelaunten Sachbearbeitern? Julius Grimms Langfilmdebüt „Zweigstelle“ entwirft das Jenseits als kafkaeske Behörde in einer bayerischen Zwischenwelt. Vier junge Menschen landen nach einem tödlichen Autounfall nicht etwa vor göttlichen Instanzen, sondern in der sogenannten Zweigstelle Süddeutschland III/2, wo über ihren weiteren metaphysischen Verbleib entschieden wird. Die Grundidee ist einfach, aber durchaus witzig: ein realweltlicher Bürokratieapparat als Ort der Jenseitsverwaltung. „Zweigstelle“ ist dabei in erster Linie eine leichte, zugängliche Komödie, die ihr Publikum nicht mit metaphysischen Großthesen behelligt, sondern mit gut getakteten Gags, klaren Situationen und einem liebevoll-chaotischen Figurenensemble bei Laune hält.

Julius Grimm will im mit Co-Autor Fabian Krebs verfassten Drehbuch nicht die großen Wahrheiten über das Leben und dessen Ende verkünden, sondern stellt eher mit einem Augenzwinkern die richtigen Fragen. Denn die Komik entsteht weniger aus Slapstick als vielmehr aus der Absurdität des Settings selbst. Julius Grimm interessiert sich weniger für das metaphysische Was als für das prozedurale Wie – der Clou liegt deshalb im Schauplatz: Statt Himmelstoren gibt es Wartemarken – das Jenseits als Behörde. „Zweigstelle“ nimmt die Idee eines geregelten Lebens nach dem Tod beim Wort, und das ist so absurd wie lustig. Die vier frisch Verstorbenen irren durch Flure, beantworten seltsame Fragen und versuchen, ihr Schicksal irgendwie noch einmal selbst in die Hand zu nehmen. Kamerafrau Lea Dähne ordnet diese Zwischenwelt in streng symmetrischen Tableaus.
Das Licht bleibt bürohaft, die Farben sind gedämpft, die Oberflächen matt; selbst das Chaos wirkt erfasst, gelocht und abgeheftet. Das Institutionelle wird hier aber nicht zerlegt, sondern vorgeführt; in erster Linie ist Grimm auf überzeichnete Absurditäten aus. „Zweigstelle“ schichtet groteske Beobachtungen und Running Gags übereinander, bis sich ein Mikrokosmos entfaltet, in dem sich Tragik und Lächerlichkeit gegenseitig den Stempel aufdrücken. Auch wenn nicht alle satirischen Spitzen zünden und sich einige Running Gags etwas zu lange durch die Flure schleppen, so gelingt es dem Film doch, sein Potenzial über weite Strecken zu entfalten. Die besten Momente sind dabei stets dort, wo sich der Film der satirischen Beobachtung hingibt. Wenn der Beamtenalltag mit Todesfolgen aufeinanderprallt, entstehen jene absurden Reibungen, die die schwarzhumorige Komödie tragen – ebenso wie auch das durch die Bank merkbar spielfreudige Ensemble viel zur komischen Dynamik beiträgt.
Mit einer mitreißenden Mischung aus innerem Widerstand und latentem Trotz spielt Sarah Mahita als Resi die ideale Protagonistin für diese Geschichte, während der lange unauffällige Rainer Bock sich still und heimlich zum Dreh- und Angelpunkt des Geschehens spielt. Die Bestatter, verkörpert von Florian Brückner und Rick Kavanian, bringen dann genau die richtige Portion Überdrehtheit mit, während Johanna Bittenbinder und Luise Kinseher als Sachbearbeiterinnen der Zweigstelle Süddeutschland III/2 mit ermatteter Fürsorglichkeit und zäher Alltagsgewalt eine wunderbar ambivalente Mischung aus Bedrohung und Bürokratenbarmherzigkeit verkörpern. Doch so gut der Film in seinen satirischen Passagen funktioniert, so deutlich zeigen sich Schwächen, wenn er das Terrain der reinen Komik verlässt und sich der existenziellen Sinnsuche nähert. Denn dann, wenn die Erzählung Resis persönliche Geschichte stärker in den Fokus rückt, beginnt der Film, mit seinem eigenen Ton zu ringen.

Der Versuch, inmitten der absurden Verwaltung eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Trauer, Selbstverwirklichung und dem Abschied vom Leben zu erzählen, wirkt doch ziemlich deplatziert und in der Tonalität nicht wirklich passend. Gerade weil „Zweigstelle“ über weite Strecken als pointierte Satire funktioniert, wirkt der zum Ende hin weit ausholende Bogen etwas unvermittelt. Zwar gelingt Julius Grimm damit noch eine charmante Schlusspointe, doch verliert der Film dadurch ein Stück seiner zuvor so stimmigen Erzählbalance. Schade, dass Julius Grimm seiner augenzwinkernden Unernsthaftigkeit nicht bis zuletzt vertraut hat und stattdessen allzu plump auf eine moralische Auflösung zielt. So geht dem Film ein Teil seiner über weite Strecken charmanten Kurzweiligkeit zugunsten einer recht konventionellen Katharsis verloren – auch wenn letztlich das Clever-Witzige, das „Zweigstelle“ über seine 99 Minuten entfaltet, klar überwiegt.
Fazit:
„Zweigstelle“ ist eine charmant-skurrile Komödie über das Jenseits – Julius Grimm gelingt eine ebenso absurde wie zugängliche Satire auf Bürokratie, Ordnung und den menschlichen Wunsch nach Sinn – auch wenn der Film zum Ende hin etwas zu sehr nach Bedeutung sucht und dabei seinen heiteren Ton verliert.
>>> STARTTERMIN: Ab dem 09. Oktober 2025 im Kino.
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Weitere Informationen zu „Zweigstelle“:
Genre: Komödie
Laufzeit: 99 Minuten
Altersfreigabe: FSK 6
Regie: Julius Grimm
Drehbuch: Julius Grimm und Fabian Krebs
Besetzung: Sarah Mahita, Rainer Bock, Rick Kavanian und viele mehr ...
Trailer zu „Zweigstelle“:





Ich habe mit deutschen Filmen in der Vergangenheit schon oft ein schwieriges Verhältnis gehabt. Aber dieses Machwerk hat mich jetzt überzeugt. Ich werde mir keinen deutschen Film mehr anschauen; weder im Kino noch auf der Mattscheibe. Schade um die Zeit, schade um das Geld.