Nach dem Roadmovie „Tschick“, dem aufwühlenden Drama „Aus dem Nichts“ und dem verstörend brutalen Horror-Thriller „Der Goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka aus dem Jahr 2019 brachte Fatih Akin nun einen neuen Film auf die große Leinwand. Sein neuester Streifen beschreibt die Geschichte von Giwar Hajabi, der als Rapper und Musikproduzent Xatar bekannt wurde. Doch auch über die Musikbranche hinaus wurde er 2009 durch seinen Überfall auf einen Goldtransporter bekannt, gerade auch, da das erbeutete Geld nie gefunden wurde …
©2022 Warner Bros. Entertainment Inc.
Fatih Akin ist durchaus ein außergewöhnlicher Regisseur hierzulande, denn blickt man auf seine Filmografie, so hat er sich bereits an ganz unterschiedlichen Themen, Genres und filmischen Ansätzen gewagt. Er hat eine unverkennbar eigene Handschrift und hat sich mit seinen Filmen international einen Namen gemacht. Seit 2017 gehört er außerdem der Academy of Motion Picture Arts and Sciences an, die alljährlich die Oscars verleihen. Nun kam sein inzwischen elfter Spielfilm, das Gangster-Drama „Rheingold“ in die Kinos.
Basierend auf Xatars autobiografischem Roman „Alles oder Nix“ verfasste Fatih Akin selbst das Drehbuch, produzierte mit und führte Regie. Bereits am ersten Wochenende konnte sein neuer Spielfilm „Rheingold“ rund 170.000 Zuschauer in die Lichtspielhäuser locken, so dass der Streifen den besten Kinostart seiner Karriere hingelegt hat. Doch lohnt sich ein Kinobesuch auch?
Darum geht es:
Um dem jungen Giwar Hajabi ein besseres Leben ermöglichen zu können, flohen seine kurdischen Eltern Mitte der 1980er-Jahre aus dem vom Kriegsleid geplagten Iran nach Deutschland. In Bonn fand die Familie ein neues Zuhause. Da Mutter und Vater Musiker waren, legten sie Wert darauf, dass Giwar trotz der ärmlichen Verhältnisse der Sozialbausiedlung Klavierspielen erlernt. Als der Vater eines Tages für eine Anstellung als Dirigent die Familie verlässt, kommt Giwar vom rechten Weg ab und verstrickt sich bald in Kleinkriminalität. Was noch mit dem Kopieren von Pornos auf VHS-Kassetten beginnt, wird bald zum Drogenhandel.
Giwar lernt bereits früh Klavierspielen:
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Um sich auf der Straße durchsetzen zu können, beginnt der jugendliche Giwar Kraftsport und Kampfsport, was ihm bald den Spitznamen Xatar verschafft, was ins Deutsche übersetzt gefährlich heißt. Während er als Großdealer aufsteigt, lernt er Rapper, Beatproduzenten und mächtige Persönlichkeiten der Unterwelt kennen. Als ihm eine große Ladung flüssiges Kokain verloren geht, scheint es schlecht um ihn zu stehen. Denn wer in der Schuld des Drogenkartells steht, lebt für gewöhnlich nicht mehr lange. Deshalb plant er mit einigen Komplizen einen spektakulären Goldraub …
Die Rezension:
Am 15. Dezember 2009 ereignete sich in Ludwigsburg einer der spektakulärsten und gleichermaßen dreistesten Raubüberfälle der Geschichte von Baden-Württemberg. Als Polizisten verkleidet überfiel Xatar mit drei Komplizen den Goldtransporter. Diese außergewöhnliche Geschichte nimmt in Fatih Akins neuem Spielfilm „Rheingold“ das Herzstück ein.
Durch Xatars Autobiografie und die direkte Zusammenarbeit gelang Akin ein sehr authentischer, lebensnaher Einblick, der sowohl fesselnd wie unterhaltsam geschrieben wurde. Gerade da der Ausgang dem Publikum bekannt sein dürfte, ist es der Inszenierung hoch anzurechnen, dass die Spannung stets aufrecht erhalten werden konnte. Dabei kostet der 140 Minuten lange Film den Goldraub auch in all seinen Facetten aus und beleuchtet alle Stationen vom auskundschaften bis zur Verurteilung zwei Jahre später recht detailliert.
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Während sich der Film also irgendwann im Heist-Genre einordnen lässt, steht die erste Hälfte der Handlung doch in einem starken Kontrast zum Raubüberfall. Erzählt die Geschichte doch zunächst wie ein klassisches Biopic von der Kindheit von Giwar Hajabi und wie er zu Xatar wurde, der später den Goldraub durchführte. Der Wechsel der Tonalität innerhalb der Handlung war dabei sehr abrupt und holprig. Gerade da zu dieser Zeit etwas der Fokus verschwimmt und sich die Frage stellt, was der Film nun eigentlich erzählen will. Im Grunde will er beides, vom bewegten Leben des Giwar Hajabi erzählen und vom Goldraub – doch beides will nicht so recht funktionieren.
Wenn Xatar letztlich im Gefängnis zu rappen beginnt, sein Soloalbum „Alles oder nix“ aufnimmt, hätte die Geschichte ein rundes Finale finden können. Allerdings wird der richtige Moment verpasst und das letztliche Ende passt aus unterschiedlichen Gründen nicht zur bisherigen Handlung. Während die erste Hälfte die charakterliche Entwicklung von Giwar zu Xatar beschreibt, wird in der zweiten Hälfte kaum noch auf charakterliche Entwicklung geachtet. So ist die Wandlung vom Saulus zum Paulus letztlich auch schwerlich nachvollziehbar und im Finale wird recht gut ersichtlich, dass das Hybrid aus Biopic und Heist-Genre nicht gelang.
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Überhaupt ist die Darstellung von Xatar im Gesamten doch recht unkritisch, verschleiert gar unangenehme Charakterzüge und versucht eher, die schöne, künstlerisch begabte Seite des ambivalenten Charakters zu zelebrieren. So wirkt es stellenweise eher, als würde man versuchen, das Image des Gangster-Rappers aufzupolieren. Wie scheinheilig die Selbstreflexion am Ende ist, lässt mich nur den Kopf schütteln, die mystisch inszenierte Meerjungfrau-Sequenz um das verschollene Gold setzt der Geschichte dennoch einen unterhaltsamen Schlusspunkt.
Die Verkörperung von Xatar selbst gelang aber überraschend gut und Emilio Sakraya, der erst zuletzt in Til Schweigers „Die Rettung der uns bekannten Welt“ als der bipolare Paul auf sich aufmerksam machte, ist kaum wiederzuerkennen. Ob die Gangart, Attitüde oder schlicht das Aussehen – Emilio Sakraya wird zu Xatar und kann den Film trotz mancher Längen gut tragen.
Fazit:
Zwischen Raubüberfall und biographischer Aufarbeitung versucht Fatih Akin in seinem neuen Spielfilm das Leben des Gansta-Rappers Xatar zu porträtieren. Allerdings ist die Darstellung der durchaus ambivalenten Person kritisch zu betrachten, auch wenn die schnörkellose Inszenierung und Verkörperung Xatars durch Emilio Sakraya begeistern können.
6 von 10 Punkten
„Rheingold“ ist seit dem 27. Oktober 2022 in den Kinos.
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