Kritik zu „Wednesday“ – 2. Staffel Vol. 2: Totgeglaubte leben länger
- Toni Schindele
- vor 1 Tag
- 8 Min. Lesezeit
Nach dem dramatischen Ende der vierten Folge wurden zahlreiche Theorien aufgestellt, wie es mit Wednesday, Enid und Co. weitergehen könnte. Jetzt haben wir Antworten – die restlichen Episoden der zweiten Staffel sind gestartet. Doch lohnt sich das Einschalten?

Rund ein Monat ist vergangen, seit „Wednesday“ mit dem ersten Teil ihrer zweiten Staffel auf Netflix zurückkehrte – jetzt ist sie wieder da. Die zweite Hälfte der Staffel ist veröffentlicht, vier neue Episoden führen das düstere Coming-of-Age-Mysterium zu seinem vorläufigen Ende. Das blasse Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen, dem unbewegten Blick und der tiefschwarzen Garderobe ist zurück – und mit ihr eine Serie, die längst mehr als ein viraler Hype ist. Wednesday ist popkulturelle Ikone, Stilvorlage und Netflix-Gold zugleich. Kaum eine Figur hat sich in den letzten Jahren so nachhaltig ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wie Wednesday Addams – dabei reicht ihre Geschichte weit zurück. 1938 erschuf Karikaturist Charles Addams die morbid-exzentrische Familie als Kontrastbild zum amerikanischen Ideal der Zeit. Jahrzehnte später, nach zahllosen Adaptionen, gelang Netflix Ende 2022 mit der Serie Wednesday ein globaler Überraschungserfolg: In nur drei Wochen wurde die Milliardenmarke bei den gestreamten Stunden durchbrochen.
Der virale Tanz aus der vierten Folge ging um die Welt, unzählige TikTok-Remakes, Kostüme und Memes machten Jenna Ortegas Version der Figur zum popkulturellen Dauerbrenner. Am 6. August 2025 startete nun endlich die mit Spannung erwartete zweite Staffel – in zwei Teilen. Der Part 1 legte beeindruckend vor: Allein in der ersten Woche wurden 50 Millionen Views registriert, in über 90 Ländern platzierte sich die Serie in den Netflix-Top-10. Auch wenn die Zahlen in Woche zwei sanken, blieb das Interesse ungebrochen hoch: rund 80 Millionen Views in den ersten 14 Tagen unterstreichen, dass Wednesday weiterhin zu den stärksten Originalproduktionen des Streaming-Giganten zählt. Jetzt erscheint auch Part 2 und mit ihm endlich auch die Antwort auf die offenen Fragen, die seit einem Monat in der Luft hingen. Wie geht es nach dem Cliffhanger in Folge 4 weiter? Welche Wendungen erwarten uns? Und vor allem: Kann diese zweite Staffel an die Qualität und Faszination der ersten Staffel anschließen?
Darum geht es:
Nach den Enthüllungen und dramatischen Wendungen der ersten vier Folgen bleibt kaum Zeit zum Durchatmen: Neue Geheimnisse drängen ans Licht, alte Bedrohungen kehren zurück – und mittendrin steht Wednesday, die sich nicht nur mit dunklen Mächten, sondern auch mit ihren eigenen Abgründen auseinandersetzen muss. Wer kann noch wem trauen? Und welche Wahrheit wartet am Ende des neuen Schuljahres?
Die Rezension:
Was nach dem ersten Teil der zweiten Staffel an Erwartungen in der Luft lag, war nicht gerade wenig. Die Serie hatte mit einer Fülle an neuen Figuren, vielen Fragen und einem packenden Cliffhanger am Ende der vierten Folge die Spannungsschraube kräftig angezogen. Der Auftakt des zweiten Volumes – also Episode fünf – knüpft nun unmittelbar an dieses erzählerische Momentum an, doch was zunächst nach einer konsequenten Fortführung des Suspense klingt, entpuppt sich schnell als dramaturgischer Dämpfer. Statt den aufgebauten Spannungsbogen weiterzuspinnen, löst die fünfte Folge innerhalb der ersten Minuten überraschend viele offene Fragen auf. Das, was über vier Episoden mühsam an Geheimnissen, Andeutungen und Bedrohungslagen etabliert wurde, fällt plötzlich in sich zusammen. Dieser abrupte Erklärmodus raubt dem zweiten Teil der Staffel zum Einstieg nicht nur die narrative Dringlichkeit, sondern sorgt auch dafür, dass sich die Handlung zunächst spürbar auf der Stelle bewegt.

Fast 40 Minuten lang plätschert die fünfte Folge vor sich hin, dramaturgisch zäh, ohne klare Richtung – bis schließlich ein Twist einsetzt, der die Folge rettet und der Staffel dringend benötigte Dynamik zurückgibt. Die sechste Folge setzt mit einer derart unerwarteten Wendung ein, dass man spätestens dann wieder gepackt ist. Dennoch: Die Episoden dieser zweiten Hälfte der neuen Staffel unterscheiden sich im Rhythmus stark von jenen aus der ersten. Gab es früher die zentrale Whodunit-Frage, die alle Figuren miteinander verband, so fehlt der zweiten Staffelhälfte ein vergleichbares erzählerisches Zentrum. Die Staffel verteilt sich stattdessen auf viele kleinere Handlungsfäden, ohne dass klar erkennbar ist, welcher dieser Stränge nun das narrativ dominante Element sein soll. Das führt mitunter zu einer inhaltlichen Verwässerung, bei der man als Zuschauer nicht mehr genau weiß, worauf die Serie eigentlich hinauswill.
Während neue Figuren an Raum gewinnen, geraten vertraute Gesichter zunehmend in den Hintergrund. Gerade einige der liebgewonnenen Nevermore-Schüler, die in den ersten Episoden noch präsent waren, treten nun seltener in Erscheinung. Auch Wednesdays Familie rückt stellenweise etwas aus dem Fokus. Diese Verschiebung ist nachvollziehbar, wenn man die Serie stärker auf Charakterentwicklung ausrichten will – doch sie schmälert das emotionale Rückgrat der Geschichte. Nicht zuletzt wird das veränderte Erzähltempo spürbar: Nach der temporeichen ersten Staffelhälfte nimmt sich Volume 2 deutlich mehr Zeit für seine Figuren. Das ist grundsätzlich spannend, doch in der Summe wirkt vieles in dieser zweiten Staffel letztlich etwas überfrachtet, als wolle man zu viele Themen gleichzeitig anstoßen, ohne sie klar zu gewichten oder erzählerisch zu bündeln.

Schon vor der Veröffentlichung der zweiten Staffel hatte Jenna Ortega mehrfach deutlich gemacht, dass sie sich für die zweite Staffel eine stärkere Rückkehr zu den Horrorwurzeln der Serie wünschte, und als Executive Producerin konnte sie diesmal nicht nur schauspielerisch, sondern auch kreativ mitgestalten. Und tatsächlich ließen sich in den ersten vier Episoden klare Spuren dieses Anspruchs erkennen. Düsterer, unheimlicher, atmosphärischer. Diese düstere Grundstimmung bleibt auch in den abschließenden Folgen spürbar. Doch echte Horror-Momente im klassischen Sinne bleiben rar. Stattdessen verlagert sich die Inszenierung mehr in Richtung Drama, das immer wieder mit Humor gekontert wird. Die Beziehung zwischen Enid und Wednesday wird unterdessen nicht nur weitergeführt, sondern auf brillante Weise auf die Spitze getrieben. Was sich das Drehbuch-Team hier als erzählerischen Kniff ausdachte, gehört zu den kreativsten Momenten der gesamten Staffel.
Was Jenna Ortega und Emma Myers daraus schauspielerisch machen, ist schlichtweg großartig – es ist eine Freude, ihnen dabei zuzusehen. Wer die Serie bis zu diesem Punkt mochte und ein Herz für Wednesday und Enid hat, wird hier mit einer brillanten Szene nach der anderen belohnt. Denn wenn man sich nach über zwölf Folgen an zwei Figuren fast sattgesehen hat – Jenna Ortega, die Wednesday mit stoischer Präsenz, subtiler Mimik, starrem Blick und trockenem Humor verkörpert, und Emma Myers, die Enid als strahlenden, energiegeladenen Gegenpol mit offener, sprunghafter Gestik spielt –, erlebt man die beiden hier wortwörtlich von einer völlig neuen Seite. Spannend ist auch, dass die kontrollierte Kälte, für die Wednesday steht, beginnt, Risse zu zeigen. Wenn Wednesday eines will, dann ist es Kontrolle. Kontrolle über ihr Leben, über ihre Beziehungen, über ihre Umgebung – und verliert sie genau dort, wo es ihr am meisten wehtut, was sie aber auch umso sympathischer macht.

Denn wenn selbst jemand wie Wednesday – die sich allem Menschlichen verachtet – nicht in der Lage ist, alles zu kontrollieren, dann ist es vielleicht okay, selbst die Kontrolle zu verlieren. Niemand, nicht einmal die abgebrühteste Detektivin in Gothic-Kluft, kann alles kontrollieren. Dabei gelang es dem Drehbuch-Team außerdem, diese Entwicklung nur so weit auszuspielen, ohne Wednesday untreu zu werden. Jenna Ortega begeistert also auch weiterhin als morbides Schulmädchen mit schwarzen Zöpfen und einer Allergie gegen alles Bunte: unterkühlt, emotionsarm, sarkastisch, totem Blick und spöttischer Überlegenheit. Zwischen Bedrohung, Neugier und kalkulierter Distanz bleibt sie eine Antiheldin, die Rätsel eher aus Ego, Trotz oder Rechthaberei löst als aus Gerechtigkeitssinn. Und auch wenn sich die Serie klar auf ihre Titelfigur konzentriert, so bleibt „Wednesday“ auch in der zweiten Staffel fest im Geiste der gesamten Addams-Dynastie verankert.
Die Familie, seit jeher popkulturelles Symbol für Nonkonformismus, ist mehr als bloße Staffage. Gerade in Volume 2 liefern ihre Mitglieder erneut erinnerungswürdige Szenen, in denen sich die Essenz des Addams-Universums verdichtet: subversiver Witz, morbider Charme und eine tiefe Verachtung für bürgerliche Erwartungen. Catherine Zeta-Jones darf ihre Rolle als Morticia Addams in den neuen Episoden deutlich weiter ausbauen. In ihrer Darstellung liegen Würde, Grazie und eine leise Bedrohung – Morticia wird nicht bloß als glamouröse Matriarchin gezeichnet, sondern als selbstbestimmte Frau mit eigenen Prinzipien. Zudem erweitert die Serie mit der Einführung von Joanna Lumley als Grandmama Hester Frump die Familienstruktur um eine Figur, die nicht nur wegen Lumleys charismatischer Präsenz für Aufmerksamkeit sorgt.

Hester Frump bringt eine neue Energie in die Serie: eine elegante, altersweise, aber durchaus exzentrische Version weiblicher Selbstermächtigung, die Generationenkonflikte auf einer weiteren Ebene aufspannt. In ihrer Nähe zu Wednesday wird sie zur Mentorin, zugleich aber auch zur Provokation für Morticia. Diese Konfrontationen sind nicht nur brillant geschrieben, sie werden durch Jenna Ortega, Joanna Lumley und Catherine Zeta-Jones auch grandios ausgespielt. Weniger durchdacht fällt hingegen die Nebenhandlung um Pugsley Addams aus. Zwar wird versucht, auch ihm eine eigene Perspektive auf das Thema Außenseitertum zu geben – hier allerdings über das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Doch bleibt seine Geschichte zu vage, zu plakativ, um eine echte emotionale Fallhöhe zu erzeugen. Man hätte ihm – gerade als Brudergestalt im Schatten Wednesdays – durchaus mehr Raum geben können. Und dann wäre da natürlich noch der vielbesprochene Auftritt, auf den viele Fans seit Wochen spekulierten: Ja, Lady Gaga ist Teil der zweiten Staffelhälfte – allerdings kürzer, als es manche vielleicht erwartet hatten.
Statt eines zentralen Plotpunktes ist ihre Rolle eher als übergroßer Cameo angelegt. Sie erscheint zwar stilsicher und mit dem markanten Charisma, doch es stellt sich schon die Frage, ob man mit ihr im Ensemble nicht mehr hätte machen können. Eines ist aber unverkennbar: Die Macher von „Wednesday“ wussten, was die Fans unbedingt in den Folgen sehen wollten – und liefern genau diese Elemente verlässlich. So gibt es auch eine neue Tanzeinlage, die stilistisch ganz in der Tradition der ikonischen „Goo Goo Muck“-Szene steht. Zwar wirkt der neue Tanz deutlich kalkulierter, doch er verfehlt seine Wirkung nicht und scheint ein geradezu gefundenes Fressen für die TikTok-Kultur. Außerdem wartet der neue Episodenblock mit einem frischen Cello-Cover auf, das sofort Ohrwurm-Potenzial entfaltet – nach „Dance of the Knights“ vermutlich das markanteste der Serie seit „Paint It Black“ in der ersten Staffel. Generell lässt sich sagen: Es gelingt der zweiten Staffel auf beeindruckende Weise, ikonische Songs der Popkultur einzubinden – stets passgenau auf diese Welt und ihre Figuren zugeschnitten.

Und dann wäre da natürlich noch der visuelle Stil – vor allem dann, wenn er unverkennbar die Handschrift von Tim Burton trägt. Auch im zweiten Teil der zweiten Staffel führte Burton wieder persönlich bei zwei Episoden Regie. Die Wirkung ist spürbar. Wenn Burton inszeniert, wirkt alles etwas exzentrischer, bildkompositorisch mutiger und atmosphärisch dichter. Seine Kamera sucht geradezu den morbiden Witz. Es ist genau dieser charmant-groteske Blick, der „Wednesday“ von anderen Formaten abhebt – und zugleich tief in Burtons filmischem Kosmos verortet. Und so holprig der Auftakt mit der fünften Folge auch war, am Ende gelingt es doch, wirklich alle offenen Fäden zusammenzuführen, die Handlung zu verdichten und unter Tim Burtons Regie ein Staffelfinale zu inszenieren, das völlig entfesselt wirkt: zwischen Meta-Kommentaren, Action-Bombast und großem Drama greift die Serie noch einmal tief in die Twist-Kiste. Ein Finale, das große Lust auf mehr macht – umso besser, dass die dritte Staffel bereits offiziell bestätigt ist.
Fazit:
Was Jenna Ortega und Tim Burton mit „Wednesday“ entfesselt haben, bleibt auch in der zweiten Staffel furios unterhaltsam – und ist zugleich ambitionierter. Gerade darin liegen sowohl ihre Stärke als auch ihre Schwäche: Die Serie will mehr erzählen, mehr Figuren Raum geben, mehr Themen anstoßen – verliert dabei aber phasenweise an erzählerischer Fokussierung. Wie ihre Protagonistin gerät auch die Handlung zeitweise ins Wanken, findet am Ende jedoch wieder festen Boden unter den Füßen. Wer die erste Staffel mochte, wird sich in den neuen Episoden schnell wieder zurechtfinden!
>>> STARTTERMIN: Ab dem 03. August 2025 auf Netflix.
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Weitere Informationen zu „Wednesday“:
Genre: Horror-Komödie, Coming-Of-Age, Krimi, Fantasy, Drama
Laufzeit: 4 Folgen in Part 2 (8 Folgen in der gesamten Staffel)
Altersfreigabe: ab 16 Jahren (Altersfreigabe von Netflix)
Regie: Tim Burton, Angela Robinson und Angela Robinson
Drehbuch: Erika Vazquez, Siena Butterfield, Alfred Gough, Miles Millar, Kayla Alpert, Matt Lambert, James Madejski
Besetzung: Jenna Ortega, Emma Myers, Catherine Zeta-Jones und viele mehr ...
Trailer zur 2. Staffel von „Wednesday“: